Eine kleine Gruppe von Demonstranten vor dem Parlament in Nikosia. Sie halten vorbeifahrenden Autofahrern Plakate entgegen: "Wach auf, Zypern!" steht darauf. Es ist der erste Tag seit der Rettung des Landes in letzter Minute. Ein Auto fährt rechts ran, der Fahrer bleibt sitzen, fängt aber an, mit den Demonstranten heftig zu diskutieren.
Der Autofahrer sieht den Kompromiss als notwendiges Übel. Die Demonstranten dagegen sehen darin ein Diktat der mächtigen EU-Partner:
"Keiner weiß doch, woher dieses Geld stammt und ob es am Ende wirklich für die Banken verwendet wird! Wir Zyprer müssen uns entscheiden: Wenn wir das Diktat der Troika akzeptieren, dann sind wir kaputt. Der Zustand Griechenlands wird nichts sein, verglichen mit dem, was wir erleben werden!"
"Sollen sie die EU doch gleich aufspalten in eine EU der Großen und eine EU der Kleinen. Denn was sie derzeit machen, ist doch, die kleinen Völker ständig zu erniedrigen!"
Eine der Demonstrantinnen hat sich eine russische Flagge um die Schultern gelegt. Sie stellt sich als Zyprerin russischer Herkunft vor. Nikosia hätte sich besser einen Kredit aus Russland besorgen sollen, sagt sie. All die Berichte über reiche Russen, die in Zypern ihr Schwarzgeld geparkt hätten, seien frei erfunden:
"Hier auf Zypern lebt die russische Mittelklasse. Die hat kein Schwarzgeld. Geldwäsche gibt es in der Schweiz, in England und in Deutschland. Aber nicht in Zypern."
Am vergangenen Sonntag kurz vor Mitternacht hatte sich Zypern mit den anderen Euro-Staaten und dem IWF auf ein Rettungspaket von über zehn Milliarden Euro geeinigt. Die zweitgrößte Bank der Insel, die Laiki, wird abgewickelt. Vermögen von mehr als 100.000 Euro werden zur Sanierung des Finanzsektors herangezogen. Mit anderen Worten: Viel Geld ist weg.
Von der Laiki-Bank bleibt nur eine "Bad Bank", also ein Sammelbecken für faule Kredite. Ihr guter Teil geht in der Bank of Cyprus auf - dem einstigen Flaggschiff Zyperns. Aber auch hier müssen die Kunden 30, vielleicht sogar 40 Prozent ihrer Einlagen über 100.000 Euro abschreiben. Die werden in Bankanteile umgewandelt. Tausende von Zyprern verlieren ihr Vermögen. Und der überdimensionierte Finanzsektor des Landes wird quasi über Nacht halbiert. Der Wirtschaftswissenschaftler Zinonas Pophaidis zu den Folgen:
"Das Schrumpfen des Finanzsektors wird schon bald viele Menschen arbeitslos machen. Schließlich steht dieser Sektor für 40 Prozent des Bruttosozialprodukts. Und mit dem Abbau des Bankensektors wird es in den kommenden ein bis zwei Jahren auch eine Kreditklemme geben. Unternehmen und kleine Betriebe werden es schwer haben, Geld zu bekommen. Das wird die Rezession verstärken."
Außerdem verlangen die Kreditgeber von der zyprischen Regierung Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen. Die niedrige Unternehmenssteuer von 10 Prozent hatte in den letzten Jahren viele Ausländer ins Land gelockt. Sie soll zunächst um zwei Prozent angehoben werden. Außerdem werden die Haushaltsausgaben in den kommenden drei Jahren um eine Milliarde Euro gekürzt.
Wenige Tage vor der Einigung mit EU und IWF, am Dienstag vergangener Woche, war ein erstes Rettungspaket im zyprischen Parlament gescheitert. Es sah noch eine Bankabgabe auf alle Konten vor. Auch Kleinsparer hätten für die Rettung des Landes bluten müssen. Gegen diese Abgabe vom ersten Euro an hatten vor allem Mitglieder der linken Opposition protestiert.
Der schicke Tennisklub von Nikosia ist eine Hinterlassenschaft der englischen Kolonialherren. Er liegt gleich an der historischen Stadtmauer und ist nur wenige Schritte vom Parlament entfernt: dort wütende Demonstranten, hier scheinbar ungetrübter Freizeitspaß. Vor dem Klubhaus parken Mittelklassewagen deutscher Marken. Zwei Jugendliche schlagen sich geschickt die Bälle über das Netz zu. Haris Mavrostakis , Vater von einem der Jungen, schaut von einer kleinen Tribüne aus zu. Sein Blick ist müde:
"Ich bin Mikrobiologe und habe ein eigenes Labor. Seit vergangener Woche habe ich keinen einzigen Auftrag mehr bekommen. Die Tennisstunden werde ich meinen Kindern wohl streichen. Mein Ältester lernt gerade Deutsch, er soll in Deutschland studieren. Die Zukunft sieht düster aus. Andererseits: Wir griechischen Zyprer sind zäh und stehen schnell wieder auf den Beinen. Die türkische Invasion von 1974 haben wir auch überlebt."
