Freitag, 29. März 2024

Archiv

Rumänien
Abwanderung von Ärzten stoppen

Seit dem EU-Beitritt 2007 hat Rumänien tausende Mediziner verloren. Viele sind nach Westeuropa gegangen, weil sie dort mehr verdienen. Die sozial-liberale Regierung in Bukarest hat reagiert: Ärztinnen und Ärzte können mit höheren Gehältern rechnen. Doch es geht um mehr.

Von Annett Müller | 16.11.2018
    Leiter der Intensivstation eines Bukarester Kinderkrankenhauses, Cătălin Cîrstoveanu, im Zimmer eines Säuglings.
    Leiter der Intensivstation eines Bukarester Kinderkrankenhauses, Cătălin Cîrstoveanu, im Zimmer eines Säuglings. (Deutschlandradio / Annett Mueller)
    Der Bukarester Chefarzt Cătălin Cîrstoveanu überprüft auf der Intensivstation die Herztöne eines Säuglings. Der winzige Körper ist mit vielen Geräten verkabelt. Die Station ist eine der modernsten in ganz Rumänien. Doch weil dem Kinderkrankenhaus Herzchirurgen fehlen, können die Neugeborenen nur an ein paar Tagen im Monat operiert werden. Cîrstoveanu muss deshalb immer wieder Patienten ablehnen:
    "Die Eltern stehen vor der Tür und weinen, es rufen Kollegen und Freunde an, wenn wir die Neugeborenen nicht aufnehmen können. Man steht hier unter einem hohen beruflichen und emotionalen Druck, den man kaum aushalten kann."
    Hohe Arbeitsbelastung, wenig Lohn
    Zumal Ärztinnen und Ärzte trotz der hohen Arbeitsbelastung im staatlichen Gesundheitssystem lange sehr schlecht bezahlt wurden. Das blieb nicht ohne Wirkung: Rumänien hat in nur einem Jahrzehnt rund 25.000 Mediziner verloren.
    Seit die sozial-liberale Regierung im Frühjahr die Einkommen für Ärzte an staatlichen Krankenhäusern um ein Vielfaches erhöht hat, kommt der 51-jährige Chefarzt Cîrstoveanu auf über 4.000 Euro netto monatlich. Viermal mehr als früher.
    "Wenn der rumänische Staat seine Mediziner würdigen und zuhause halten will, dann kann ich das nur begrüßen. Die Regierung hat eine außergewöhnliche Entscheidung getroffen."
    Doch der jahrelange personelle Aderlass hat die medizinische Grundversorgung vor allem in den rumänischen Dörfern weitgehend zum Erliegen gebracht. Auch in den Städten müssen die Patienten monatelang auf einen Arzttermin warten, selbst wenn sie schwer krank sind.
    Schmiergeld zahlen, Medikamente mitbringen
    In der Regel wird Schmiergeld gezahlt, um sich eine gute Behandlung zu sichern. Dass sich allein durch die höheren Arztgehälter etwas zum Besseren ändern wird - in Bukarest sind Patienten und Angehörige skeptisch:
    "Auch wenn die Ärzte jetzt hohe Gehälter haben, dem Patienten hilft das wenig. Es gibt kaum Investitionen in die Krankenhäuser, es fehlt an guten Medikamenten."
    "Meine Mutter war unlängst in einem staatlichen Krankenhaus. Die Ärzte sagten mir: 'Bringen Sie die Medikamente und Spritzen selbst mit.' Sie hatten sie einfach nicht."
    Keine Woche vergeht, ohne dass die rumänischen Medien über die desaströsen Bedingungen im staatlichen Gesundheitssystem berichten. Vor allem die Krankenhäuser in der Provinz sind mit völlig veralteten Geräten ausgestattet, die nur selten noch funktionieren. Auch das habe viele Medizinerinnen und Mediziner ins westliche Ausland getrieben, glaubt Mircea Ciocan, Vize-Chef von Sanitas, der größten Ärzte-Gewerkschaft in Rumänien:
    "Viele können gar nicht auf dem Niveau behandeln, für das sie ausgebildet worden sind. Da ist doch klar, dass sie das Land verlassen, dahin - wo es hohe Standards gibt und wo sie vor Behandlungsfehlern besser gefeit sind. Wenn wir unsere Krankenhäuser nicht besser ausstatten, dann werden wir auch die Auswanderung nicht stoppen können."
    Nur Ärzteschaft profitiert von höherem Gehalt
    Für eine bessere Ausstattung wird Rumänien noch Jahrzehnte brauchen. Hinzu kommt: Von der deutlichen Gehaltserhöhung profitieren erst einmal nur die Mediziner und damit nur rund 40 Prozent des gesamten medizinischen Personals im öffentlichen Dienst. Für den großen Rest - Pharmazeuten, Laboranten und einem Teil des Pflegepersonals - steigt das Gehalt nur stufenweise über die nächsten vier Jahre. Das dauere vielen zu lange, meint Gewerkschafts-Vize Ciocan:
    "Auf unserer Facebook-Seite droht uns dieses Personal täglich damit, auswandern zu wollen, weil es sich von der Regierung ungerecht behandelt fühlt. Wir haben Hunderte solcher Posts und wir können diese Unzufriedenheit immer schwieriger managen."
    Sollte die Regierung nicht darauf reagieren, meint Ciocan, werde es mit Sicherheit eine neue Welle von Auswanderungen geben.