Müller: Die Wirtschaft und der Kanzler fordern die Union jetzt noch einmal zu einem Steuergipfel auf. Machen Sie jetzt mit?
Rüttgers: Wir werden im Vermittlungsausschuss miteinander reden, das ist auch gut so, das ist die Stelle, wo es hingehört und das hat übrigens auch den Vorteil, dass es dann direkt in Gesetzestexte umgesetzt werden kann. Das heißt, es wird bis Weihnachten ganz spannende Gespräche geben und ich bin sicher, auch Ergebnisse.
Müller: Die Argumentation zu dem Nein zum Steuergipfel geht ja häufig in die Richtung, dass man sagt, das sind so genannte Kungelrunden, wir wollen das parlamentarische Verfahren in den Vordergrund stellen. Auf der anderen Seite werde doch viele politische Entscheidungen vorab geklärt, auch innerhalb der Parteien. Was spricht denn dagegen, sich konstruktiv zusammenzusetzen?
Rüttgers: Dagegen spricht eigentlich nie was, wenn man Klarheit darüber hat, worum es da geht. Das Problem des Vorschlages von Gerhard Schröder, einen solchen Steuergipfel durchzuführen, war und ist auch nach dem gestrigen Tag, dass die Regierung sich in der Frage nicht bewegt hat. Wir haben ja seit gestern eine Situation, wir haben durchaus unterschiedliche Akzente bei den CDU/CSU-Ministerpräsidenten gehabt, seit gestern ist da die Lage klar. Wir sind bereit, eine Vorziehen der Steuersenkungen mitzumachen, aber nicht auf Pump. Da war ja immer die Frage, über die wir jetzt wochenlang diskutiert haben, wie viel Kreditanteil bei der Finanzierung dieser rund 15 Milliarden es sein darf. Das ist von unsere Seite seit gestern auch klar, nämlich höchstens 25 Prozent. Jetzt müssen Eichel und Schröder klar sagen, welche Finanzierung sie bereit sind, mitzumachen unter diesen Bedingungen. Dann kann man sich einigen. Aber eben nicht nach dem Motto, es geht alles auf Pump. Im Klartext heißt das übrigens, wir zwingen damit die Bundesregierung, von dem Weg in die hemmungslose Verschuldung ein stückweit wegzugehen.
Müller: Koch, Merz und Milbradt waren ja nun wochenlang gegen eine vorgezogene Steuerreform, von Merz war bislang auch noch nichts Gegenteiliges zu hören. Sind die denn jetzt mit Merkel und Stoiber auf einer Linie?
Rüttgers: Es hat von Donnerstag auf Freitag eine Einigung im Kreise der CDU-Ministerpräsidenten mit Angela Merkel gegeben. Insofern gibt es eine einheitliche Linie.
Müller: Die da besagt, wenn die Bundesregierung die Forderungen der Union erfüllt, machen wir mit?
Rüttgers: Es geht um etwas grundlegenderes, darum, dass auf der einen Seite ein Wachstumssignal zu geben durch das Vorziehen der Steuersenkung von 2005 auf den 1.1.2004, zum weiten aber auch darum, dass das nicht zu 100 Prozent aus einer höheren Verschuldung finanziert wird. Angesichts von mehr als 40 Milliarden Neuverschuldung, die Eichel zu verantworten hat, wäre das ja auch unverantwortlich.
Müller: Seit wann wissen Sie denn, dass Sie die Bundesregierung letztendlich, wenn sie sich bewegt, gar nicht im Regen stehen lasse wollen?
Rüttgers: Die Einigung ist von Donnerstag auf Freitag erfolgt.
Müller: Und Sie wussten es nicht vorher?
Rüttgers: Wir haben vorher in den Führungskreisen darüber geredet und es hat sich seit Tagen eine Tendenz in die Richtung herauskristallisiert. Bei solchen Sachen ist es immer klug, die Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt zu treffen.
Müller: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, war also die Haltung von Koch und Merz ein vorgeschobener Dogmatismus?
