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Russisches Militärmanöver
"In keiner Weise da, wo wir vor der Krim gewesen sind mit Russland"

Kurz nach dem letzten russisch-weißrussischen Manöver 2013 hatte Russland die Krim annektiert. Jetzt sorgt sich das Baltikum über eine ähnliche Großübung. Berechtigung zur Sorge gäbe es, sagte General a.D. Karl-Heinz Lather im Dlf. Deswegen plädiere er für größere Transparenz auf beiden Seiten.

Karl-Heinz Lather im Gespräch mit Christiane Kaess | 14.09.2017
    Der General a.D. Karl-Heinz Lather auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2009. Damals war er Stabschef im militärischen NATO-Hauptquartier in Mons.
    Der General a.D. Karl-Heinz Lather auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2009. Damals war er Stabschef im militärischen NATO-Hauptquartier in Mons. (picture alliance / dpa / Ronald Wittek)
    Christiane Kaess: Mitgehört am Telefon hat der General a.D. Karl-Heinz Lather. Er war Stabschef im NATO-Hauptquartier in Europa. Guten Tag, Herr Lather.
    Karl-Heinz Lather: Guten Tag, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Lather, die baltischen Staaten sind also beunruhigt wegen des Manövers. Ihrer Meinung nach zurecht?
    Lather: Natürlich! Ich meine, man muss sich erinnern, wie wir Deutschen uns gefühlt haben, als Europa noch geteilt war, als Berlin geteilt war. Eine ähnliche Bedrohungslage wird in den baltischen Staaten stark wahrgenommen, auch in Polen und an anderer Stelle. Man ist halt nach wie vor beeindruckt und besorgt, dass Russland Ähnliches tun könnte, was es in Georgien und auf der Krim und in der Ostukraine veranstaltet.
    "Professionelles Üben eines militärischen Handwerks"
    Kaess: Es gibt ja Beobachter, die so weit gehen zu sagen, das Ganze ist eben nicht defensiv, sondern hier wird ein Überfall auf das Baltikum und Polen simuliert. Würden Sie das auch so interpretieren?
    Lather: Das glaube ich eigentlich eher nicht. Ich denke, was Russland und Weißrussland miteinander tun, oder die Armeen beider Länder miteinander tun, ist das professionelle Üben eines militärischen Handwerks. Dazu gehört ein Szenario in einer Übung. Ob das nun genauso stimmt, wie in dem Vorspann gesagt worden ist, und genauso geübt wird, das weiß ich nicht. Aber es ist nur etwas, was die Truppen dann bewegt, die Stäbe, die Generäle, die dort üben, bewegt, um in ein gemeinsames Übungsbild eingebunden zu werden. Das ist auch bei uns immer relativ fiktiv, aber wir üben natürlich auch auf der NATO-Seite gegen einen angenommenen Gegner, der in seinen Fähigkeiten dem entspricht, was vielleicht Russland heute darstellen kann.
    "Nicht immer genau sicher, was dort ist"
    Kaess: Ihre Interpretation, woran machen Sie die denn fest? Denn wir haben ja von außen überhaupt keinen Einblick.
    Lather: Wir sind im NATO-Russland-Rat informiert worden. Allerdings - das macht ja auch deutlich, wie das Vertrauen zwischen dem Bündnis und Russland beschädigt ist - wir sind nicht immer ganz sicher, ob das, was gebrieft wird, was informiert wird, dann genau auch dem entspricht, was dort ist. Wenn gesprochen wird von 12.700 etwa militärischen Kräften, die teilnehmen werden, dann sind das die, die in der Truppenübung in Weißrussland auf den Übungsplätzen arbeiten. Die, die darum herum eingebunden sind in die Übung, deren Zahl ist höher. Man vermeidet auf diese Art und Weise, dass man nach dem Wiener Dokument (OSZE, wie im Vorspann gesagt) anmelden und formal einladen muss. Mein Plädoyer wäre für eine größere Transparenz, gilt aber für beide Seiten.
    "Da reicht die Zahl 12.700, die offiziell verkündet wird, nicht aus"
    Kaess: Sie sagen jetzt, die Zahl ist höher. Wir hatten heute Morgen die Einschätzung vom Verteidigungsexperten der CDU bei uns im Programm, Roderich Kiesewetter. Der hat eine Schätzung abgegeben von etwa 90.000 russischen Soldaten. Würden Sie auch diese Größenordnung in etwa sehen?
    Lather: Die kann durchaus passen. Die kann auch ein bisschen höher sein oder ein bisschen niedriger sein. Das, was Russland in den letzten Jahren schon bei Sapad-13 beginnend zunehmend tut, ist das, was wir gemeinsame, streitkräfteübergreifende Übungen nennen, also die Fähigkeit, alles das, was man an Potenzial hat, gemeinsam zu üben, und da reicht die Zahl 12.700, die offiziell verkündet wird, nicht aus.