Doch dieses Mal wird ein Neubeginn des Landes sehr viel schwieriger, darin sind sich die meisten Fachleute einig. Industrie und Handel wurden jahrzehntelang vernachlässigt. Zu den größten Unternehmen jenseits der Banken zählen ein Zementhersteller und ein Getränkegroßhändler. Diese beiden Unternehmen beschäftigen jeweils weniger als 300 Mitarbeiter.
Die Tourismuswirtschaft muss nicht nur mit dem günstigeren türkischen Norden der Insel konkurrieren, sondern auch mit der Türkei oder Ägypten. Die Bau- und Immobilienbranche steckt nach dem Boom in einer Krise. Zudem werden viele zyprische Fachleute auf der Suche nach Arbeit ins Ausland ziehen. Die Linke des Landes fordert einen Austritt aus der Eurozone. Mit dem alten zyprischen Pfund ließe sich besser von vorn beginnen. Der Ökonom Zinonas Pophaidis hält das für keine gute Idee:
"Wir müssen nahezu alles importieren und wir exportieren eigentlich nur Dienstleistungen. Da könnte uns eine eigene Währung nicht helfen, im Gegenteil. Wir bekämen mit der neuen Währung eine Hyperinflation. Denn jede Regierung würde das Haushaltsdefizit auszugleichen versuchen, in dem sie Geld druckt."
Während das Staatsfernsehen von einer "Neuen Epoche2 für Zypern spricht, gibt es Meldungen über erste Selbstmorde von verzweifelten Menschen, die ihr gesamtes Erspartes verloren haben. Wie verbreitet die Verzweiflung ist, wird sich wohl erst dann zeigen, wenn die Banken öffnen. Die zyprische Polizei arbeitet an Einsatzplänen, um die Filialen vor allzu wütenden Bankkunden zu schützen. Seit über einer Woche kommen die Bürger schon nicht an ihre Konten. Die Geldautomaten geben höchstens 200 Euro her. Viele Geschäfte lehnen inzwischen Zahlungen mit Kreditkarten ab.
Ein in der vergangenen Woche erlassenes Gesetz erlaubt es der zyprischen Zentralbank, die Bargeldabhebung zu begrenzen und die Auflösung von Konten durch längere Kündigungsfristen zu erschweren. Die Zentralbank kann auch den Überweisungsverkehr beliebig einschränken und jede andere Kontrollmaßnahme durchführen, die, so heißt es im Gesetz, "unter den gegebenen Umständen für notwendig gehalten wird, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrechtzuerhalten". Mit anderen Worten: Zypern ist auf absehbare Zeit keine freie Marktwirtschaft mehr.
Trotz der angeblich in Kraft getretenen Kapitalverkehrskontrollen haben die Reichen des Landes ihr Geld in den vergangenen Tagen außer Landes gebracht. Laut einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" beobachteten Experten in der vergangenen Woche einen ungewöhnlich hohen Abfluss von Geldern. Auch zyprische Medien berichteten, es seien "Unmengen" von Geld abgehoben worden. Selbst Beamte der Zentralbank hätten mit Hilfe von Manipulationen ihr Geld ins Ausland gebracht. Das zyprische Parlament hat angekündigt, diesen Anschuldigungen nachgehen zu wollen.
Noch vor wenigen Jahren herrschte in Zypern nahezu Vollbeschäftigung. Doch jetzt gibt es bereits rund 50.000 Arbeitslose - und sie bekommen nur sechs Monate lang Arbeitslosengeld. Das sogenannte "Geschäftsmodell" Zyperns ist am Ende, heißt es immer wieder. Doch worin bestand dieses Geschäftsmodell?
Eine Fahrt entlang der zentralen Markarius-Avenue in Nikosia führt das vor Augen. Eine Bank reiht sich an die andere: zyprische, griechische, russische, arabische sogar bulgarische Banken. In den darüber liegenden Stockwerken werben "Law Firms" für sich – dahinter verbergen sich meistens Investmentberater. Ein normales Kaufhaus dagegen sucht man in der Innenstadt von Nikosia vergebens.