Rüttgers: Nein, es gibt Interessen, die sie zu vertreten haben, etwa die ihrer Länder, insofern hat das eine Land natürlich ein höheres Interesse daran, jetzt solche Wachstumsimpulse zu bekommen und ist auch bereit, deshalb ein stückweit mehr bei der Verschuldung zu tun. Das ist ein ökonomisches Problem. Man macht diese Steuersenkung ja, um mehr Wachstum zu bekommen, was im Umkehrschluss auch mehr Steuereinnahmen heißt in der öffentlichen Hand. Insofern kann man einen kleinen Teil durchaus mit Krediten gegenfinanzieren, aber nicht zu 100 Prozent, wie Eichel das will.
Müller: In der Öffentlichkeit ist es ja ganz schwierig, diese komplexe Geflecht zu durchblicken, viele haben Fragen, wie es funktionieren kann und dann kamen noch die Vorschläge vom Merz-Konzept. Aber wenn wir nun bei diesen Sparvorschlägen oder der Finanzierungsfrage bleiben, warum weiß die Union besser, wie man das macht als der Finanzminister, hat der keine Ahnung?
Rüttgers: Weil wir besser mit Geld umgehen können, wie sich gerade in diesem Jahr wieder gezeigt hat. Man muss zwei Dinge auseinander halten: das Konzept von Merz ist ein hervorragendes Konzept, unser ineffizientes, zu kompliziertes und ungerechtes Steuersystem neu zu machen. Die andere Frage, die gestern über das Vorziehen der Steuersenkungen anstand, ist eine Maßnahme, die jetzt vorgezogen wird, um einen Wachstumsimpuls zu bekommen. Das schließt sich nicht aus, ist aber schwer auseinander zu halten in der Diskussion, aber das eine ist eine kurzfristig Maßnahme, das andere eine langfristige. Das Problem der Pakete: es ist natürlich nicht alles falsch, was die Bundesregierung macht, dass aber aus dem innerparteilichen Druck Sachen da reinkommen, die ökonomisch falsch sind. Zum Beispiel diskutieren wir seit langem über eine Gemeindefinanzreform. Ich glaube, wir müssen erreichen, ein Notprogramm zu verabschieden, damit die Städte und Gemeinden mehr investieren können. Mir wäre auch lieber, wenn noch mehr für die kommunalen Finanzen getan werden könnte. Oder Clement will jetzt bei der Neugliederung die regionale Arbeitsmarktpolitik bei den Arbeitsämtern konzentrieren, was bedeutet, dass das, was bei den Städten gemacht wird, wo es effektiv wird, abgeknipst wird. Das wäre falsch. Sie sehen, es sind immer so Sachen, wo es darauf ankommt, wie man es macht und unter dem Druck zwischen linken und rechten bei der SPD sind da zu viele Fehler rein gekommen.
Müller: Wir wollten hier einen Schnitt machen und auch Sie fragen zur neuesten internen Entwicklung in der Union. Wenn wir uns einmal auf diese diskriminierenden Äußerungen von Parteifreunden kaprizieren in den vergangenen Tagen. Bei der Hohmann-Affäre haben Sie ganz deutliche gefunden, nun hat gestern der CDU-Politiker Henry Nitzsche für Schlagzeilen gesorgt. Er hat kurz zusammengefasst gesagt, eher fault einem Moslem die Hand ab, als die CDU zu wählen. Nun sind Sie in Nordrhein-Westfalen Fraktionschef, wie würden Sie mit einem Fraktionskollegen, der derartiges sagt, verfahren?
Rüttgers: Ich würde dem klar sagen, dass es aus der Welt muss, dass er sich nicht nur dafür entschuldigen muss sondern dass er es zurücknehmen muss. Wir haben bei der CDU NRW, worauf ich sehr stolz bin, ein eigenes deutsch-türkisches Forum. Das heißt, da sind viele hundert Deutsche türkischer Herkunft, die bei uns in der CDU mitmachen, die also nicht nur CDU wählen, sondern die aktiv für ihre Ziele mitkämpfen. Alleine das zeigt, dass das, was dieser Herr da gesagt hat, völlig inakzeptable ist.
Müller: Also eine Entschuldigung reicht?
Rüttgers: Das ist die eine Sache, das Zurücknehmen halte ich für wichtig. Die müssen klarmachen, wenn sie solche Sachen sagen, dass es nicht mehr in der Welt ist, dass man sich nicht nur formal bei denen entschuldigt, die man verletzt hat, sondern dass sie das in Zukunft auch nicht mehr vertreten.
Müller: Jürgen Rüttgers war das, stellvertretender CDU-Parteichef. Vielen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören.