Sonntag, 28. April 2024

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Russland
"Historischer Bruch, zu dem sich Putin entschieden hat"

Ein weiterhin entschiedenes Vorgehen Europas gegen Russland fordert Norbert Röttgen. Andernfalls würden "weitere Fälle" befördert, sagte der CDU-Außenpolitiker im Deutschlandfunk. Moskau habe mit seinem Vorgehen auf der Krim seinen Machtanspruch nach außen wie innen demonstriert.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Dirk Müller | 18.03.2014
    Norbert Röttgen
    Norbert Röttgen, CDU-Außenpolitiker: "Alle sind davon ausgegangen, dass sich Russland zu dem Konsens zugehörig fühlt". (dpa/picture alliance/Rolf Vennenbernd)
    Dirk Müller: Zugehört auf der anderen Leitung hat CDU-Politiker Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Guten Morgen.
    Norbert Röttgen: Guten Morgen!
    Müller: Herr Röttgen, glauben Sie auch daran, das Gas ist sicher?
    Röttgen: Das ist das Ergebnis aller Gespräche und Einschätzungen gegenüber Russland, und genau so wie es gesagt worden ist. Es ist die Lebensader der russischen Wirtschaft und darum können wir davon ausgehen, dass Putin und Russland die eigene Lebensader nicht abschneidet.
    Müller: Aber das Vertrauen ist gebrochen. Warum gibt es in diesem Bereich Vertrauen?
    80 Prozent des russischen Exports sind Rohstoffe
    Röttgen: Weil eine Rationalität darin liegt, wie gesagt, die eigene Lebensader nicht abzuschneiden. Russland lebt davon. 80 Prozent des Exports von Russland sind Rohstoffexporte. Allein die Energierohstoffe machen über 50 Prozent des russischen Haushaltes aus. Auch die historische Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte ist ja so. Ich könnte eigentlich nur alle Argumente, die Ihr voriger Gesprächspartner verwendet hat, wiederholen. Die historische Erfahrung, die Situation, die Abhängigkeit des russischen Haushaltes, der russischen Wirtschaft nicht nur von den Exporten, sondern von der Zuverlässigkeit als Lieferant, die scheint eindeutig zu sein.
    Müller: Die andere historische Erfahrung, Norbert Röttgen, ist, dass Russland gerne Land raubt.
    Röttgen: Na ja. Wir hatten 2008 genau den Krieg in Georgien. Aber ich finde, man kann nun Russland nicht in den letzten Jahrzehnten nach dem Zerfall der Sowjetunion als großen Landräuber darstellen. 2008 will ich durchaus ausdrücklich erwähnen. Das ist ja gerade das Novum, das wir nun erleben, das alle überrascht hat. Alle sind davon ausgegangen, dass sich Russland zu dem Konsens zugehörig fühlt, dass die Methoden des 20. Jahrhunderts blutige Erfahrungen herbeigeführt haben und dass wir alle von diesen Methoden Abstand nehmen. Der Erfahrungswert des 20. Jahrhunderts war schrecklich und darum muss das 21. Jahrhundert anders werden. Die Erfahrung ist, militärische Mittel, Gewalt und Einschüchterung als Mittel territorialer Ansprüche, wie Sie sagen, oder von Machtansprüchen, die werden nicht mehr angewendet.
    Müller: Aber haben wir doch jetzt gemacht. Sie sagen, 2008, wir haben jetzt 2014. Das heißt, alles über den Haufen geworfen.
    Historischer Bruch
    Röttgen: Ja. Aber ich wollte nur zurückweisen, dass Russland sozusagen ein Landräuber ist, den man sowieso schon so kennt wie die Zuverlässigkeit seiner Gaslieferungen. Ich finde, es ist ein Bruch, der nun stattgefunden hat, zu dem sich Putin entschieden hat, mit diesem Konsens in Europa zu brechen, der Konsens, wir wenden militärische Mittel nicht an zur Durchsetzung von Machtansprüchen. Das ist das Besondere, ich würde sogar sagen das Historische, das in seinem Verhalten liegt.
