Archiv


"Russische Regierung vertuscht Anschläge"

Lange: Zwei Flugzeuge zum Absturz gebracht, ein Selbstmordanschlag in Moskau und nun der Überfall auf eine Schule im Nordkaukasus. Drei Terroranschläge binnen weniger Tage, das ist selbst für die russische Bevölkerung, die in den letzten Jahrzehnten viel mitgemacht hat, eine ungeheure Belastung. Was hat das für Folgen für die russische Innenpolitik? Am Telefon in Moskau begrüße ich nun Galina Mihaleva. Sie war bis vor kurzem Leiterin des Analysezentrums von Jabloko, also in der Politikberatung tätig, und ist nun Geschäftsführerin dieser kleinen liberalen Partei. Frau Mihaleva, drei solche Terroranschläge in wenigen Tagen, das müsste doch die Politiker in Moskau zu der Frage bringen, ob diese Terrorismusbekämpfung allein mit militärischen Mitteln nicht gescheitert ist. Stellt sich diese Frage jetzt?

Moderation: Peter Lange |
    Mihaleva: Na ja, das können wir nur hoffen. Sie haben nur über die letzten Geschichten erzählt, aber auch nicht über alle Geschichten. Sie haben die Handlungen von Terroristen oder je nach Gesichtspunkt von Vertretern des Widerstandes in Tschetschenien selbst kurz vor den Präsidentschaftswahlen, und die Geschichten vorher. Das ist eine Kette von solchen Handlungen, die eigentlich nicht verhindert werden konnten. Unsere Regierung und der Präsident versuchen das alles praktisch zu vertuschen. Wenn Sie die Programme im russischen Fernsehen schauen, dann denken Sie, es ist alles okay, es ist alles wunderschön. Diese grausame Geschichte, die jetzt in Ossetien läuft, lässt uns zurückdenken an "Nord-Ost". Damals wurde nachher auch gar nichts gemacht. Wir können nur hoffen, aber wie jetzt die Machtorgane organisiert sind, wie jetzt die Politik geführt wird, na ja, da bin ich eigentlich misstrauisch und glaube nicht, dass wirklich etwas gemacht werden kann.

    Lange: Das heißt umgekehrt, Sie erwarten eher, dass es eine Politik gibt, weiter so, jetzt erst recht und jetzt Augen zu und durch?

    Mihaleva: Ja, das ist die Logik der Entwicklung eines solchen autoritären Regimes. Das wird als Vorwand benutzt für die Verstärkung von Sicherheitsmaßnahmen, Maßnahmen der Polizei, und als Vorwand, um weiter die Pressefreiheit zu begrenzen, die sowieso jetzt schon minimal ist, und auch um die gesellschaftlichen Organisationen, vor allem die Menschenrechtsorganisationen zu kontrollieren. Das alles wird gemacht.

    Lange: Gibt es denn eine Strömung, sagen wir mal, im außerparlamentarischen Raum, unter den Intellektuellen und in den Menschenrechtsgruppen, die jetzt vielleicht etwas mehr Zulauf bekommen, denen etwas mehr zugehört, wenn sie sagen, es kann so nicht weitergehen, irgendwann muss doch der Punkt erreicht sein, wo man einsieht es geht so nicht?

    Mihaleva: Unsere Gesellschaft ist leider sehr stark atomisiert. Die Leute, die wirklich verstehen, dass ohne Demokratie auch in der Wirtschaft weiter nichts besser gehen kann, die Anzahl solcher Leute ist sehr niedrig. Ich kann über unsere Partei reden. Wir haben jetzt 5.000 Mitglieder, aber das ist für ein so großes Land wirklich zu wenig. Die Leute sind bereit zu protestieren, wenn es mehr um eigene Interesse geht, wenn die Löhne nicht ausgezahlt werden, wenn die Vergütungen gekürzt werden oder wenn die Kommunalpreise erhöht werden. Dann sind sie bereit, auf die Straße zu gehen, aber auch nicht alle. Das dauert noch eine Weile. Was die Menschenrechtsorganisationen betrifft, da sehen wir eher, dass sie nicht sehr aktiv sind, und was noch wichtiger ist, wer hört eigentlich schon auf diese Leute, wenn im Fernsehen weder wir noch die Vertreter dieser Organisationen jemals erscheinen? Wir können nur in den Zeitungen schreiben, die eine ganz kleine Auflage haben.

    Lange: Das heißt, Ihre Präsenz in den Medien ist auch unterentwickelt?

    Mihaleva: Minimal. Vor kurzem wurde die einzige Sendung, wo solche Auftritte von solchen Politikern und solchen Leuten möglich waren, dicht gemacht. Das war die Sendung "Pressefreiheit". Jetzt befürchten wir, dass auch die letzten Radiosender und Zeitungen bedroht sind. Wenn man sie dann schließt, dann haben wir nur die Möglichkeit, Flugblätter zu drucken und auf die Straße zu gehen, aber unsere Kapazitäten sind wirklich sehr begrenzt.

    Lange: Wie gehen die Leute auf der Straße mit dem um, was sie von alledem erfahren? Werden sie sich jetzt von Putin etwas abwenden oder sich vielleicht noch enger an ihn halten, sich noch enger um ihn scharen?

    Mihaleva: Das wird unterschiedlich sein. Die Leute brauchen Hoffnung. Die Leute brauchen einfach ein Zeichen, und ich glaube, sehr viele haben noch die Hoffnung an Putin nicht verloren. Was ihm hilft, ist, dass die Preise für Öl immer steigen, und das bedeutet, dass bestimmte Schichten der Bevölkerung immer besser leben, wenn auch diese Schichten nicht ganz groß sind. Eben diese Schichten definieren die Politik, und ein einzelner Mann oder eine einzelne Frau oder eine kleine Familie, die wenig verdient, kann kaum etwas beeinflussen.

    Lange: Vielen Dank für das Gespräch.