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Rumänien
Liebe in Zeiten der Securitate

Im Rumänien der 80er-Jahre beginnt der Journalist Stefan eine verbotene und gefährliche Beziehung mit der Ehefrau eines aufstrebenden Parteisekretärs. Wie diese Liebe sich entwickelt und ob ein richtiges Leben im falschen überhaupt möglich ist – davon erzählt Andrei Mihailescus beeindruckendes Romandebüt "Guter Mann im Mittelfeld".

Von Mathias Schnitzler | 21.07.2016
    Tausende Rumänen jubeln am 24. Dezember 1989 in den Straßen von Bukarest. In der Zeitung ist zu lesen, dass Diktator Ceausescu und seine Frau verhaftet wurden.
    Tausende Rumänen jubeln am 24. Dezember 1989 in den Straßen von Bukarest. In der Zeitung ist zu lesen, dass Diktator Ceaușescu und seine Frau verhaftet wurden. (AFP / Christophe Simon Joel Robine)
    Als Redakteur der Bukarester Zeitung "Stimme des Sozialismus" hält Stefan Irimescu sich für einen "haiduc". Eine Art edlen Räuber an der Schreibmaschine. Glaubt der Mittdreißiger doch, dass aufmerksame Leser in seinen nach Parteilinie geschönten Artikeln minimale Veränderungen der üblichen Parolen feststellen können. Ein Akt der Aufklärung, wie der Journalist glaubt? Nein, ein klarer Fall von Selbstbetrug!
    Erst als Stefan Anfang der 80er-Jahre in den Elendsvierteln am Rande Bukarests recherchiert und einer seiner Informanten tot aufgefunden wird; erst als der obligatorische Securitate-Beamte in der Redaktion Stefan offen droht und ihn auffordert, seine Kollegen zu bespitzeln, geht ihm ein Licht auf. Auch seine eigenen Artikel erkennt er nun als Teil einer gewaltigen Kampagne. Deren Ziel: das rumänische Volk auszubeuten, es unmündig und eingesperrt zu belassen.
    Der Journalist kommt in die Folterkammern der Securitate
    "Meine Arbeit ist, wenn man das ganz ehrlich betrachtet, doch nur noch ekelhaft. Ich lasse mich bezahlen, um die Zerstörung einer ganzen Kultur zu verherrlichen."
    Warum diese Einsicht so lange auf sich warten ließ und Stefan, immerhin ein kritischer Intellektueller, sich der eigenen Verblendung erst so spät stellt, versucht er in einem Gespräch mit seinem älteren Kollegen Horia zu ergründen:
    "Das ist das Schlimme, Horia. Sie halten uns durch diese Illusion unter Kontrolle, dass jeder, wenn er nur schön brav ist, die Katastrophe vermeiden kann. Die Bestrafung. Wenn sie einen dann doch trifft, dann ist er – ihr Opfer – selber schuld, weil er eine Art Abmachung mit ihnen verletzt hat. Die Abmachung lautet: Sie lassen uns leben (wenn man das Leben nennen kann), und wir vermeiden alles, was sie ärgern könnte. Nicht die Angst vor ihnen macht uns fertig. Was uns wirklich im Zaum hält, ist die Angst vor der eigenen späteren Reue. Hätte ich doch nicht. Dann wäre ich noch. Dann könnte mein Bruder noch, meine Mutter. Dabei wusste ich doch. Die Schuld. Der Punkt ist aber: Wir haben mit ihnen keine Abmachung. Sondern sie haben einen Knüppel. Das ist etwas anderes als eine Abmachung."
    Welche Taten aber soll Stefan diesen Worten folgen lassen? Er beschließt zunächst, kritische Leserbriefe, die gewöhnlich in den Händen des Geheimdienstes landen, zu unterschlagen. Eine eher symbolische Aktion, die bald auffliegt und den Journalisten für eine Woche in die Folterkammern der Securitate bringt. Als er von schweren Misshandlungen gekennzeichnet und völlig erschöpft wieder entlassen wird, ist es einzig die zufällig vorbeikommende Raluca, Architektin und Ehefrau eines aufstrebenden Parteisekretärs, die sich seiner annimmt und ihn in ein Krankenhaus fährt.
    "Man rechnete in diesem Land nicht mehr mit normaler Menschlichkeit. Als Journalist war er mitschuldig daran. Er lebte davon, dass er Pflichterfüllung und Gehorsam als höchste Tugend pries. Auch er war mit der Zeit innerlich verarmt, ohne es zu merken. Richtig spürte man diese Kälte erst, wenn man selbst in Not geriet. Ihr Handeln hatte ihn wachgerüttelt."
