Simon: Herr Rühe, nach der amerikanischen Aufregung der letzten Wochen, den Sondertreffen gestern und heute, wird sich die Diskussion jetzt wieder etwas beruhigen?
Rühe: Ich hoffe das. Es ist klar, dass diese Heftigkeit in der Diskussion überhaupt nicht angemessen ist. Ich glaube, der amerikanische NATO-Botschafter müsste schon verbal ein bisschen abrüsten. Auf der anderen Seite muss man sagen, die Europäer sollten endlich einmal ihre militärischen Fähigkeiten verstärken, ihre Handlungsfähigkeit. Das tut man nicht durch neue Institutionen, sondern indem man, wie gesagt, die militärischen Fähigkeiten stärkt. Eigentlich gibt es eine klare Grundregel, dass nämlich die ganz schwierigen Krisen von der NATO gemanagt werden und dann gibt es eine Rückfallposition, so genannte Berlin Plus, das wäre eine Operation durch die EU, aber mit NATO Hilfe. Alles, was in der Zukunft ansteht, zum Beispiel die Übernahme in Bosnien, geht nur mit NATO Hilfe. Und erst als Letztes und Drittes, und das ist der Streitfall, geht es um EU autonome Operationen, das sind in aller Regel nur sehr kleine Operationen und ich finde, hier sollte man die Planung eben wirklich in einer EU Planungszelle im NATO-Hauptquartier machen und im Übrigen können solche Operationen dann, was die Führungsfähigkeit angeht, auch durch nationale Hauptquartiere, wie zum Beispiel hier in Potsdam oder was den Kongo angeht, auf der französischen Seite durchgeführt werden.
Simon: Herr Rühe, Sie sagen eine EU Planungszelle, aber sind das eigentlich nicht Äußerlichkeiten, ob man da jetzt ein, wie auch immer genanntes Hauptquartier einrichtet oder eine Planungszelle? Muss man sich darüber wirklich so streiten zwischen Verbündeten?
Rühe: Nein, man muss das nicht. Und das zeigt, dass sich hier Misstrauen eingeschlichen hat und das ist sehr bedenklich in einem Bündnis. Dafür hat dieser Pralinengipfel schon eine gewisse Verantwortung, denn dort hat man ein Hauptquartier in Tervuren, was in der Tat eine Konkurrenz zur NATO gewesen wäre, angesprochen, eben auch an vielen europäischen Nationen vorbei. Sehen Sie, wenn die Europäer in der Verteidigungspolitik ernst genommen werden wollen, dann müssen in erster Linie England, Frankreich und Deutschland zusammenarbeiten. Deswegen muss man sich mit England einigen. Wir müssen die militärischen Fähigkeiten stärken. Berühmtestes Beispiel: die Engländer und Franzosen haben Flugzeugträger, aber die Flugzeuge können nicht auf dem jeweilig anderen landen, in Amerika können alle Flugzeuge auf allen Flugzeugträgern landen. Und deswegen muss man hier baugleiche Flugzeugträger haben, ich wäre sogar bereit, auch darüber nachzudenken, dass eine deutsche Fähigkeit geschaffen wird, auf einem französischen Flugzeugträger mitzuwirken. Wir müssen eine gemeinsame U-Bootflotte bauen, statt immer nur diese nationalen Kapazitäten. Also, diese Debatte ist völlig neben der Sache, erst einmal muss man die europäischen Fähigkeiten so polen, dass es nicht zu vielen doppelten Strukturen kommt, damit die Europäer wirklich ein ernsthafterer Partner werden und den USA empfehle ich mehr Gelassenheit bei dem Umgang mit den Europäern. Es kann nicht die Rede davon sein, dass irgendjemand hier die NATO zerstören will.
Simon: Es gibt ja auch die Vermutung, dass der gegenwärtige etwas schärfere Ton aus Washington damit zu tun hat, dass man dort Angst hat, die Briten würden sich in stärkerem Maße bei einer solchen europäischen Verteidigungsinitiative engagieren, als das vielleicht den USA Recht wäre. Was halten Sie davon?
