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Russisch-amerikanische Beziehungen
"In einer Eskalation sind wir schon seit Längerem drin"

Nachdem der US-Kongress weitere Sanktionen gegen Russland auf den Weg gebracht habe, sei nur "sehr schwer abzusehen", wie sich die Lage zwischen beiden Ländern entwickeln werde, sagte der Sicherheitsexperte Christian Mölling im Dlf. Die Frage sei, wer in der Eskalation die Dominanz habe.

Christian Mölling im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 31.07.2017
    Das Bild zeigt US-Präsident Donald Trump und den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
    Durch den Abbau des diplomatischen Chorps in den USA fehle es aktuell an Fachleuten, die zu einer Deeskalation der Lage zwischen Russland und den USA beitragen könnten, sagte Sicherheitsexperte Christian Mölling im Dlf. (dpa-Bildfunk / AP / Evan Vucci)
    Ann-Kathrin Büüsker: Es war der US-Kongress, der sie auf den Weg gebracht hat: neue Sanktionen der USA gegen Russland. Sanktionen, die vor allem den Energiesektor treffen würden, weshalb auch die EU gar nicht unbedingt so glücklich damit ist. Die deutsche Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries, die hat jetzt noch einmal bekräftigt, dass man in Berlin notfalls über Gegenmaßnahmen nachdenkt. Sie sorgt sich vor allem um solche Projekte wie Nord Stream 2, eine Pipeline, die russisches Gas nach Deutschland bringen soll, und in Moskau ist man auch wenig amüsiert über die neuen Sanktionen. Präsident Wladimir Putin hat gestern die bereits angekündigten Reaktionen noch einmal genauer ausgeführt: Er will vor allem diplomatisches Personal des Landes verweisen.
    Was bedeutet diese Reaktion aus Moskau jetzt für die Beziehung zwischen Russland und den USA – darüber möchte ich mit Christian Mölling sprechen, stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der DGAP und Fachmann für Sicherheitspolitik. Guten Tag, Herr Mölling!
    Christian Mölling: Guten Tag!
    Büüsker: Die US-Regierung, die nennt diese Konsequenz aus Moskau jetzt bedauerlich und ungerechtfertigt. War das nicht ziemlich absehbar, dass Russland genau so reagieren wird?
    Mölling: Genau so konnte man das vielleicht nicht voraussehen, aber dass Moskau reagieren musste, das war, glaube ich, relativ klar, und dass man jetzt hier noch mehr Amerikaner ausweist, war sicherlich eine einfache Möglichkeit, weil das natürlich direkte Einflussmöglichkeit des russischen Präsidenten gewesen ist.
    "Man wollte einfach in Washington auch Stärke demonstrieren"
    Büüsker: Warum ist der Kongress dieses Risiko einer möglichen russischen Reaktion dann trotzdem eingegangen, indem es die Sanktionen beschlossen hat?
    Mölling: Ich glaube, hier spielen innenpolitische Gründe einfach eine Rolle. Man wollte einfach auch innerhalb Washingtons Stärke demonstrieren und zeigen, dass man das durchsetzen kann und auch, dass die USA im Zweifelsfalle einen Sanktionskurs auch alleine durchziehen können, ohne die Zustimmung der westlichen Partner, die bisher dabei gewesen sind. Also alles in allem, etwas, wo es um viel Symbolpolitik geht, die jetzt allerdings einen sehr erheblichen Schaden gebracht hat.
    "Alles in allem wird das ganze System ein bisschen instabiler"
    Büüsker: Wie groß ist dieser Schaden aus Ihrer Sicht?
    Mölling: In der Höhe kann man es nicht beziffern, aber was einfach passiert ist, es fehlt sozusagen ein weiterer Baustein in all dem, was internationale Diplomatie möglich macht. Es ist ja eben in dem Beitrag schon angeklungen: Da werden nicht nur Mitarbeiter abgezogen, sondern auch Erfahrung abgezogen, und so wird das ganze Geflecht an Beziehungen zwischen Staaten – also hier insbesondere zwischen den USA und Russland – immer dünner.