Die Insel entwickelte sich seit Ende der Achtzigerjahre zu einem Paradies für Anleger, und niemand interessierte sich für die Herkunft des mitgebrachten Geldes. Allein 25 Prozent der Bankeinlagen und etwa ein Drittel der ausländischen Investitionen stammten aus Russland. Gewinne brauchten Ausländer in Zypern gar nicht zu versteuern. Und wer mehr als zehn Millionen Euro mitbrachte, bekam gleich einen zyprischen Pass. Über 20 Milliarden Euro hatten Ausländer auf zyprischen Banken gebunkert. Mehr als das Bruttosozialprodukt des ganzen Landes.
Viele russische Investoren suchten aber nur Steuerschlupflöcher. Sie gründeten Scheinfirmen, um dem russischen Fiskus zu entkommen. Denn auf Zypern mussten sie nur zehn Prozent Körperschaftssteuer zahlen und konnten ihr Geld anschließend wieder im Heimatland anlegen. Auf diese Weise wurde das kleine Zypern zum größten ausländischen Investor in der Ukraine.
Die mit Geld vollgepumpten zyprischen Banken vergaben billige Kredite und investierten massiv in griechische Staatsanleihen. Als der finanzielle Niedergang Griechenlands begann, geriet auch in Zypern vieles ins Rutschen. Nun steht vor allem ein großer Teil des Mittelstands vor dem Ruin:
Andreas Tsouloftas steht vor seinem Fuhrpark aus Müllwagen, als wolle er Abschied nehmen. Stumm schaut er auf die bunte Werbung, die an den Fahrzeugen prangt. "Recycling ist einfach" steht in der Sprechblase eines fröhlichen Männleins, das mit Papier und Dosen winkt. Doch hier in der Hafenstadt Limassol werden wohl vorerst keine Altstoffe mehr eingesammelt werden. Die Firma des 57-Jährigen ist am Ende und das Geschäftskonto mit einer Million Euro gepfändet. Es lag bei der Laiki-Bank, die nun abgewickelt wird. Tsouloftas ist fassungslos:
"Ich habe seit Tagen nicht geschlafen. Die Früchte von 35 Jahren harter Arbeit sind in einer Nacht zerstört worden. Ich bin tief enttäuscht. Ich hatte gehofft, dass es in der europäischen Familie mehr Verständnis für uns Zyprer gibt."
Gerade der zyprische Mittelstand wird für einen wirtschaftlichen Neuanfang gebraucht, er hat aber durch die Bankenabwicklung einen Großteil seines Geldes verloren. In den nächsten Wochen können darum weder Zulieferer noch Angestellte bezahlt werden. Nach den Banken, so die große Sorge, werden unzählige Firmen abgewickelt werden müssen.
Große Hoffnungen setzt Nikosia daher in die Öl- und Gasfunde vor der Küste. Noch müssen die Zyprer Öl und Gas teuer importieren. Doch wenn die Bohrungen erfolgreich verlaufen, könnten ihnen, so schätzen Fachleute, spätestens ab 2020 allein 3,5 Billionen Kubikmeter Gas zur Verfügung stehen – weit mehr als das kleine Land selbst braucht.
Mehrere Hundert Milliarden Euro sollen die Öl- und Gasvorkommen wert sein. Zypern wäre damit saniert. Aber schon jetzt warnen viele vor übertriebenen Erwartungen. So sei bislang noch gar nicht geklärt, wie das Gas weiter transportiert werden soll. Die billigste und kürzeste Route verliefe über die Türkei, doch das ist angesichts der Feindschaft beider Länder derzeit so gut wie ausgeschlossen.
Die Zyperngriechen sprechen zwar mit Anrainern wie Libanon und Israel über die Ausbeutung der Erdgasvorräte im östlichen Mittelmeer, nicht jedoch mit den türkischen Zyprern im Norden - das hat das Verhältnis zwischen beiden Volksgruppen zusätzlich belastet. Dabei hat die Krise im Süden beide Seiten auch ein wenig näher gebracht.
Auf dem Atatürk-Platz in Nord-Nikosia: Eine türkisch-zyprische Theatergruppe macht Werbung für ihr neuestes Stück, eine Komödie von Dario Fo. Damit wollen sie gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik protestieren, die weltweit für die wachsende Armut verantwortlich sei. Das sagt die Leiterin der Gruppe, Nazan Sansal, und sie denkt dabei auch an ihre Landsleute im Süden:
"Türkische und griechische Zyprer können frei und gleichberechtigt auf dieser Insel zusammenleben. Davon sind wir überzeugt. Und dafür setzen wir uns ein. Wenn das Volk auf beiden Seiten zusammensteht, dann können auch solche Zeiten überstanden werden. Dann kann es nur besser werden."