    Müller: Afghanistan hätten wir auch noch erwähnen können, wollen wir aber nicht.
    Röttgen: Ich sagte ja: in den letzten Jahrzehnten nach dem Zerfall der Sowjetunion. Das war meine These.
    Müller: Herr Röttgen, jetzt hat CDU-Vize Armin Laschet gesagt, er warnt vor Anti-Putin-Populismus. Das heißt, es gibt immer mehr Stimmen, die auch sagen, ja Moment mal, es gibt die eine oder andere Motivation, die eine oder andere Erklärung dafür, dass Wladimir Putin vielleicht doch nachvollziehbar handelt. Haben Sie einen?
    Röttgen: Das sind unterschiedliche Dinge. Nachvollziehbar ist die Frage, können wir nachvollziehen seine Motive, aber nicht nachvollziehbar im Sinne, wir können irgendetwas daran gut heißen. Ich kann daran nichts gut heißen. Es war ja nach meiner Einschätzung ein doppelter Machtanspruch: Nach außen, als durch die Bürgerbewegung und die Revolution in der Ukraine nun erstmalig Russland die Ukraine machtpolitisch vollkommen entglitten war. Sie hatten bis dahin ja immer auch noch Einfluss. Es schien so, dass mit dem Weglaufen, der Flucht von Janukowitsch Russland historisch erstmalig die Ukraine völlig machtpolitisch entglitten war, und darum hat er nach außen gezeigt, mit diesem Militärschritt, mir reicht jetzt alles Bemühen um Image und Integration und Olympische Spiele, das ist mein Machtanspruch, den ich jetzt militärisch ausdrücke. Und ich glaube, es war gleichzeitig nach innen ein Machtanspruch. Es war ja eine Bürgerbewegung auf dem Maidan in der Ukraine, die erfolgreich war. Er hat auch nach innen gesagt, so was passiert in Moskau nicht, es wird hier keine Freiheitsbewegung geben. Also ein doppelter Machtanspruch mit Gewalt nach außen und innen.
    Müller: Wenn wir den weiter deklinieren, definieren, spekulieren: Die Ostukraine, wird die auch russisch?
    Besorgniserregende Argumentationsmuster
    Röttgen: Das ist noch spekulative Analyse. Man muss mit Besorgnis feststellen, dass das Argumentationsmuster, das zur Legitimation der Besetzung der Krim gedient hat, es sind dort Russen, die bedrängt werden, und unsere Aufgabe ist es, sie zu schützen, dass dieses Argumentationsmuster jetzt schon am Tag nach dem Referendum auch für die Ostukraine angewendet wird. Ich selber habe es im Gespräch mit einem russischen Gesprächspartner gehört, auch andere sprechen es aus, auch in den russischen Medien ist es zu hören. Das stimmt natürlich sehr besorgt, wenn dieses Argumentationsmuster sich wiederholt. Das ist eine Androhung, es geht weiter.
    Müller: Also nicht ausgeschlossen?
    Röttgen: Es ist ganz explizit nicht ausgeschlossen. Die Duma hat ja von vornherein Putin im Grunde alle Vollmacht gegeben in einem Beschluss, in der Ukraine militärisch zu intervenieren. Putin hat bei seiner bekannten Pressekonferenz auch ganz ausdrücklich gesagt, ich habe es zurzeit nicht vor. Ich habe es zurzeit nicht vor heißt, man kann es nicht ausschließen. Und er hat auch gesagt, wenn wieder Russen ihren Schutz bei uns suchen, ich kann es nicht ausschließen. Das ist die Lage und das ist ja auch der Grund, warum wir darüber reden, dass wir diesen Fall nicht einfach hinnehmen, den Fall Krim, sondern wenn die westliche Gemeinschaft, wenn Europa nicht die Ernsthaftigkeit und die Grundsätzlichkeit der Herausforderung, die in dem Verhalten Putins liegt, deutlich macht, dann befördern wir, dass es weitere Fälle gibt.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag (CDU). Danke für das Gespräch, auf Wiederhören.
    Röttgen: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.