    Das heißt, da können sozusagen Dinge mal irgendwann durch das Netz fallen oder einfach Fehlentscheidungen getroffen werden, weil man entweder niemanden mit Erfahrung hat oder aber eine bestimmte Position gar nicht besetzt hat mit einem Analysten. Also es fehlt an Informationen über das Land. Alles in allem wird also das ganze System ein bisschen instabiler.
    Büüsker: Herr Mölling, Sie haben gerade gesagt, es könnten Dinge durch das Netz fallen. Was meinen Sie damit?
    Mölling: Ich meine damit, dass je weniger Mitarbeiter Sie in Botschaften haben oder insgesamt im diplomatischen Dienst haben, denn auch das Außenministerium ist ja immer schlechter besetzt in den USA, umso schlechter haben Sie quasi Augen und Ohren für ein bestimmtes Land. Das heißt, Entwicklungen können hindurchgehen, es kann aber auch sein, dass Sie Entwicklungen falsch einschätzen, weil Ihre Mitarbeiter nicht sehr erfahren sind. Das heißt also, die Frage, wie positioniert sich Russland in Zukunft in Syrien, wie positioniert sich Russland in Zukunft mit Blick auf China. Alles das sind ja Fragen, die für die USA von immenser Bedeutung sind. Wenn man dazu keine Mitarbeiter mehr hat, dann hat man natürlich ein Problem.
    Büüsker: Aber es könnte doch - also dass genau das passiert, kann ja eigentlich auch nicht im Sinne Russlands sein, oder?
    Mölling: Möchte man annehmen, aber das Problem ist, dass wir zurzeit doch es mit sehr vielen Charakteren zu tun haben in der internationalen Politik, in den USA, in Russland und in anderen Ländern, wie in Ungarn und in der Türkei, für die diese Art von Überlegung offensichtlich nicht an der Spitze ihrer Entscheidungsprioritäten stehen, sodass hier wirklich dann auch Entscheidungen getroffen werden, wo man sagt, dann ist es mir entweder egal oder aber es war mir möglicherweise gar nicht bewusst als Konsequenz aus dem, was ich tue. Wobei man das bei Präsident Putin nicht annehmen darf. Ich glaube nicht, dass er ein irrationaler Mensch ist.
    Büüsker: Nun haben wir gestern Bilder gesehen von der großen Flottenparade der russischen. Russland feiert da seine Seestreitkräfte. Putin will seine Flotte jetzt auch zur größten weltweit machen. Sehen wir da tatsächlich den Beginn einer möglichen Eskalation?
    Mölling: Also ich glaube, in einer Eskalation sind wir schon seit Längerem drin. Die wesentliche Frage ist, wohin führt uns das beziehungsweise wer hat in dieser Eskalation die Dominanz, also wer kann bestimmen, in welche Richtung das geht, und das ist zurzeit nur sehr, sehr schwer abzusehen. Also dass Russland seine Flotte vergrößern möchte, ist verständlich, denn die Flotte ist nicht allzu groß. Das ist ein alter Traum Russlands, dass man eine große Flotte wieder haben möchte. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
    Also von daher ist das viel Säbelrasseln, das wir da sehen, aber es gehört eben dazu, dass man im Wesentlichen, hier würde ich nicht sagen: militärisch, sondern einfach symbolisch weitereskaliert und zeigt, wir sind da, wir wollen ernstgenommen werden, und darauf müssen die Amerikaner eine Antwort finden, und da ihr diplomatischer Chorps zurzeit so stark abgebaut wird, mit wenig Leuten mit Erfahrungen noch haben, kann es sein, dass man so reagiert, wie man das aus Kalten-Kriegs-Zeiten kennt, nämlich mit einer gleichartigen Reaktion, und sagt, na ja, dann zeigen wir auch mal, was wir so haben. Das alles führt, wie gesagt, nicht gerade dazu, dass es stabiler wird.