Ein paar Meter entfernt im Saray Spielkasino schauen die Gäste stumm auf die bunten Scheiben, die sich in den Geldspielautomaten vor ihnen im Takt drehen. Knapp bekleidete Kellnerinnen verteilen Getränke. Und Mesut Sahin, der Manager dieses Spielcasinos im türkischen Norden von Nikosia, lässt seinen sorgenvollen Blick durch den Raum schweifen. Das Saray liegt nur wenige Meter von der Demarkationslinie entfernt. Bis vor Kurzem noch eine ausgezeichnete Lage fürs Geschäft, denn die griechischen Zyprer brachten gerne ihr Geld in türkische Spielcasinos:
"Die Lage dort hat uns ziemlich geschadet. Wir haben 50 Prozent weniger Umsatz, seit die Krise ausgebrochen ist. Nur ein paar Stammgäste kommen noch aus dem Süden, ansonsten versuchen wir mehr Gäste aus der Türkei anzulocken. Wir hoffen, dass es dem Süden wirtschaftlich bald wieder besser geht."
Gute Wünsche aus dem türkischen Norden an den fast bankrotten Süden. Seit der Öffnung der innerzyprischen Grenze vor zehn Jahren haben nicht nur die Glücksspielhäuser im Norden vom Geld aus dem Süden profitiert. Gerne deckten sich die griechischen Zyprer bei den Türken auch mit Stoffen, Schmuck und Lederwaren ein. Dabei hätten viele den reichen Bruder herausgekehrt, erinnert sich ein türkischer Schmuckhändler, der mit seinem Geschäft gleich hinter dem Übergang Ledrastraße steht:
"Sie sagten uns immer wieder: Schaut doch, ihr habt hier nichts, ihr müsst unter einem Embargo leben, aber wir sind reich und EU-Mitglied! Und nun? Das soll ihnen eine Lehre sein. Sie sollen ruhig wieder bescheiden von vorn anfangen."
Doch Schadenfreude ist unter den türkischen Zyprern eher die Ausnahme. Selbst der Präsident der türkischen Republik Nord-Zypern, Dervis Eroglu, bekannte öffentlich, dass ihm die Lage im Süden Sorgen mache. Das Mitgefühl kommt nicht von ungefähr: Auch der international isolierte Norden ist von ausländischen Geldüberweisungen abhängig – sie kommen aus der Türkei.
Zurück in der Ledrastraße, der belebten Einkaufszone von Süd-Nikosia. Die Cafés – Krise hin oder her – sind gut gefüllt, auch zwei Tage nachdem das Land fast völlig abgestürzt wäre. Doch bei Bier oder Café Frappé sind auch hier die Folgen der Krise das Hauptgesprächsthema:
"Die nächsten Jahre werden sehr hart, das macht uns Sorgen. Die Leute verlieren ja nicht bloß ihr Geld, sondern auch ihre Arbeit."
"Ich bin Bauunternehmer und hatte glücklicherweise weder auf der Laiki Bank noch auf der Bank of Cyprus viel Geld. Aber wenn der Bausektor nun zusammenbricht, wird es mich trotzdem treffen."
Die Weichen für eine Rettung Zyperns sind Sonntagnacht gestellt worden. Zyperns Banken haben zwar am Montag dieser Woche Notkredite zur Verfügung gestellt bekommen. Doch die Verhandlungen der Zyprer mit der Geldgeber-Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds gehen in den nächsten Wochen weiter. Experten sollen auf Zypern dem Verdacht der Geldwäsche nachgehen. Möglicherweise sollen noch Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche in die Vereinbarungen aufgenommen werden.
Zudem müssen etliche Parlamente der Geberländer dem Hilfspaket noch zustimmen – auch der Bundestag. Das zyprische Parlament braucht den Rettungsplan allerdings nicht mehr zu billigen. Erst wenn alle Hürden genommen sind, können die Finanzminister der 17 Eurostaaten die zugesagten zehn Milliarden Euro an Hilfsgeldern für Zypern freigeben, frühestens im April.
Zypern braucht jetzt nicht nur ein neues Geschäftsmodell, auch die Verwaltung des Landes müsse einen Neuanfang machen, sagt der Ökonom Zinonas Pophaidis. Mit der derzeit regierenden politischen Klasse könne das nur schwer gelingen:
"Ich mache mir Sorgen darüber, ob unsere jetzigen Politiker der Situation gewachsen sind. Die Bürger Zyperns werden wieder zu Wohlstand kommen. Die Frage ist, ob die Politik ihnen dabei im Wege stehen wird."
