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Rumänien
Tabuthema Judenvernichtung

Rumänien hat sich lange schwer getan, die eigenen Verbrechen an den Juden zur Zeit des Zweiten Weltkrieges aufzuarbeiten. Inzwischen bewegt sich etwas im Land. Doch die Unwissenheit der Menschen über die Schattenseiten der rumänischen Geschichte ist immer noch groß.

Von Leila Knüppel | 04.07.2019
Die Holocaust-Gedenkstätte in Bukarest, Rumänien
Die Holocaust-Gedenkstätte in Bukarest, erschaffen vom Bildhauer Peter Jacobi, wurde 2009 eröffnet. Namen von Opfern sind dort in ein langes metallenes Band in der Wand eingraviert. (Imago/ Walter Bibikow)
"Wir haben gerade über das Denkmal geredet. Wir wissen nicht viel darüber."
Der junge Mann mit Hipster-Vollbart und seine Freundin haben es sich mit ihren Kaffee-to-go-Bechern auf der Bank in der Bukarester Innenstadt gemütlich gemacht. Ihnen gegenüber reckt sich eine rostrote Eisenskulptur in den blauen Himmel. Das Holocaust-Mahnmal, erst vor zehn Jahren wurde es errichtet.
Reporterin: "Was haben Sie denn in der Schule über den Holocaust gelernt?"
Kaffeetrinkerin: "In der Schule leider gar nichts."
In Rumänien hat es in den 1930ern die drittgrößte faschistische Organisation Europas gegeben. Die Eiserne Garde. Ob sie davon etwas wüssten? Nein.
Eine Metallsäule ist Teil des Holocaustdenkmals im Zentrum von Bukarest, das der Bildhauer Peter Jacobi geschaffen hat.
Eine Metallsäule ist Teil des Holocaustdenkmals im Zentrum von Bukarest, das der Bildhauer Peter Jacobi geschaffen hat. (picture alliance/dpa/Jens Kalaene)
"Uns wird davon in der Schule nichts erzählt"
Und auch über den Mord an den rumänischen Jüdinnen und Juden, der in den 40ern vom damaligen rumänischen Diktator Ion Antonescu befehligt wurde und an den das Mahnmal erinnert, wüssten sie kaum etwas:
"Uns wird davon in der Schule nichts erzählt", sagt sie. "In unseren Familien reden wir nicht darüber. Und wenn wir Dokumentationen oder Filme über den Holocaust sehen, geht es nicht um Rumänien."
Der Bank direkt gegenüber steht, als Teil des Holocaust-Denkmals, eine Eisenkonstruktion, die einen Davidstern symbolisiert. "Zwischen 1940 und 1944 war der rumänische Staat für den Tod von mindestens 280.000 Juden verantwortlich", steht auf einer Gedenktafel.
Gewalt auch gegen Roma
Etwas weiter hinten liegt ein eisernes Rad – ein Symbol der Roma. Über 11.000 von ihnen fielen der Gewalt unter Diktator Antonescu zum Opfer. Zigeuner nennt der junge Mann sie:
"In Rumänien sehen viele die Situation mit den Zigeunern auch heute noch als Problem. Manche Rumänen sagen, Antonescu habe das Problem mit den Zigeunern damals gelöst und deswegen finden sie ihn gut. Viele Menschen wollen einfach, dass die Zigeuner marginalisiert werden, ausgeschlossen, weil sie stehlen, morden. Also denken sie: Wenn es damals geklappt hat, warum nicht auch heute."
Vorurteile und Vernichtungsfantasien. Der junge Mann schickt Beschwichtigungen hinterher: "Aber die junge Generation ist anders, sie möchte, dass unsere Gesellschaft gut für jeden ist."