    "Russland ist in der Lage, als ein Staat, als ein Mann sozusagen zu handeln"
    Büüsker: Herr Mölling, jetzt haben Sie gerade gesagt, die Dominanz in diesem Konflikt, die ist im Moment nicht klar erkennbar. Nun sehen wir aber, dass Trump offensichtlich die Beine gestellt werden von seinem eigenen Kongress als Beispiel. Können diese Sanktionen, die wir jetzt sehen dienen, ist die Dominanz dann doch nicht eher aufseiten Putins, wenn Trump irgendwie gar nicht richtig alleine agieren kann als Präsident?
    Mölling: Möglicherweise ist das zurzeit so, dass sie aufseiten Russlands ist, zumindest, wenn es um die schnelle Handlungsfähigkeit, um die einheitliche, ganzstaatliche Handlungsfähigkeit geht. Das ist das, was wir von Russland seit 2013, 2014 mit dem Ukrainekonflikt eigentlich ganz klar als Muster gesehen haben.
    Russland ist in der Lage, als ein Staat, als ein Mann sozusagen zu handeln, und da hat der Westen insgesamt, also sowohl die Europäer als auch die Amerikaner, als auch innerhalb der jeweiligen Staaten, haben wir immer wieder Probleme, weil wir Konsens herstellen müssen in den Demokratien. Das macht uns anfällig, das dauert dann Zeit, und im Zweifelsfalle kann es eben auch sein, wie hier jetzt bei dem Fall, dass politische Querelen dazu führen, dass man außenpolitisch auf einmal nicht handlungsfähig ist oder aber für einen Moment lang mal schlecht aussieht.
    "Ich sehe jetzt nicht unbedingt eine Zerfleischung des Westens, der hiermit beginnt"
    Büüsker: Dass keine Einheit hergestellt werden kann, sehen wir auch jetzt gerade: Über die Sanktionen hinweg sind die EU und die USA in Clinch geraten. Die deutsche Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries, die kündigt jetzt notfalls Sanktionen gegen die USA an, sollten die die Russlandsanktionen durchsetzen. Also die EU stellt sich gerade in diesem Konflikt eher auf die Seite Moskaus. Was bedeutet das für diese ganze Gesamtlage?
    Mölling: Also ich würde nicht sagen, dass sich die Bundesregierung aufseiten Moskaus stellt, denn wir haben ja weiter Interesse daran, dass die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten werden und dass sie im Wesentlichen effektiv aufrechterhalten werden, und von daher ist es natürlich wichtig, dass nicht jedes Land seine Sanktionen selbst beschließt, so wie Russland und die USA das gerade gemacht haben, sondern man einen möglichst großen Verbund an Staaten hat, die gemeinsam an einem Strang ziehen. Da sind die Amerikaner jetzt natürlich ausgeschert.
    Wir haben insgesamt, glaube ich, in den letzten Monaten sehr klar gesehen, dass die Europäer und insbesondere die Deutschen bereit sind, mehr und mehr in die Richtung zu gucken, Dinge, wenn die Amerikaner nicht mitmachen, alleine zu machen – in der Sanktionspolitik, aber auch in der Handelspolitik und möglicherweise auch im Verteidigungsbereich. Ob man das Ganze völkerrechtlich angehen kann, dafür kann ich nichts sagen, da bin ich kein Experte dafür, aber ich glaube, es ist vor allen Dingen eine klare Message, dass man hier bereit ist, tatsächlich Schritte weiterzugehen. Ich sehe jetzt nicht unbedingt eine Zerfleischung des Westens, der hiermit beginnt. Das hat ja im Grunde genommen schon angefangen. Es ist, glaube ich, einfach ein klares Zeichen an die USA, dass wir bereit sind, diesen Weg weiterzugehen in Europa.
    Büüsker: Sagt Christian Mölling, Fachmann für Sicherheits- und Außenpolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik. Vielen Dank, Herr Mölling, für das Gespräch heute im Deutschlandfunk!
    Mölling: Ich danke Ihnen! Schöne Grüße nach Deutschland!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.