    Eine verbotene und gefährliche Beziehung zwischen Stefan und Raluca beginnt, eine Liebe in den Zeiten der Securitate. Wie diese Liebe sich entwickelt und ob ein richtiges Leben im falschen, das heißt in der Diktatur, überhaupt möglich ist – davon erzählt Andrei Mihailescus beeindruckendes Romandebüt "Guter Mann im Mittelfeld". Dass Privates und Politisches, Moral, Gefühl und Überlebenswille sich in einem totalitären System nicht nur in die Quere kommen, sondern gegenseitig korrumpieren, müssen beide Protagonisten am eigenen Leib erfahren.
    Auch die Nebenfiguren sind klug durchdacht und plastisch gezeichnet
    Doch Mihailescu, der 1981 aus Rumänien in die Schweiz kam und in einer atmosphärisch dichten und zugleich sehr bildhaften deutschen Sprache schreibt, gibt seinem Roman noch ein zweites Gesicht. Man kann das Buch nämlich auch als politischen Thriller lesen, der mit seinen gewagten Zeitsprüngen, den ständigen Perspektivwechseln und Passagen atemlosen Tempos ein Höchstmaß an Spannung erzeugt.
    Stefan, der irgendwann beschließt, sich dem Terror Ceauşescus mit allen Konsequenzen zu widersetzen, ist den Geheimdienstleuten und Spitzeln oft nur wenige Meter voraus. Vielleicht spielt die Securitate aber auch nur Katz und Maus mit ihm und seinen Vertrauten.
    Der wiederholte Wechsel von der politisch-gesellschaftlichen Ebene zu eher thrillerhaften Handlungssträngen wird von Mihailescu geschickt eingesetzt. Folgte man dem Autor eben noch in komplexe Reflexionen über Mittäterschaft und die Verantwortung des Einzelnen, erwartet man plötzlich wie gebannt den nächsten Schlag der Geheimpolizei. Dass der Leser dabei genüsslichen Gefallen an der Spannung findet, lässt ihn irritiert und gleichsam mit einer Art Schuldgefühl zurück.
    Nicht nur Stefan und Raluca, auch die Nebenfiguren sind bei Mihailescu klug durchdacht und plastisch gezeichnet. Wir verfolgen Ralucas Ehemann hautnah auf dem angestrebten Weg in die Höhen der Kommunistischen Partei und werden Zeuge seiner brutalen Rachepläne gegenüber dem Nebenbuhler und sogenannten "Volksfeind" Stefan. Dessen Chef, ein hoch angesehener Journalist, nimmt seinen Redakteur zunächst vor allen Repressionen in Schutz, lässt ihn schließlich aber eiskalt fallen. Und Ecaterina, ehemalige Buchhändlerin und Mutter Stefans, skizziert in einem Gespräch mit Raluca ihre persönliche Minima Moralia für ein Leben in der Diktatur: Integrität, Urteilsfähigkeit, die Balance zwischen steter Wachsamkeit und Vertrauen gegenüber den richtigen Leuten.
    Die hungrig verwilderten, streunenden Hunde von Bukarest
    Stefans Motivation des Widerstands hingegen macht sich von Beginn an weniger rational, fast etwas unbekümmert und spielerisch aus, was durch die Fußballmetapher im Titel und im folgenden Zitat noch verstärkt wird. Wenn der Terror hoffentlich einmal vorbei sei, so erklärt er der schwangeren Raluca, wolle er seinem Kind in die Augen schauen und sich nicht schämen müssen für sein Leben.
    "Dass ich mich ein klein wenig stolz fühle. Weil ich damals, also heute, mich ins Zeug gelegt habe, so wie ich es halt konnte, meinetwegen naiv, ungeschickt, aber ich habe etwas getan. Ich war auf dem Spielfeld, habe dort etwas bewegt, in der Mitte, weißt du, wo die Typen rennen, die nie ein Tor schießen. Sie rennen hin und her und geben den Ball weiter. Oder sie bekommen nicht mal den Ball, aber sie stören ein wenig die Gegner. So will ich von mir denken. Ein einfacher Kerl, der sein Bestes gibt, ein guter Mann im Mittelfeld."
    Andrei Mihailescu entwirft das Bild einer rumänischen Gesellschaft, die materiell und existenziell leidet: In den 80er-Jahren sind die Regale in den Läden leer, Strom und Heizwärme werden rationiert, die Bürger sehen sich reduziert zu Nutztieren. Schlimmer noch erscheint die ständige Angst und Bedrohung der Menschen, die zu Denunziationen, seelischen Krankheiten und allgemeiner Verrohung führen. Mehrfach setzt der Autor das rumänische Volk in Beziehung zu den hungrig verwilderten, streunenden Hunden von Bukarest.
    Dazwischen aber wird Mihailescu immer wieder quälend konkret: Am Ende stehen Stefan, der Kämpfer gegen das Unrecht, und Raluca, die ihre neue Familie schützen und einfach nur überleben will, vor einer schicksalhaften, ihre Liebe bedrohenden Entscheidung.
    Andrei Mihailescu: Guter Mann im Mittelfeld.
    Nagel & Kimche, München 2015. 347 Seiten, 22 Euro.