Mehr auf dradio.de:
Banken-Run auf Zypern befürchtet - Morgen öffnen die Geldhäuser - möglicherweise
Zypern: Bis zu 40 Prozent Zwangsabgabe auf große Bankguthaben - Demonstranten: "Ihr habt unsere Zukunft zerstört"
"Das Land muss durch ein tiefes Tal" - Wirtschaftsexperte: Finanzielle Hilfen für Zypern müssen ausgeweitet werden
Bankkunden retten und nicht Institutionen - Finanzexperte befürwortet Schließung von Banken in Zypern
Der Autofahrer sieht den Kompromiss als notwendiges Übel. Die Demonstranten dagegen sehen darin ein Diktat der mächtigen EU-Partner:
"Keiner weiß doch, woher dieses Geld stammt und ob es am Ende wirklich für die Banken verwendet wird! Wir Zyprer müssen uns entscheiden: Wenn wir das Diktat der Troika akzeptieren, dann sind wir kaputt. Der Zustand Griechenlands wird nichts sein, verglichen mit dem, was wir erleben werden!"
"Sollen sie die EU doch gleich aufspalten in eine EU der Großen und eine EU der Kleinen. Denn was sie derzeit machen, ist doch, die kleinen Völker ständig zu erniedrigen!"
Eine der Demonstrantinnen hat sich eine russische Flagge um die Schultern gelegt. Sie stellt sich als Zyprerin russischer Herkunft vor. Nikosia hätte sich besser einen Kredit aus Russland besorgen sollen, sagt sie. All die Berichte über reiche Russen, die in Zypern ihr Schwarzgeld geparkt hätten, seien frei erfunden:
"Hier auf Zypern lebt die russische Mittelklasse. Die hat kein Schwarzgeld. Geldwäsche gibt es in der Schweiz, in England und in Deutschland. Aber nicht in Zypern."
Am vergangenen Sonntag kurz vor Mitternacht hatte sich Zypern mit den anderen Euro-Staaten und dem IWF auf ein Rettungspaket von über zehn Milliarden Euro geeinigt. Die zweitgrößte Bank der Insel, die Laiki, wird abgewickelt. Vermögen von mehr als 100.000 Euro werden zur Sanierung des Finanzsektors herangezogen. Mit anderen Worten: Viel Geld ist weg.
Von der Laiki-Bank bleibt nur eine "Bad Bank", also ein Sammelbecken für faule Kredite. Ihr guter Teil geht in der Bank of Cyprus auf - dem einstigen Flaggschiff Zyperns. Aber auch hier müssen die Kunden 30, vielleicht sogar 40 Prozent ihrer Einlagen über 100.000 Euro abschreiben. Die werden in Bankanteile umgewandelt. Tausende von Zyprern verlieren ihr Vermögen. Und der überdimensionierte Finanzsektor des Landes wird quasi über Nacht halbiert. Der Wirtschaftswissenschaftler Zinonas Pophaidis zu den Folgen:
"Das Schrumpfen des Finanzsektors wird schon bald viele Menschen arbeitslos machen. Schließlich steht dieser Sektor für 40 Prozent des Bruttosozialprodukts. Und mit dem Abbau des Bankensektors wird es in den kommenden ein bis zwei Jahren auch eine Kreditklemme geben. Unternehmen und kleine Betriebe werden es schwer haben, Geld zu bekommen. Das wird die Rezession verstärken."
Außerdem verlangen die Kreditgeber von der zyprischen Regierung Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen. Die niedrige Unternehmenssteuer von 10 Prozent hatte in den letzten Jahren viele Ausländer ins Land gelockt. Sie soll zunächst um zwei Prozent angehoben werden. Außerdem werden die Haushaltsausgaben in den kommenden drei Jahren um eine Milliarde Euro gekürzt.
Wenige Tage vor der Einigung mit EU und IWF, am Dienstag vergangener Woche, war ein erstes Rettungspaket im zyprischen Parlament gescheitert. Es sah noch eine Bankabgabe auf alle Konten vor. Auch Kleinsparer hätten für die Rettung des Landes bluten müssen. Gegen diese Abgabe vom ersten Euro an hatten vor allem Mitglieder der linken Opposition protestiert.
Der schicke Tennisklub von Nikosia ist eine Hinterlassenschaft der englischen Kolonialherren. Er liegt gleich an der historischen Stadtmauer und ist nur wenige Schritte vom Parlament entfernt: dort wütende Demonstranten, hier scheinbar ungetrübter Freizeitspaß. Vor dem Klubhaus parken Mittelklassewagen deutscher Marken. Zwei Jugendliche schlagen sich geschickt die Bälle über das Netz zu. Haris Mavrostakis , Vater von einem der Jungen, schaut von einer kleinen Tribüne aus zu. Sein Blick ist müde:
"Ich bin Mikrobiologe und habe ein eigenes Labor. Seit vergangener Woche habe ich keinen einzigen Auftrag mehr bekommen. Die Tennisstunden werde ich meinen Kindern wohl streichen. Mein Ältester lernt gerade Deutsch, er soll in Deutschland studieren. Die Zukunft sieht düster aus. Andererseits: Wir griechischen Zyprer sind zäh und stehen schnell wieder auf den Beinen. Die türkische Invasion von 1974 haben wir auch überlebt."