Rühe: Eine Formel ist ja richtig: Europa muss stärker werden. Und das ist auch im Interesse der NATO, es muss nur so organisiert werden, dass keine Doppelstrukturen entstehen, das galt eigentlich auch bisher immer als richtig. Und Misstrauen ist in der Tat durch diesen komischen Pralinengipfel geschaffen worden. Dies ist ein Bündnis, wo eh die Mittel knapp sind in allen Ländern und deswegen darf es keine Doppelstrukturen geben, auch nicht bei den Hauptquartieren. Ich finde, Deutschland sollte eben nicht nur im Schlepptau von Frankreich marschieren, sondern sich ernsthaft mit Großbritannien abstimmen...
Simon: Dies ist doch in Berlin bei dem Dreiergipfel passiert.
Rühe: Ja, offensichtlich aber nicht. Danach haben sie ja alle wieder unterschiedliche Interpretationen gegeben. Ich finde, es sollte diese klare Hierarchie geben: die ganz großen Krisen macht die NATO, dann, Bosnien wird der nächste Fall sein, wenn Europa das übernimmt, sehr gut, das geht nur mit NATO Mitteln, da sind sich alle einig, die jetzige Diskussion hat damit überhaupt nichts zu tun. Und erst in der dritten Kategorie kann es um eigene EU Operationen gehen, ich finde dafür lässt sich auch eine Lösung finden.
Simon: Alle sind im Prinzip ja irgendwie verbündet, die da beteiligt sind...
Rühe: ...die sind nicht irgendwie verbündet, die sind verbündet...
Simon: ...näher oder weiter, um es mal so zu sagen. Für wie berechtigt halten Sie denn die Forderung, es ist eine Forderung der USA, über jedes Detail der EU Planung informiert zu werden?
Rühe: Nein, darum geht es nicht. Wir sind ja auch nicht über jedes Detail von nationalen amerikanischen Planungen informiert. Aber es muss Transparenz geben im Bündnis und die Amerikaner sind zu Recht darüber enttäuscht, wie wenig die Europäer auf die Waagschale bringen und deswegen darf das Wenige nicht noch weniger werden, indem man seine Kräfte vergeudet für weitere Hauptquartiere und Institutionen. Das kann ich sehr wohl verstehen. Und deswegen glaube ich, dass man hier Klarheit schaffen muss, die durch den Pralinengipfel beseitigt worden ist. Ich habe diese Hierarchie dieser drei möglichen Einsätze angesprochen. Und ich glaube, dass die Europäer hier ihren eigenen Spielraum haben. Dass es Operationen geben kann, die alleine von Europäern durchgeführt werden und wo die Amerikaner überhaupt kein Problem haben, das haben wir ja schon erlebt. In Mazedonien gibt es allerdings noch die Hilfe der NATO, im Kongo gab es eine solche Operation und es wird auch in Zukunft solche EU autonomen Operationen geben, aber da muss man doch nicht voreinander etwas verstecken und getrennte Hauptquartiere durchführen, wir sind ein Bündnis und ich glaube, dass das auch weiterhin für die Stabilität in der Welt entscheidend ist, dass Europäer und Amerikaner nicht auseinanderfallen durch solche törichten Hauptquartierdiskussionen.
Simon: Herr Rühe, Sie haben jetzt immer wieder den Pralinengipfel als den Spaltpilz, als die Ursache des schlechten Klimas genannt. Ist es nicht in Wirklichkeit der darunter liegende Irakkrieg?
Rühe: Das ist die andere Seite der Alleingänge der Amerikaner, das ist genau die andere Seite. Deswegen sage ich ja, es ist auf beiden Seiten Misstrauen entstanden. Und daraus darf man nicht die falschen Konsequenzen ziehen, dass dieses Misstrauen sich weiter in die NATO hineinfrisst und deswegen bedarf es klarer Regelungen. Ich erwarte von der Bundesregierung zum Beispiel, dass sie ganz klar sagt, ob sie zum Beispiel dieser Hierarchie zustimmt: erst NATO-Operationen, dann EU plus NATO und erst in der dritten Kategorie EU autonome Operationen. Wenn das der Fall ist, und wenn man sich jeweils darüber verständigt, wer eine Operation durchführen soll, dann hätte man einen Großteil der Konflikte beseitigt.
Simon: Volker Rühe, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses.
Rühe: Ja, tschüss. Alles Gute.