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Russischer Journalist lobt Antrittsrede Medwedews

Nach Ansicht des Publizisten Alexander Sambuk hat Russland nach der Vereidigung des neuen Präsidenten Dmitri Medwedew zwei Machtzentren. Die Bilder von gestern zeigten "nicht so sehr die Machtübergabe im echten Sinne des Wortes, sondern die Übergabe der Machtsymbole". Sambuk gestand Medwedew jedoch zu, in seiner Antrittsrede die richtigen Themen wie Menschenrechte und Bürgerrechte angesprochen zu haben. Das seien gute Signale, betonte Sambuk.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Wir sind mit jetzt Moskau verbunden, denn Dimitri Medwedew ist seit gestern Präsident Russlands und Wladimir Putin wird heute Ministerpräsident. Meine Frage an meinen Gesprächspartner jetzt, was erwarten Russlands Intellektuelle, die geistigen Eliten, von diesem Machtwechsel? Alexander Sambuk ist freier Journalist, Publizist. Wir erreichen ihn in Moskau. Guten Morgen, Herr Sambuk!

    Alexander Sambuk: Guten Morgen, Frau Durak!

    Durak: Was erwarten nun die Intellektuellen Russlands, die geistigen Eliten, von diesem Machtwechsel?

    Sambuk: Ich würde sagen, die Intellektuellen sind gespalten wie eigentlich das Machtgefüge, das auch zwei Zentren jetzt bekommen hat. Ich persönlich denke, dass das, was wir gestern auf unseren Bildschirmen gesehen haben, war nicht so sehr die Machtübergabe im echten Sinne des Wortes, sondern die Übergabe der Machtsymbole. Viele behaupten, Analytiker, aber auch diejenigen, die so mit normalen Menschenverstand das zu verstehen versuchen, die merken, dass die reale Macht noch in den Händen von Herrn Putin bleibt, und Medwedew wird vielleicht für absehbare Zeit noch als, wie es sich nennt, Frühstückspräsident oder Protokollpräsident dienen.

    Durak: Es wird ja auch vermutet, dass Medwedew zum Pudel Putins wird. Glauben Sie das?

    Sambuk: Ich kann nur ein Beispiel führen, das für meinen Verstand das bestätigt. Zum Beispiel gestern Abend in den Nachrichten von dem drittgrößten Sender NTW oder als erste Nachricht, die Zusammenkunft von Putin mit dem Fraktionsvorsitzenden als Nachricht Nummer eins uns angeboten. Und erst dann die Reportage über den Amtseid und Amtseinführung des neuen Präsidenten. Diesem Sender werden gute Arbeitsverhältnisse zu russischen Geheimdiensten oder zumindest zu Hardlinern im Kreml nachgesagt. Und dadurch, denke ich, zeigt man deutlich den Stand der Dinge für gestern Abend, wer noch Herr im Haus geblieben ist.

    Durak: Gestern Abend, darauf legen Sie ja offensichtlich Wert, Herr Sambuk. Glauben Sie, dass sich Medwedew, der Präsident, dies auf Dauer so gefallen lässt?

    Sambuk: Nein, eigentlich viele sagen, und ich glaube auch, dass durch diese Machtübergabe, dadurch dass wir einen starken Regierungschef haben werden, aber gleichzeitig einen Präsidenten mit fast unbegrenzten Vollmachten laut Verfassung, ist ein Konflikt eingebaut. Die große Frage ist, wann und ob Herr Medwedew seine Macht ausbauen wird und ob er das will. Auf jeden Fall in der Gesellschaft und, sagen wir auch so, liberal gestimmten Intellektuellen, aber nicht nur unter den Intellektuellen, ist ein Bedürfnis spürbar, etwas zu verändern, dem Demokratieabbau, den wir beobachtet haben, etwas anderes entgegenzusetzen. Und ich denke, wenn Herr Medwedew sich auf so ein Potenzial stützen möchte, eine gewisse Grundlage in der Gesellschaft gibt es schon.

    Durak: Dann müsste er, Medwedew, aber von diesen liberalen Intellektuellen auch erfahren. Wie äußern sie sich denn und wo ?

    Sambuk: Es gibt schon quasi so Thinktanks, die sich um ihn herum gebildet haben in den letzten Monaten, und, laut Presseberichten, die beraten ihn in dieser Richtung. Und allein die Prioritäten, die er gestern verkündet hatte in seiner Rede beim Amtsantritt, deuten in diese Richtung. Er hat Menschenrechte, Bürgerrechte in den Vordergrund geschoben. Das sind gute Signale. Aber, wie gesagt, das reicht noch nicht aus, um ihm eine Massenunterstützung von Intellektuelle auf seine Seite zu gewinnen. Dem müssen noch Taten folgen.

    Durak: Ich höre einen etwas Optimismus aus Ihren Worten heraus, ein wenig Hoffnung, Herr Sambuk. Noch einmal die Frage. Mal abgesehen vom unmittelbaren Kreis um den jetzigen Präsidenten Medwedew, den Thinktanks, von den Sie sprachen. Es gibt ja noch viele andere Intellektuelle, geistige Eliten. Wo äußern die sich, wenn sie sich denn kritisch äußern?

    Sambuk: Sie äußern sich in den Presseorganen, die es noch gibt. Aber die haben keine große Ausbreitung, weil die größte Ausbreitung hat bei uns Fernsehen. Und das ganze Fernsehen ist unter Staatskontrolle. Und Fernsehen gibt kaum Live-Talkshows oder Live-Sendungen, wo man plötzlich überraschend kritische Stimmen hören konnte. Aber trotzdem, es gibt Presse, es gibt ein paar Radiosender, wo kritische Stimmen zu hören sind. Aber ich denke, Medwedew weiß, wo er dieses Potenzial schöpfen könnte. Sein Problem wird nicht so sehr sein, wo er solche Ideen, auf solche Ideen zugreifen kann, sondern wie er sich gegen die Diktatur der Bürokratie starkmachen kann.

    Durak: Dann müsste er sich aber auch gegen Wladimir Putin, seinen Ziehvater sozusagen, stark machen. Wladimir Putin hat es ja schon längst geschafft, ganz viele Menschen sozusagen an sich zu binden. Ich vergesse nicht diese Bilder aus dem Fernsehen von diesen fanatisch jubelnden jungen Leuten. Wie ist es zu erklären, dass so viele junge Leute eben ihm huldigen, ihm so zujubeln?

    Sambuk: Ja, ich denke, Fernsehen hat uns gerade einen Teil, einen vielleicht großen Teil unserer Jugend demonstriert, die nicht so viele Nachfragen stellen, die nicht so große Ansprüche an Wahrheit und keine kritische Einstellungen haben. Aber das ist bei Weitem nicht die ganze Jugend. Und natürlich, die wurden manipuliert. Das sind vielleicht Leute, die leichtes Brot suchen. Und das wurde ihnen eben angeboten. Aber zurück zu Putin. In der Tat, er hat nicht nur diese sogenannte Putin-Jugend auf seine Seite gewonnen und instrumentalisiert, sondern er hat unter Intellektuellen viele Leute auf seine Seite gewonnen, mit Parolen. Man müsse Ordnung wieder herstellen im Lande, man muss die Staatssouveränität wieder stärken und das Image Russlands im Ausland pflegen. Mit solchen Parolen war es ihm gelungen, tatsächlich einen Teil der Elite auf seine Seite zu gewinnen.

    Durak: Danke schön für diese Einschätzungen! Alexander Sambuk, freier Journalist, Publizist in Moskau. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen, Herr Sambuk!