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Rürup zweifelt am Konzept der SPD zur Bürgerversicherung

Peter Lange: Am Telefon ist nun Professor Bert Rürup, Finanzwissenschaftler, Regierungsberater, Wirtschaftsweiser und einer der Kritiker des Konzepts, das sich mit dem Begriff der Bürgerversicherung verbindet. Guten Tag, Herr Rürup.

Moderation: Peter Lange |
    Bert Rürup: Guten Tag.

    Lange: Herr Rürup, wie wahrscheinlich ist es, dass die Bürgerversicherung nächstes Jahr auf den gesetzlichen Weg kommt?

    Rürup: Ich habe so meine Zweifel daran, dass es Müntefering mit der SPD gelingen wird, einen wirklich durchgeprüften Gesetzesentwurf vorzulegen. Ich denke, es geht zunächst einmal darum, gewisse Eckpunkte zu definieren und damit den Begriff Bürgerversicherung - und zwar jenseits der konkreten Ausgestaltung im Detail für die SPD - zu reklamieren. Dafür habe ich natürlich auch Verständnis. Nämlich die Bürgerversicherung ist ja ein sehr positiv besetzter Begriff. Er suggeriert Wärme, Geborgenheit, solidarisches Füreinander. Das heißt, er hat einen hohen - sagen wir mal - sozialdemokratischen Identifikationswert, und deswegen wird hier, glaube ich, auf das Tempo gedrückt. Im Einzelnen habe ich natürlich noch so ein bisschen meine Schwierigkeiten. Ich habe einerseits heute gelesen, dass man im nächsten Jahr schon mit einem Konzept vorpreschen will, dann aber habe ich gleichzeitig gelesen, dass die PKV, die private Krankenversicherung, erhalten bleiben soll. Das passt natürlich eigentlich nicht zu dem ursprünglichen Konzept der Bürgerversicherung. Die Bürgerversicherung hat ja zwei Elemente. Nämlich einmal, Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze und langfristig Einbezug auch der Beamten und Selbständigen in die gesetzliche Krankenversicherung - das würde dann das Ende der PKV als Vollversicherung bedeuten - andererseits Finanzierung dieses ausgeweiteten Systems über steuerähnliche Beiträge von allen Einkunftsarten. Da hat man sich, glaube ich, noch nicht festgelegt. Da sieht man natürlich nicht zuletzt auch eine Reihe von juristischen Problemen.

    Lange: Nun hat Ulla Schmidt - wir haben es gerade gehört - auf die rechtlichen Probleme hingewiesen. Verfassungsrechtlich, europarechtlich, kartellrechtlich, sozialrechtlich. Steckt da nicht schon das Signal drin, "Seht her, wir sind ja guten Willens, aber es geht halt nicht."?

    Rürup: Das mag so sein. Das ist Ihre Interpretation. Ich denke, zunächst geht es darum, den Begriff zu besetzen, und davon abgekoppelt ist natürlich die Frage, was wird damit als Beitrag eigentlich zu den Problemen geleistet? Nämlich die Probleme bestehen ja einmal darin, dass die derzeitige lohnzentrierte Finanzierung in einem hohem Maße beschäftigungsfeindlich ist. Das heißt, in Verkoppelung von Gesundheitskosten und Arbeitskosten, ist Beschäftigung schädlich. Zum Anderen haben wir eine Entkoppelung der gegenwärtigen Beitragsbasis als Folge von Massenarbeitslosigkeit, Frühverrentung, steigenden Rentnerzahlen, niedriger Rentenanpassung und der Soziabgabenbefreiung, eben vom Bruttoinlandsprodukt. Das heißt, wir haben eine fundamentale Wachstumsschwäche. Auf diese beiden ökonomischen Fragen muss die zukünftige Finanzierung richtige Antworten geben. Da habe ich meine Zweifel, ob dieses ursprüngliche Konzept der Bürgerversicherung wirklich eine tragfähige Antwort ist. Wir wissen nämlich, dass die Ausweitung der Beitragsgrundlagen auf alle Einkunftsarten - wenn wir bei der Beitragsbemessungsgrenze bleiben - allenfalls eine Beitragsersparnis von 0,8 Prozent mit sich bringt. Die Ausweitung des Versichertenkreises auf alle, nach vierzig Jahren - nämlich die, die gegenwärtig in der privaten Krankenversicherung drin sind, wird man nicht rausnehmen können - ergeben noch einmal 0,6 Beitragspunkte. Das heißt, so doll ist der ökonomische Effekt nicht, und auch nach einer Ausweitung der Beitragsgrundlagen auf alle Einkommen werden unverändert 95 Prozent der Beitragsgrundlagen aus Arbeitskosten entstehen. Das heißt also, eine echte Antwort auf das ökonomische Problem ist damit nicht gegeben.

    Lange: Ist die Kopfpauschale der Union da die bessere Alternative?

    Rürup: Aus der ökonomischen Perspektive zweifellos. Wir haben eine definitive Abkopplung der Gesundheitskosten von den Arbeitskosten. Die in Zukunft steigenden Gesundheitskosten - die werden auf jeden Fall steigen - führen dann eben nicht mehr zu steigenden Arbeitskosten. Nur das bislang noch nicht hinreichend gelöste Problem bei dieser Gesundheitsprämie ist: Wie verhindert man die Überforderung des Einzelnen? Das heißt, wir müssen den sozialen Ausgleich, das heißt, die Umverteilung von Reich nach Arm organisieren und das ist in der Tat das noch ungelöste oder noch nicht zufriedenstellend gelöste Problem. Das heißt, beide Konzepte haben derzeit noch eigentlich ungelöste Probleme. Wenngleich durch die Brille des Ökonomen - das ist eigentlich unstrittig vor dem Hintergrund der durch Massenarbeitslosigkeit gekennzeichneten deutschen Gesellschaft - das Gesundheitsprämienkonzept, das ökonomisch überlegenere ist. Es hat aber, wie gesagt, diese Probleme bei der Vermittlung.

    Lange: Was macht denn der Regierungsberater Rürup demnächst? Berät der weiter die Koalition oder die CDU?

    Rürup: Ich berate nicht die CDU. Ich sage meine Meinung, und ich hoffe immer noch auf eine große Koalition der gesundheitsökonomischen Vernunft. Ich bin nämlich immer noch Optimist und glaube, das, was langfristig, also was ökonomisch nicht richtig ist, kann auch auf Dauer politisch nicht klug und richtig sein. Deswegen hoffe ich noch auf intensive Diskussionen, dass sich dann vielleicht doch ein Kompromiss ergeben kann.

    Lange: In den Informationen am Mittag war das, Professor Bert Rürup, Finanzwissenschaftler an der Uni Darmstadt, Regierungsberater und Wirtschaftsweiser. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.