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"Russische Börse so rohstofflastig"

Vor dem Hintergrund der internationalen Finanzkrise hat der Wirtschafts-Experte Ulrich Thießen den besonders starken Einbruch der russischen Börse mit der Fixierung auf Rohstoffe erklärt. Die stärksten Werte des russischen Indexes seien Öl- und Gasunternehmen. Wenn nun das hohe Niveau der Energiepreise nicht anhalte, seien "die Investitionen in Russland schlagartig negativ betroffen", so Thießen.

Ulrich Thießen im Gespräch mit Elke Durak |
    Elke Durak: Nun prüft auch die Schweiz ihr System zur Einlagensicherung für Kontoinhaber. Die Regierung will inzwischen auch wie eine ganze Reihe anderer Regierungen die Bürger beruhigen, deren Einlagen also schützen. Ob andere Meldungen zur Beruhigung beitragen, dürfte ungewiss sein: zum Beispiel Gerüchte, die Deutsche Bank müsste ihr Kapital erhöhen. Immerhin gaben die Papiere heute Vormittag um mehr als zwölf Prozent nach. Schon in der vergangenen Woche hieß es ja, die Bank müsste infolge der Finanzkrise weitere 4,5 Milliarden Euro abschreiben. Keine eben leichte Situation für die Bundesregierung, Panik in der Bevölkerung zu vermeiden. Die britische Regierung hatte sich gestern ziemlich empört darüber gezeigt, dass die deutsche Regierung den Sparern Garantien für deren Einlagen ausgesprochen hatte. Nun sind Aktien britischer Banken unter Kursverlust geraten, und zwar heftig, weil es Gerüchte über staatliche Hilfen für die Banken gibt. Die Aktien der Royal Bank of Scotland verloren am Vormittag 30 Prozent. Die Finanzminister aller 27 Länder der EU beraten zurzeit in Luxemburg über gemeinsame, nun endlich gemeinsame Maßnahmen. Russlands Präsident Dmitri Medwedews hat erneut, zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage eindringlich darauf gepocht, dass auch Russland in die internationalen Bemühungen zur Lösung der Finanzkrise einbezogen wird. Ich möchte das vertiefen im Gespräch mit Ulrich Thießen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Guten Tag, Herr Thießen.

    Ulrich Thießen: Guten Tag.

    Durak: Herr Thießen, ich bin bei einem Satz meines Kollegen Robert Baag hängen geblieben. Russland könnte unter Umständen am stärksten betroffen sein von dieser ganzen Krise. Das haben wir so bisher, glaube ich, noch nicht im Auge gehabt, wenn wir über diese Finanzkrise weltweit gesprochen haben. Teilen Sie dessen Meinung?

    Thießen: Ja. Der Einbruch am russischen Aktienmarkt war in der Tat viel höher als in allen westlichen Ländern. Die hatten ja einen Indexstand von 2400 erreicht - dieser RTS-Index der russischen Börse - und jetzt liegen sie bei 860. Dieser prozentuale Fall ist höher als überall sonst. Aber das hängt natürlich vor allem mit der Bewertung von Energie zusammen und, wie es Ihr Kollege erläuterte, auch mit dem geringeren Vertrauen in die russische Wirtschaft und die Politik in Russland im Vergleich zu westlichen Ländern. Das verursacht ja dann noch mal Kapitalflucht.

    Durak: Bisher hatten wir ja oft den Eindruck, die russische Wirtschaft strotzt nur so vor Kraft. Riesen Summen von Geld sind weltweit im Umlauf. In Russland gibt es haufenweise Millionäre, Milliardäre, ganz potente Wirtschaftsleute. Nun plötzlich soll alles ganz anders sein. Wo liegt da die Wahrheit? In der Mitte oder?

    Thießen: Ja. Das ist offensichtlich vor allem die Folge, dass die russische Börse so rohstofflastig ist. Die größten Werte in dem Index sind ja Gazprom und andere Ölunternehmen und erst mit weitem Abstand folgen Gruppen, die ja bei uns das größte Gewicht haben, also Dienstleistungssektor und Industrie. Die russische Wirtschaft ist getragen - und das war ja das Kennzeichen des Wachstums der letzten Jahre - von dieser hohen Bewertung der Energie und das hat die Investitionen angetrieben und zu boomartigen Entwicklungen in anderen Sektoren geführt. Wenn nun diese Erwartung des hohen Niveaus der Energiepreise nicht anhält, dann sind die Investitionen in Russland schlagartig negativ betroffen, stärker als in anderen Ländern, die eben nicht von einem Sektor so sehr dominiert werden.

    Durak: Das sind also im Prinzip, wenn ich es richtig verstehe, vor allem hausgemachte Probleme in der russischen Wirtschaft und sonstigen Politik. Was könnte da so ein Sicherheitspakt, wie es Präsident Medwedew sich vorstellt, von Vancouver nach Wladiwostok helfen?

    Thießen: Die Russen haben ja jetzt auch gelernt, dass sie viel stärker mit den USA verbunden sind, als ihnen wahrscheinlich lieb ist und als sie selber geglaubt haben. Auch nach der Verkündigung dieses Stabilisierungsprogramms in den USA hat sich ja die russische Börse zunächst etwas beruhigt. Wenn der Westen mehr Vertrauen hat, führt das ja sofort zu einer Stabilisierung der Energiepreise oder einem Wiederanstieg, und das hilft den Russen. Also die sind so eng verbunden, wie man es gar nicht für möglich hielt, und jetzt haben die russischen politischen Führer das offensichtlich auch erkannt und möchten sich gerne abstimmen. Das führt ja dann letztlich eben zur Stabilisierung der Energiepreiserwartungen und dann zu einer Stabilisierung der russischen Börse. Die kommen ja, wenn die Kapitalflucht so anhält, möglicherweise gar nicht umhin, ihre Grenzen für Kapitalverkehr wieder zu schließen, und das widerspricht ja allen Verkündungen und Erwartungen, nun wieder das Land völlig abzuschotten.

    Durak: Eine ganz kurze Frage hätte ich noch mit der Bitte auch um die kurze Antwort. Was wäre, wenn russisches Kapital weltweit aus zahlreichen Unternehmungen abgezogen würde und nach Russland zurückginge?

    Thießen: Dann sind wir negativ betroffen, aber die Russen letztlich auch, denn das werden sich die Russen sehr gut überlegen. Sie würden ja dann ihrer Glaubwürdigkeit auch schaden.

    Durak: Dann würden wir uns gegenseitig schaden und das wird wohl keiner so tun. Danke schön für diese Einschätzungen. Ulrich Thießen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Russland sieht sich auch bedrängt durch die internationale Finanzkrise und sucht den Anschluss an den Rest der Welt.