Doch dieses Mal wird ein Neubeginn des Landes sehr viel schwieriger, darin sind sich die meisten Fachleute einig. Industrie und Handel wurden jahrzehntelang vernachlässigt. Zu den größten Unternehmen jenseits der Banken zählen ein Zementhersteller und ein Getränkegroßhändler. Diese beiden Unternehmen beschäftigen jeweils weniger als 300 Mitarbeiter.
Die Tourismuswirtschaft muss nicht nur mit dem günstigeren türkischen Norden der Insel konkurrieren, sondern auch mit der Türkei oder Ägypten. Die Bau- und Immobilienbranche steckt nach dem Boom in einer Krise. Zudem werden viele zyprische Fachleute auf der Suche nach Arbeit ins Ausland ziehen. Die Linke des Landes fordert einen Austritt aus der Eurozone. Mit dem alten zyprischen Pfund ließe sich besser von vorn beginnen. Der Ökonom Zinonas Pophaidis hält das für keine gute Idee:
"Wir müssen nahezu alles importieren und wir exportieren eigentlich nur Dienstleistungen. Da könnte uns eine eigene Währung nicht helfen, im Gegenteil. Wir bekämen mit der neuen Währung eine Hyperinflation. Denn jede Regierung würde das Haushaltsdefizit auszugleichen versuchen, in dem sie Geld druckt."
Während das Staatsfernsehen von einer "Neuen Epoche2 für Zypern spricht, gibt es Meldungen über erste Selbstmorde von verzweifelten Menschen, die ihr gesamtes Erspartes verloren haben. Wie verbreitet die Verzweiflung ist, wird sich wohl erst dann zeigen, wenn die Banken öffnen. Die zyprische Polizei arbeitet an Einsatzplänen, um die Filialen vor allzu wütenden Bankkunden zu schützen. Seit über einer Woche kommen die Bürger schon nicht an ihre Konten. Die Geldautomaten geben höchstens 200 Euro her. Viele Geschäfte lehnen inzwischen Zahlungen mit Kreditkarten ab.
Ein in der vergangenen Woche erlassenes Gesetz erlaubt es der zyprischen Zentralbank, die Bargeldabhebung zu begrenzen und die Auflösung von Konten durch längere Kündigungsfristen zu erschweren. Die Zentralbank kann auch den Überweisungsverkehr beliebig einschränken und jede andere Kontrollmaßnahme durchführen, die, so heißt es im Gesetz, "unter den gegebenen Umständen für notwendig gehalten wird, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrechtzuerhalten". Mit anderen Worten: Zypern ist auf absehbare Zeit keine freie Marktwirtschaft mehr.
Trotz der angeblich in Kraft getretenen Kapitalverkehrskontrollen haben die Reichen des Landes ihr Geld in den vergangenen Tagen außer Landes gebracht. Laut einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" beobachteten Experten in der vergangenen Woche einen ungewöhnlich hohen Abfluss von Geldern. Auch zyprische Medien berichteten, es seien "Unmengen" von Geld abgehoben worden. Selbst Beamte der Zentralbank hätten mit Hilfe von Manipulationen ihr Geld ins Ausland gebracht. Das zyprische Parlament hat angekündigt, diesen Anschuldigungen nachgehen zu wollen.
Noch vor wenigen Jahren herrschte in Zypern nahezu Vollbeschäftigung. Doch jetzt gibt es bereits rund 50.000 Arbeitslose - und sie bekommen nur sechs Monate lang Arbeitslosengeld. Das sogenannte "Geschäftsmodell" Zyperns ist am Ende, heißt es immer wieder. Doch worin bestand dieses Geschäftsmodell?
Eine Fahrt entlang der zentralen Markarius-Avenue in Nikosia führt das vor Augen. Eine Bank reiht sich an die andere: zyprische, griechische, russische, arabische sogar bulgarische Banken. In den darüber liegenden Stockwerken werben "Law Firms" für sich – dahinter verbergen sich meistens Investmentberater. Ein normales Kaufhaus dagegen sucht man in der Innenstadt von Nikosia vergebens.
Die Insel entwickelte sich seit Ende der Achtzigerjahre zu einem Paradies für Anleger, und niemand interessierte sich für die Herkunft des mitgebrachten Geldes. Allein 25 Prozent der Bankeinlagen und etwa ein Drittel der ausländischen Investitionen stammten aus Russland. Gewinne brauchten Ausländer in Zypern gar nicht zu versteuern. Und wer mehr als zehn Millionen Euro mitbrachte, bekam gleich einen zyprischen Pass. Über 20 Milliarden Euro hatten Ausländer auf zyprischen Banken gebunkert. Mehr als das Bruttosozialprodukt des ganzen Landes.
