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Rurik-Expedition
Die beschwerliche Suche nach der Nordwest-Passage

Es war eine der letzten Segelschiffreisen um die Welt vor der Massen-Industrialisierung, als die Völker noch wenig voneinander wussten und das Reisen beschwerlich war. Die vor 200 Jahren begonnene Rurik-Expedition zeichnete sich durch die Teilnahme eines Dichter-Gelehrten aus, dessen akkurater Reisebericht bis heute amüsiert.

Von Mathias Schulenburg | 30.07.2015
    Eine Zeichnung und ein Modell von Adelbert von Chamisso (1823) sind in der Staatsbibliothek in Berlin zu sehen.
    Zeichnungen von Adelbert von Chamisso. (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Das Berliner Museum für Naturkunde ist reich an Schätzen, vor allem solchen, die erst durch eine Geschichte zu Wert kommen. Wie sechs handgroße Walmodelle, im hohen Norden aus Treibholz geschnitzt, auf Bitten des Dichters, aber auch Naturforschers Adelbert von Chamisso:
    "Von den erfahrensten Aleuten ließ ich mir die Walfischmodelle verfertigen und erläutern, die ich in dem Berliner Museum niedergelegt habe. Für diesen Teil der Zoologie ist jede Nachricht schätzbar."
    Die Episode war Teil einer russischen Weltumseglung auf der Brigg "Rurik" unter dem Kommando Otto von Kotzebues, der eine romantische Qualität nachgesagt wird, wie sie die Expedition des Engländers James Cook, Käpt'n Cook, vier Jahrzehnte zuvor gehabt hatte. Sie führte von Kopenhagen über Teneriffa, Brasilien und Chile nach Alaska, San Francisco, Hawaii und in die südpazifische Inselwelt. Adelbert von Chamisso nahm als sogenannter Titulargelehrter für vornehmlich Pflanzenkunde teil; die Stelle war der Vermittlung von Freunden und einigem Glück zu verdanken. Chamisso wurde von Kapitän und Mannschaft wenig geliebt, wie sich bald nach Beginn der Reise am 30. Juli 1815 herausstellen sollte. So musste Chamisso als Wissenschaftler Pflanzenteile präparieren und sammeln, aber:
    "Der Kapitän protestierte beiläufig gegen das Sammeln, indem der Raum des Schiffes es nicht gestatte und ein Maler zur Disposition des Naturforschers stehe, zu zeichnen, was dieser begehre. Der Maler aber protestiert, er habe nur unmittelbar vom Kapitän Befehle zu empfangen."
    Ab und an gingen die Pflanzensammlungen sogar über Bord, oder die Matrosen stopften ihre Kopfkissen damit aus. Chamisso bemühte sich dennoch nach Kräften, nützlich zu sein:
    Das Portrait von Adelbert von Chamisso auf einer Steintafel an einem Wohnhaus in Berlin-Mitte
    Das Portrait von Adelbert von Chamisso auf einer Steintafel an einem Wohnhaus in Berlin-Mitte (picture alliance / dpa - Beate Schleep)
    "Ich hatte mich vorsorglich über das Prinzip und den Bau [einer] Filtrierfontäne belehrt und erbot mich, eine solche zu verfertigen. Das zur ungünstigsten Zeit geschöpfte und jetzt schon sehr übel riechende Wasser der Newa, welches wir tranken, schien meinen Antrag zu unterstützen. Nichtsdestoweniger fand er keinen Anklang. Es fehlte an Raum, an Zeit, an andern Erfordernissen, und zuletzt war der Kapitän der Meinung, das Filtrieren werde dem Wasser die nahrhaften Teile entziehen und es weniger gesund machen. Ich sah ein, daß ich die Sache fallenlassen müsse."
    Rache nach der Reise
    Der Hauptgrund für die geringe Wertschätzung Chamissos war wohl, dass die Expedition der Rurik weniger das allgemeine Wissen mehren, sondern eine kommerziell wichtige Passage durch das Eis im hohen Norden, zwischen Atlantik und Pazifik, finden sollte, die legendäre Nordwest-Passage, jetzt nur vom Osten her erkundet, die als Schifffahrtsweg bis dahin nur in der Fantasie existierte. Dann, am 2. August des zweiten Expeditionsjahres, nördlich von Alaska, schien eine Passage gefunden:
    "Kotzebue schickte einen Matrosen in den Mastkorb, der tatsächlich meldete, dass sich ostwärts nichts als offene See befände, was einen unbeschreiblichen Jubel auslöste."
    Kotzebue mag an eine entscheidende geografische Entdeckung gedacht haben, die ihn mit Cortez oder Cook auf eine Stufe stellte. Am Ende kam die Enttäuschung: das Wasser war für Schiffe einfach nicht tief genug und am Ende Teil einer Bucht.
    Eine taugliche Passage wurde auch später nicht gefunden, sodass die Expedition ihr Hauptaugenmerk auf Kartografie, Land und Leute richtete. Kapitän Kotzebue zog Tschukten vor den Spiegel in seiner Kajüte und beobachtete, "daß die nordischen Völker den Spiegel fürchten, die südlichen hingegen sich mit Wohlgefallen darin betrachten."
    Die Russen fanden den Süden und seine Menschen auch viel schöner. Nach drei Jahren wieder zu Hause, veröffentlichten zuerst Kotzebue, dann Chamisso ihre Reiseberichte. Chamisso ließ Kotzebue nicht gut aussehen:
    "Die zu seinem Herrscheramte erforderliche Kraft musste er sich mit dem Kopfe machen; er hatte keine Charakterstärke; und auch er hatte seine Stimmungen. Er litt an Unterleibsbeschwerden, und wir spürten ungesagt auf dem Schiffe, wie es um seine Verdauung stand."
    Die über Bord gegangenen Pflanzensammlungen waren gerächt. Chamissos hatte trotzdem gute Arbeit geleistet. Seine allen Widrigkeiten zum Trotz beachtliche wissenschaftliche Sammlung erhielten Berliner Institutionen, ihre Auswertung belegt Chamissos wissenschaftlichen Rang. Er wurde Kustos am Königlichen Herbarium und Botanischen Garten zu Berlin-Schöneberg. Die kleinen Wale aus Holz wurden in einer wichtigen Publikation gewürdigt. 2012 erschien seine "Reise um die Welt" neu, als illustrierter 500 Seiten starker Prachtband.