    Manöver-Prozesse werden nicht transparent gemacht
    Kaess: Und was würde das bedeuten, wenn es tatsächlich viel mehr sind? Kann man daraus dann ableiten, es geht hier nicht mehr um eine Terrorabwehrübung?
    Lather: Auch das würde ich nicht unbedingt sagen, sondern es geht darum, dass man miteinander übt, gemeinsam auf eine Bedrohung einzugehen. Das ist sehr stark prozessorientiert, eine solche Übung, sehr stark fernmeldeorientiert, dass die Verbindungen stimmen, dass die Absprachen stimmen, und diese Teile werden nicht transparent gemacht.
    NATO-Übungen ohne Truppe in diesem Jahr
    Kaess: Jetzt wehrt sich Russland ja gegen die Vorwürfe mit verschiedenen Argumenten. Es sagt zum Beispiel, dieses Manöver wird routinemäßig alle vier Jahre abgehalten. Und Russland sagt auch, die NATO hat ein viel größeres Manöver abgehalten.
    Lather: Da ist ja "Anakonda" genannt worden von dem russischen Sprecher. Das ist keine NATO-Übung gewesen, genauso wenig wie die Übung "Saber Strike", die in diesem Sommer in Polen und auch zum Teil in den baltischen Staaten und in der Ostsee abgehalten worden ist. Das sind Übungen, die die Amerikaner mit ihren Verbündeten, mit ihren NATO-Verbündeten natürlich durchführen, aber hier gibt es keine NATO-Planung dafür und keine NATO-Durchführung. Allerdings ist auch richtig, dass wir Übungen durchführen in der NATO. Zum Beispiel später in diesem Jahr, etwa in vier, sechs Wochen, wird es die Übung "Trident Juncture" geben, die oben in Norwegen durchgeführt wird. Das ist allerdings eine reine Stabsübung und Fernmeldeübung, wenn man so will, wo dann Führungsverfahren geübt werden. Wir machen das aber ohne Truppe in diesem Jahr. Im letzten Jahr in Spanien haben wir es mit Truppe gemacht, auch lange vorgeplant immer.
    "Wir haben dann beide für Transparenz geworben"
    Kaess: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, dann heißt das schon, der russische Vorwurf, die andere Seite handelt genauso, stimmt eigentlich?
    Lather: Das ist kein Vorwurf. Das ist eigentlich ... Ich würde es eher nehmen als das, was mir der heutige stellvertretende Verteidigungsminister und damals russische Botschafter in Brüssel mal gesagt hat: "Wir üben professionell unser militärisches Geschäft." Und wir waren uns damals einig – da war Russland und die NATO ja noch Partner; heute sind wir sicherlich keine Partner mehr -, wir haben dann beide für Transparenz geworben. Dazu gehört eine offizielle Einladung von Beobachtern, die auch mehr Zugang haben als nur auf einer Tribüne bei einer Schießübung zu sitzen.
    NATO-Russland-Rat "tagt nun wieder gelegentlich mal"
    Kaess: Sie haben jetzt auch noch neben dieser fehlenden Transparenz hingewiesen auf das Misstrauen, das herrscht zwischen der NATO und Russland. Sie haben gesagt, das gibt es auf beiden Seiten. Was muss denn passieren, damit sich da die Situation wieder bessert?
    Lather: Simpel gesagt reden, reden, reden. Ein bisschen davon findet statt. Es gibt den NATO-Russland-Rat. Der war ausgesetzt. Der tagt nun wieder gelegentlich mal. Es hat kürzlich ein Treffen des Chefs des NATO-Militärausschusses mit dem russischen Generalstabschef, ich glaube, in Aserbaidschan gegeben, erst letzte Woche. Das sind so Signale, wo dann Vertrauen versucht wird, wieder aufzubauen. Aber wir sind in keiner Weise da, wo wir vor der Krim gewesen sind mit Russland.
    "Lukaschenka wahrt da schon die richtige Balance"
    Kaess: Schauen wir zum Schluss noch kurz voraus. Es gibt ja jetzt die Sorge, dass russische Militärs oder auch Militärtechnik in Weißrussland bleiben könnte nach diesem Manöver. Wie berechtigt ist diese Sorge für Sie?
    Lather: Die hat, wenn ich sehr besorgt bin, sehr besorgt sein will, eine gewisse Berechtigung, weil wir natürlich die Bilder von Georgien und der Krim und der Ostukraine im Kopf haben. Und je näher man dran ist und je stärker man sich bedroht fühlt, desto stärker mutmaßt man das. Ich habe aber keine Erkenntnisse, dass das so sein wird. Ich würde eher dem folgen, was auch im Vorspann gesagt worden ist, dass der Präsident Lukaschenka da schon die richtige Balance wahrt und darauf Wert legen wird, dass die russischen Übungsteilnehmer, die Truppen, die damit verbunden sind, dann wieder in ihre Heimatstandorte zurückkehren.
    Kaess: Die Einschätzung des General a.D. Karl-Heinz Lather. Er war Stabschef im NATO-Hauptquartier in Europa. Danke für das Gespräch heute Mittag.
    Lather: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.