Viele russische Investoren suchten aber nur Steuerschlupflöcher. Sie gründeten Scheinfirmen, um dem russischen Fiskus zu entkommen. Denn auf Zypern mussten sie nur zehn Prozent Körperschaftssteuer zahlen und konnten ihr Geld anschließend wieder im Heimatland anlegen. Auf diese Weise wurde das kleine Zypern zum größten ausländischen Investor in der Ukraine.
Die mit Geld vollgepumpten zyprischen Banken vergaben billige Kredite und investierten massiv in griechische Staatsanleihen. Als der finanzielle Niedergang Griechenlands begann, geriet auch in Zypern vieles ins Rutschen. Nun steht vor allem ein großer Teil des Mittelstands vor dem Ruin:
Andreas Tsouloftas steht vor seinem Fuhrpark aus Müllwagen, als wolle er Abschied nehmen. Stumm schaut er auf die bunte Werbung, die an den Fahrzeugen prangt. "Recycling ist einfach" steht in der Sprechblase eines fröhlichen Männleins, das mit Papier und Dosen winkt. Doch hier in der Hafenstadt Limassol werden wohl vorerst keine Altstoffe mehr eingesammelt werden. Die Firma des 57-Jährigen ist am Ende und das Geschäftskonto mit einer Million Euro gepfändet. Es lag bei der Laiki-Bank, die nun abgewickelt wird. Tsouloftas ist fassungslos:
"Ich habe seit Tagen nicht geschlafen. Die Früchte von 35 Jahren harter Arbeit sind in einer Nacht zerstört worden. Ich bin tief enttäuscht. Ich hatte gehofft, dass es in der europäischen Familie mehr Verständnis für uns Zyprer gibt."
Gerade der zyprische Mittelstand wird für einen wirtschaftlichen Neuanfang gebraucht, er hat aber durch die Bankenabwicklung einen Großteil seines Geldes verloren. In den nächsten Wochen können darum weder Zulieferer noch Angestellte bezahlt werden. Nach den Banken, so die große Sorge, werden unzählige Firmen abgewickelt werden müssen.
Große Hoffnungen setzt Nikosia daher in die Öl- und Gasfunde vor der Küste. Noch müssen die Zyprer Öl und Gas teuer importieren. Doch wenn die Bohrungen erfolgreich verlaufen, könnten ihnen, so schätzen Fachleute, spätestens ab 2020 allein 3,5 Billionen Kubikmeter Gas zur Verfügung stehen – weit mehr als das kleine Land selbst braucht.
Mehrere Hundert Milliarden Euro sollen die Öl- und Gasvorkommen wert sein. Zypern wäre damit saniert. Aber schon jetzt warnen viele vor übertriebenen Erwartungen. So sei bislang noch gar nicht geklärt, wie das Gas weiter transportiert werden soll. Die billigste und kürzeste Route verliefe über die Türkei, doch das ist angesichts der Feindschaft beider Länder derzeit so gut wie ausgeschlossen.
Die Zyperngriechen sprechen zwar mit Anrainern wie Libanon und Israel über die Ausbeutung der Erdgasvorräte im östlichen Mittelmeer, nicht jedoch mit den türkischen Zyprern im Norden - das hat das Verhältnis zwischen beiden Volksgruppen zusätzlich belastet. Dabei hat die Krise im Süden beide Seiten auch ein wenig näher gebracht.
Auf dem Atatürk-Platz in Nord-Nikosia: Eine türkisch-zyprische Theatergruppe macht Werbung für ihr neuestes Stück, eine Komödie von Dario Fo. Damit wollen sie gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik protestieren, die weltweit für die wachsende Armut verantwortlich sei. Das sagt die Leiterin der Gruppe, Nazan Sansal, und sie denkt dabei auch an ihre Landsleute im Süden:
"Türkische und griechische Zyprer können frei und gleichberechtigt auf dieser Insel zusammenleben. Davon sind wir überzeugt. Und dafür setzen wir uns ein. Wenn das Volk auf beiden Seiten zusammensteht, dann können auch solche Zeiten überstanden werden. Dann kann es nur besser werden."
