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Rumänische Revolution
Ein Pfarrer brachte den Stein ins Rollen

Der Diktatur in Rumänien konnte das Wende-Geschehen in anderen Ostblockländern lange nichts anhaben. Es gab es kaum Dissidenten. Einer, der sich traute, gegen das Regime aufzustehen, war Pfarrer László Tőkés. Er gilt als derjenige, der die Revolution auslöste. Heute steht er in der Kritik.

Von Leila Knüppel und Manfred Götzke | 10.12.2019
Der rumänische Pfarrer und Politiker László Tőkés
Der Mann, der die Revolution in Rumänien 1989 auslöste: der Politiker und Kirchenmann László Tőkés (Deutschlandradio/ Leila Knüppel/ Manfred Götzke)
"Für die Rückgabe haben wir 18 Jahre gekämpft. Damit wir diese Kirche dort wieder bekommen." Zsolt Szilágyi zeigt auf das neu renovierte Gebäude der ungarischen Universität von Oradea. "Das Gebäude hat unsere Kirche der ungarischen Universität übertragen – und so konnten wir sie wiedereröffnen. Die Kommunisten hatten sie in den 50ern zu einem Teil der rumänischen Universität gemacht. Auch nach der Wende wollte der Staat das nicht ändern, und so haben wir das selbst in die Hand genommen."
László Tőkés löste den Aufstand aus
30 Jahre liegt die Wende zurück – und in diesen 30 Jahren ist es der ungarischen Minderheit hier in Oradea im Westen Rumäniens gelungen, vieles aufzubauen, findet Zsolt. Eigentlich könnte er noch Stunden über die vielen Erneuerungen sprechen. Dann kommt aber sein Arbeitgeber: László Tőkés – Pfarrer, Bischof, EU-Parlamentarier, Universitäts- und Parteigründer. Und der Mann, dessen Name in keinem Buch über die Rumänische Revolution fehlt. Schließlich hat er den Aufstand ausgelöst.
Unscheinbar, eine Aktentasche in der Hand, eine Zigarette im Mund kommt er über den Universitätsparkplatz getrottet. Wer sein Gesicht nicht kennt, der könnte ihn für einen Englischlehrer oder einen Finanzbeamten halten.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe 30 Jahre nach der Ceaușescu-Diktatur - Mühsame Aufarbeitung in Rumänien.
In welcher Sprache wir denn das Interview führen wollen, fragt der 67-Jährige im Büro – während er seine Zigarette zu Ende raucht. Am liebsten möchte er Ungarisch sprechen, Rumänisch eher nicht. Dann schon besser Englisch. Das mag auch damit zusammenhängen, dass die ungarische Minderheit unter dem Ceaușescu-Regime besonders zu leiden hatte.
"Wir waren eine doppelte Minderheit – eine ethnische und eine religiöse. Auch deswegen haben wir stärker gegen das Regime revoltiert. Die unterdrückten Minderheiten haben schon eine entscheidende Rolle gespielt beim Fall des Kommunismus. So wie es bei mir und meiner Kirche der Fall war. Es war klar, dass wir allein diese Revolte nicht gewinnen konnten – aber wir waren genug, um sie auszulösen."
Der rumänische Pfarrer László Tőkés 1990 
Pfarrer László Tőkés im Jahr 1990 (Imago/ Detlev Konnerth)
"Das ließ mich die Mauer des Schweigens brechen"
Damals leitete er die Gemeinde der reformierten ungarischen Kirche in Timișoara und predigte offen über die Situation in Rumänien, im Winter 1989, als im Nachbarland Ungarn der Eiserne Vorhang schon längst weg war.
"Ceaușescus Plan, die Dörfer zu systematisieren, war für mich und viele andere der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. 7.000 Dörfer sollten zerstört werden. Das konnte ich als Christ nicht akzeptieren. Das ließ mich die Mauer des Schweigens brechen."
In seiner leisen, bescheidenen Art wirkt er so gar nicht wie ein Revolutionär, der unerschrocken gegen ein ungerechtes Regime kämpft.
