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Rumänien opfert einzigartige Natur für den Tourismus

Im rumänischen Westen ist die Natur noch derart intakt, dass man von einem der letzten Urwälder Europas spricht. Zwei Drittel der europäischen Bären, Wölfe und Luchse leben hier. Genau diese Gegend soll jetzt massentouristentauglich gemacht werden.

Von Thomas Wagner | 28.09.2011
    Kaum ein Durchkommen in einem der letzten europäischen Urwälder.

    "Buchen, Fichten sind da. Die Bäume sind von verschiedenen Größen und unterschiedlich alt. Viele Bäume sind umgestoßen, sind am Sterben. Das ist einfach eine natürliche Diversität in diesem Wald. Das ist ein wertvolles Habitat für den Luchs, für Wölfe. In Rumänien leben zwei Drittel der gesamten Population von Bären, Wölfen und Luchsen aus ganz Europa. Und dieses Gebiet ist eben auch sehr wichtig dafür."

    Wenn Andreas Beckmann, Leiter des Donau-Karpatenprogramms im World Wide Fund for Nature, über den Domogeld- und den Retezat-Nationalpark im Westen Rumäniens spricht, gerät er ins Schwärmen: ein riesiges, 100.000 Hektar großes Biotop das Ganze, das seit Jahrhunderten ungestört vor sich hinwuchert - noch. Denn nun droht Ungemach für einen der letzten europäischen Urwälder: der Bau der rund 100 Kilometer langen Nationalstraße 66A mitten durch die beiden Nationalparks.

    "Also für uns ist dieses Straßenbauprojekt sehr wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung in dieser Region. Wenn diese Region erst einmal erschlossen ist, wird das eine große Attraktion werden für Touristen. Und außerdem erhöht die Straße die Verkehrssicherheit. Also wir glauben, das ist für diese Region eine sehr wichtige Zielsetzung."

    Sorin Lucaci ist Direktor der Straßenbaudirektion im westrumänischen Temeswar. Längst hat er die Bagger schon in Gang gesetzt. 47 der über 100 Kilometer langen Straße, die sich durch die beiden Nationalparks schlängelt, sind bereits fertig. Umweltschützer Andreas Beckmann vom World Wide Fund for Nature sieht darin ein Naturfrevel erster Güte. Nicht nur, dass die Straße die natürlichen Bewegungsrouten der Bären, Luchse und Wölfe einfach durchtrennt - viel drastischer seien die langfristigen Folgen.

    "Eine Straße bringt auch Leute, Menschen. Sie bringt Ferienhäuser und so weiter. Dieser sekundäre Druck ist auch sehr ernst zunehmend. Siedlungsdruck - Zersiedlung dieser Gegend. Wir verlieren damit ganz einfach diese Wildnisgegend, also man kann sagen die letzte in Europa, mit Ausnahme von Finnland."

    Dass die rumänische Regierung eine Nationalstraße einfach so mir nichts, dir nichts durch zwei eigentlich geschützte Nationalparks bauen lässt, will Andreas Beckmann nicht in den Kopf.

    "Das Problem ist einfach, dass die Umweltrechte in diesem Fall einfach zur Seite geschoben werden. Es muss da eine Umweltprüfung gemacht werden. Die ist auch offiziell gemacht worden. Aber sie ist innerhalb von fünf Tagen gemacht werden. Das ist so gesehen eine Farce. Gerade in solch einem Gebiet sollte so etwas mindestens Monate dauern. Also es müsste schon gründlich gemacht werden - einfach, weil dieses Gebiet so wertvoll ist."

    Die Umweltrechte seien bei diesem Straßenbauprojekt mit Füßen getreten worden - ein schwerwiegender Vorwurf, den Sorin Lucaci vom Temeswarer Straßenbauinspektorat energisch zurückweist.

    "Die nationale Umweltagentur Rumäniens hat bei der West-Universität Temeswar eine Studie in Auftrag gegeben. Thema: Welche Auswirkungen hat der Straßenbau auf die Artenvielfalt? Und was muss man tun, um die Artenvielfalt so weit wie möglich zu erhalten, ja sogar zu unterstützen? Da haben Wissenschaftler aus den Bereichen Chemie, Biologie und Geografie zusammengearbeitet. Und sie haben ganz konkrete Vorschläge ausgearbeitet. Die setzen wir um, weil sie dem Ziel dienen, die Auswirkungen des Straßenbauprojektes auf seltene Tier- und Pflanzenarten auf ein Minimum zu reduzieren."

    Sorin Lucaci verweist als Vertreter der rumänischen Straßenbauverwaltung auf zahlreiche sogenannte Ausgleichsmaßnahmen: Damit sollen Eingriffe in die Natur wieder wettgemacht werden.

    "Wir planen eine ganze Reihe von Unterführungen und Brücken. Damit sollen seltenen Tierarten, vor allem Amphibien, die Möglichkeit erhalten, unbeschadet von einer Seite der Straße zur anderen gelangen. Wir installieren Schilder an der Fahrbahn, die auf möglichen Wildwechsel aufmerksam machen."

    Für Naturschutzorganisationen wie den World Wild Fund for Nature sind das reine Alibimaßnahmen, während die Regierung die beiden Regionen, in die die beiden Nationalparks eingebettet sind, vor allem für den Tourismus erschließen möchte - und das kommt nicht von ungefähr: Denn die neue Nationalstraße 66A soll die strukturschwache Region Valea Jului, in der auf EU-Druck viele Minen geschlossen wurden, mit dem Cerna-Tal in der Nähe der Donau verbinden. Die Straßenbauarbeiten gelten auch als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die zahlreichen arbeitslosen Minenarbeiter in der Region. Dieser Zweck heiligt aber lang noch nicht die Mittel, sagen Naturschützer wie Andreas Beckmann vom World Wild Fund for Nature:

    "Es verstößt ganz sicher gegen nationales Recht. Es verstößt aber auch gegen EU-Recht. Es gibt ein Schutzgebietssystem in Europa, das Naturschutz-2000-Netzwerk. Und da geht es ganz klar gegen die EU-Richtlinien. Wir werden eine Beschwerde einreichen bei der Europäischen Kommission. Das Problem dabei ist, dass solche Beschwerden immer sehr lange dauern. Und inzwischen können Tatsachen geschaffen werden."