Ein paar Meter entfernt im Saray Spielkasino schauen die Gäste stumm auf die bunten Scheiben, die sich in den Geldspielautomaten vor ihnen im Takt drehen. Knapp bekleidete Kellnerinnen verteilen Getränke. Und Mesut Sahin, der Manager dieses Spielcasinos im türkischen Norden von Nikosia, lässt seinen sorgenvollen Blick durch den Raum schweifen. Das Saray liegt nur wenige Meter von der Demarkationslinie entfernt. Bis vor Kurzem noch eine ausgezeichnete Lage fürs Geschäft, denn die griechischen Zyprer brachten gerne ihr Geld in türkische Spielcasinos:
"Die Lage dort hat uns ziemlich geschadet. Wir haben 50 Prozent weniger Umsatz, seit die Krise ausgebrochen ist. Nur ein paar Stammgäste kommen noch aus dem Süden, ansonsten versuchen wir mehr Gäste aus der Türkei anzulocken. Wir hoffen, dass es dem Süden wirtschaftlich bald wieder besser geht."
Gute Wünsche aus dem türkischen Norden an den fast bankrotten Süden. Seit der Öffnung der innerzyprischen Grenze vor zehn Jahren haben nicht nur die Glücksspielhäuser im Norden vom Geld aus dem Süden profitiert. Gerne deckten sich die griechischen Zyprer bei den Türken auch mit Stoffen, Schmuck und Lederwaren ein. Dabei hätten viele den reichen Bruder herausgekehrt, erinnert sich ein türkischer Schmuckhändler, der mit seinem Geschäft gleich hinter dem Übergang Ledrastraße steht:
"Sie sagten uns immer wieder: Schaut doch, ihr habt hier nichts, ihr müsst unter einem Embargo leben, aber wir sind reich und EU-Mitglied! Und nun? Das soll ihnen eine Lehre sein. Sie sollen ruhig wieder bescheiden von vorn anfangen."
Doch Schadenfreude ist unter den türkischen Zyprern eher die Ausnahme. Selbst der Präsident der türkischen Republik Nord-Zypern, Dervis Eroglu, bekannte öffentlich, dass ihm die Lage im Süden Sorgen mache. Das Mitgefühl kommt nicht von ungefähr: Auch der international isolierte Norden ist von ausländischen Geldüberweisungen abhängig – sie kommen aus der Türkei.
Zurück in der Ledrastraße, der belebten Einkaufszone von Süd-Nikosia. Die Cafés – Krise hin oder her – sind gut gefüllt, auch zwei Tage nachdem das Land fast völlig abgestürzt wäre. Doch bei Bier oder Café Frappé sind auch hier die Folgen der Krise das Hauptgesprächsthema:
"Die nächsten Jahre werden sehr hart, das macht uns Sorgen. Die Leute verlieren ja nicht bloß ihr Geld, sondern auch ihre Arbeit."
"Ich bin Bauunternehmer und hatte glücklicherweise weder auf der Laiki Bank noch auf der Bank of Cyprus viel Geld. Aber wenn der Bausektor nun zusammenbricht, wird es mich trotzdem treffen."
Die Weichen für eine Rettung Zyperns sind Sonntagnacht gestellt worden. Zyperns Banken haben zwar am Montag dieser Woche Notkredite zur Verfügung gestellt bekommen. Doch die Verhandlungen der Zyprer mit der Geldgeber-Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds gehen in den nächsten Wochen weiter. Experten sollen auf Zypern dem Verdacht der Geldwäsche nachgehen. Möglicherweise sollen noch Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche in die Vereinbarungen aufgenommen werden.
Zudem müssen etliche Parlamente der Geberländer dem Hilfspaket noch zustimmen – auch der Bundestag. Das zyprische Parlament braucht den Rettungsplan allerdings nicht mehr zu billigen. Erst wenn alle Hürden genommen sind, können die Finanzminister der 17 Eurostaaten die zugesagten zehn Milliarden Euro an Hilfsgeldern für Zypern freigeben, frühestens im April.
Zypern braucht jetzt nicht nur ein neues Geschäftsmodell, auch die Verwaltung des Landes müsse einen Neuanfang machen, sagt der Ökonom Zinonas Pophaidis. Mit der derzeit regierenden politischen Klasse könne das nur schwer gelingen:
"Ich mache mir Sorgen darüber, ob unsere jetzigen Politiker der Situation gewachsen sind. Die Bürger Zyperns werden wieder zu Wohlstand kommen. Die Frage ist, ob die Politik ihnen dabei im Wege stehen wird."
Mehr auf dradio.de:
Banken-Run auf Zypern befürchtet - Morgen öffnen die Geldhäuser - möglicherweise
Zypern: Bis zu 40 Prozent Zwangsabgabe auf große Bankguthaben - Demonstranten: "Ihr habt unsere Zukunft zerstört"
"Das Land muss durch ein tiefes Tal" - Wirtschaftsexperte: Finanzielle Hilfen für Zypern müssen ausgeweitet werden
Bankkunden retten und nicht Institutionen - Finanzexperte befürwortet Schließung von Banken in Zypern