"Für mich war der Protest damals alternativlos. Aber mir war klar, wenn wir nicht gewinnen, würde das – ich will nicht pathetisch werden – unseren Tod bedeuten. Und unsere Hoffnungen waren nicht groß. Ein paar Tage vorher, am 14. Dezember, war Ceaușescu ja wiedergewählt worden, unterstützt von allen Kirchenführen, auch meinem Bischof."
Der wollte seinen Pastor deshalb in ein Dorf strafversetzten. Doch Tőkés weigerte sich zu gehen. Seine Gemeinde unterstützte ihn, hielt Mahnwachen in der Kirche. "Von da an haben sich die Ereignisse überschlagen. Der Protest gegen meine Abberufung vor meiner Kirche wandelte sich zu einem Protest gegen Ceaușescu. Das war der Auslöser."
Tőkés wurde schließlich von der Securitate abgeholt. Die Massenproteste in Timișoara gingen jedoch weiter.
Auf einer Bank in der Reformierten Ungarische Kirche im rumänischen Timișoara liegt ein hübsch eingebundenes Buch
Eine kleine, unscheinbare Kirche in der rumänischen Stadt Timișoara: Hier nahm die Revolution ihren Ausgang (Deutschlandradio/ Leila Knüppel/ Manfred Götzke)
"Politische Parteien sind vergiftet vom Kommunismus"
Eigentlich sollte Tőkés Platz in der rumänischen Geschichte klar sein – erst recht 30 Jahre nach der Revolution. Doch noch immer muss er um die Deutung der Ereignisse kämpfen, berichtet er. Ehemalige Offiziere des rumänischen Geheimdienstes behaupteten kürzlich im Fernsehen, Tőkés sei CIA-Spion gewesen.
"Ich klage gerade dagegen. Der Prozess läuft. Aber es ist ein seltsames Gefühl, dass ich immer noch gegen sie ankämpfe. Es ist schon ziemlich desillusionierend und anstrengend." Auch 30 Jahre nach der Wende würden die Alt-Kommunisten oder deren Kinder die Geschicke des Landes bestimmen, meint Tőkés.
"Rumänien ist der Rekordhalter, was die Wiederherstellung kommunistischer Verhältnisse betrifft. Nur bei uns war bis vor ein paar Monaten noch eine postkommunistische Partei an der Macht. Und auch jetzt wird sich nicht viel ändern – alle politischen Parteien, die gesamte politische Klasse ist vergiftet vom Kommunismus."
"Wir sind das einzige postkommunistische Land, in dem die Revolutionäre, diejenigen, die für Freiheit gekämpft haben, in der Politik keine Rolle spielen. Wir wurden marginalisiert."
Einsatz für die ungarische Minderheit
Auf dem Tisch vor Tőkés liegen einige Broschüren – eine mit dem Titel: "Die Rache der Revisionisten". Auf dem Buchdeckel ist der "Stern von Rumänien" abgebildet, der höchste Orden des Landes.
Dieser wurde Tőkés für seine Verdienste in der Revolution verliehen, vor drei Jahren dann aber wieder aberkannt – weil er angeblich Separatismus fördere. Die Broschüre: eine Streitschrift gegen die Aberkennung. Tőkés klagt auch dagegen.
"Ich habe nur gesagt, dass die ungarische Minderheit hier Schutz braucht vom ungarischen Staat. Diese Aussage verletzt ja nicht die Souveränität des rumänischen Staats."
Bis heute kann er nicht verstehen, dass es ausgerechnet Staatspräsident Klaus Iohannis war, der ihm den Verdienstorden aberkannte. Schließlich sei dieser selbst Angehöriger einer Minderheit.
"Dieser Akt des Präsidenten verletzt die Würde aller Revolutionäre von Timișoara. Der Orden wurde dafür verliehen, dass wir aufgestanden sind für die Freiheit. Wir haben damals einen Kampf um Leben und Tod geführt. Das ist eine Schande für den rumänischen Staat, dass so etwas passieren kann – 30 Jahre nach der Revolution."