Bericht zur Beteiligung Rumäniens am Holocaust
Etwas weiter nördlich in Bukarest, in einer alten Villa, ist das Elie-Wiesel-Institut zur "Erforschung des Holocausts in Rumänien" untergebracht. Die Leiterin der Forschungsabteilung (*), Ana Barbulescu, führt durch die Räume. 2005 wurde das Institut gegründet. Kurz vorher hatte eine internationale Historikerkommission unter Leitung des rumänischen Holocaustüberlebenden Elie Wiesel einen Bericht vorgelegt, zur Beteiligung Rumäniens am Holocaust. Der Staat hatte daraufhin die Verantwortung für die Taten anerkannt.
"Wir haben drei Arten von Projekten: einmal Forschungsprojekte über den Holocaust unter der rumänischen Regierung. Dann haben wir Unterrichts- und Kulturprojekte."
Unter dem Dach sind die Schulungsräume untergebracht. Hier wird Jugendlichen, jungen Lehrern und Lehramtsstudenten von der Ermordung der Juden in Antonescus Rumänien erzählt. Manche hören das zum ersten Mal.
"Man muss in Betracht ziehen, dass meine Generation weder in der Schule noch in der Uni etwas über den Holocaust in Rumänien gelernt hat. Ich habe erst davon erfahren, als ich 23 Jahre alt war und meine Masterarbeit geschrieben habe. Und ich war schockiert, ich konnte es nicht glauben. Der Unterricht und Schulungen zu dem Thema, damit wurde ja erst 2004 begonnen. Aber mittlerweile gibt es viele Lehrer, die über den Holocaust mit ihren Schülern sprechen möchten und ihnen nicht nur die Geschichte erklären, sondern auch die Gefahr, die von Stereotypen, von Diskriminierung ausgeht. Es gibt einen gesellschaftlichen Wandel."
Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel
Der verstorbene Holocaustüberlebende und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel im Jahr 2014 (picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)
Engagement gegen Hasskommentare im Netz
Ana Barbulescu führt ihren Besuch weiter in ihr Büro. An ihrem Schreibtisch ruft sie die Internetseite "Ohne Hass" auf, die ihr Institut betreibt. Für das Projekt haben die Wissenschaftler Kommentare in sozialen Medien untersucht. Vorurteile gegen Roma – und gegen Juden, wie beispielsweise:
"Es gab in Rumänien keinen Holocaust. Das ist das Thema. Und hier wird es dekonstruiert, wissenschaftlich."
Auf der Seite reagieren die Forscher auf die Hasskommentare – widerlegen sie wissenschaftlich und erklären, wie und wann die Vorurteile entstanden sind.
"Die Nutzer hier leugnen auch nicht den Holocaust in Europa, sie leugnen den Holocaust in Rumänien. Wir haben diesen Konflikt der Erinnerungen. Die Eiserne Garde, die faschistische Bewegung in Rumänien, sie war auch eine antikommunistische Bewegung, natürlich. Und die, die die Eiserne Garde heute noch gut finden, tun das, weil sie gegen die Kommunisten gekämpft haben. Und vergessen dabei, dass sie zwar gegen die Kommunisten waren, aber keinesfalls für demokratische Werte."
Porträt der Leiterin des Elie-Wiesel-Instituts in Bukarest, Ana Barbulescu
Erfuhr selbst erst als Studentin von der Ermordung der Juden in Rumänien: Ana Barbulescu, die Leiterin des Elie-Wiesel-Instituts in Bukarest (Deutschlandradio/ Leila Knüppel)
Ein neuer rechter Diskurs kommt auf
Heutige rechtsextreme Parteien wie die "Noua Dreapta" – die "Neue Rechte" – haben allerdings nur wenige Unterstützer, meint Ana Barbulescu. Im Parlament sind sie nicht vertreten. Ihr bereitet etwas ganz anderes Sorge:
"Ich habe den Eindruck, dass dieses Jahr zum ersten Mal ein extrem rechter Diskurs aufkommt. Nicht nur bei rechtsextremen, auch in den Volksparteien wird jetzt gegen Fremde, multinationale Institutionen, und auch gegen die EU gehetzt."
(*) Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, Ana Barbulescu sei Leiterin des Elie-Wiesel-Instituts. Wir haben diesen Fehler korrigiert.