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Russland
"Putins Ansehen hat in der Bevölkerung einen unglaublichen Boom erfahren"

In den letzten 12 bis 24 Monaten sei die Politik Putins sehr erfolgreich gewesen, sagte Politologin Silvia von Steinsdorff von der HU Berlin im Deutschlandfunk. Die zunehmende Distanz zum Westen sei für ihn innenpolitisch gut gewesen und habe ihm außenpolitisch nicht wirklich geschadet - ein "patriotischer Boom" sichere Putins Stellung.

Silvia von Steinsdorff im Gespräch mit Doris Simon | 08.02.2016
    Der russische Präsident Wladimir Putin während der Jahrespressekonferenz 2015.
    Der russische Präsident Wladimir Putin während der Jahrespressekonferenz 2015. (dpa / Mikhail Klimentiew)
    Es gäbe eine überwiegende Mehrheit in der russischen Bevölkerung, die diese Politik mittrage, sagte die Politologin Silvia von Steinsdorff. Die Stellung Putins habe nach dem neuen dominanten Kurs ein Hoch erfahren. Die herrschende Klasse sei eindeutig von Putin abhängig. Die wirtschaftlichen Akteure seien in Teilen pluralistisch organisiert, aber solange es hier keine Nachteile gäbe, verhielten sich diese auch loyal zu Putin. Auch die Eliten, die viel Reisen und viel Geld im Westen haben, haben von der Rhetorik her den Kurs stark unterstützt, aber sie seien nicht bereit, ihren Lebensstil zu ändern, etwa durch den Kauf nur noch russischer Produkte.
    Außenpolitisch sei Putin in den letzten Jahren extrem erfolgreich gewesen. Innenpolitisch seien die 2000er-Jahre als sogenannte fette Jahre in Erinnerung geblieben. Da sei noch ein Puffer da. Während der Protestwellen 2011 habe man aber auch gesehen, dass es möglich, sei spontan und relativ unvorhergesehen Menschen auf die Straße zu treiben. Durch den neuen patriotischen Boom seien diese Proteste aber derzeit zum Erliegen gebracht worden.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Es wird immer eisiger zwischen Russland auf der einen und den meisten europäischen Ländern sowie den Vereinigten Staaten auf der anderen Seite. Der Krieg mit der Ukraine, Moskaus Eingreifen zugunsten von Präsident Assad in Syrien, wodurch der IS nicht beeinträchtigt wird, aber hunderttausende Menschen in die Flucht getrieben werden, schließlich der gezielte Einsatz von Internet und Medien zur Schwächung von Deutschland und auch anderen Partnern in der EU.
    Bis jetzt galt immer die Formel: Russland ist ein schwieriger Partner, nun hört man immer öfter, Russland ist ein Problem. Auch der Westen rüstet sich jetzt zunehmend vor allem gegen die hybride Kriegsführung.
    Am Telefon ist Silvia von Steinsdorff, sie beschäftigt sich als Professorin an der Humboldt-Universität in Berlin mit vergleichender Demokratieforschung Osteuropa und Russland. Guten Morgen!
    Silvia von Steinsdorff: Guten Morgen!
    Simon: Frau von Steinsdorff, Russlands Präsident tritt so auf, als sei ihm die zunehmende Eiszeit völlig egal. Kann das denn Russland egal sein?
    Steinsdorff: Bis jetzt oder in den letzten zwölf bis 24 Monaten war diese Politik ja sehr erfolgreich, also zumindest kurzfristig war diese Politik der Stärke, des zunehmenden Gegensatzes wieder zum Westen sowohl innenpolitisch ein Erfolg, und es hat außenpolitisch Russland bisher nicht sichtbar geschadet, denn immer dann, wenn Signale kommen, dass es eben doch wieder Möglichkeiten gibt, sich zu einigen, wie beispielsweise in der Frage des Atomprogramms im Iran, dann ist der Westen ja immer sehr willig gewesen, das auch wieder anzunehmen, denn letzten Endes an der Tatsache, dass ohne Russland für den Westen es schwierig ist, zu internationalen Lösungen zu kommen, daran hat sich ja nichts geändert und wird sich vermutlich auch in absehbarer Zukunft nichts ändern.
    Simon: Diese Konfrontationshaltung, ist das denn nur die Haltung des russischen Präsidenten und seiner Regierung oder denkt nach Ihrer Einschätzung auch die bestimmende Klasse in Wirtschaft und Gesellschaft so?
    "Putins Ansehen in der russischen Bevölkerung hat durch die Stärke in der Außenpolitik einen deutlichen Boom erfahren"
    Steinsdorff: Ich würde zumindest sagen, es gibt eine sehr große, überwiegende Mehrheit der russischen Bevölkerung, die diese Politik, diese Außenpolitik, diese internationale Politik auf jeden Fall mitträgt.
    Das kann man deutlich sehen, dass nach der durchaus etwas kritischeren Phase 2011, 2012, wo die Zustimmungswerte zu Putins Politik aus innenpolitischen Gründen deutlich gesunken waren, dann sozusagen dieser neue dominante Kurs in der Außenpolitik, diese neue Politik der Stärke, der Konfrontation, insbesondere in der Ukrainekrise, Krim-Annexion, dazu geführt haben, dass die Stellung Putins in der Bevölkerung oder das Ansehen Putins in der Bevölkerung, was nie wirklich jetzt dramatisch schlecht war, aber was deutlich im Sinken begriffen war, dass das wieder einen unglaublichen Boom erfahren hat. Zustimmungswerte zwischen 80 und 90 Prozent haben sich seitdem wieder eingestellt.
    Ein bisschen differenzierter muss man sehen, wie das mit der, wie Sie gesagt haben, herrschenden Klasse aussieht. Die herrschende Klasse, die administrative Elite, die eindeutig von Putin abhängig ist, also dieses System, dieses autokratische System, die sind eindeutig davon abhängig und tragen diesen Kurs auch mit.
    Was die wirtschaftlichen Akteure angeht, die ja etwas, in Teilen zumindest, pluralistischer aufgestellt sind, da würde ich sagen, solange es der Wirtschaftspolitik Russlands nicht massiv schadet, solange ist da sicher auch keine Illoyalität oder sogar Opposition zu erwarten.
    Simon: Sie sprechen die Wirtschaftspolitik an. Die Wirtschaft in Russland wird gerade sehr hart getroffen durch den abgestürzten Ölpreis. Könnte das eine Veränderung des Kurses bringen, denn das trifft ja auch viele Russen hart?
    Steinsdorff: Ja, das stimmt, die innenpolitischen Folgen dieser schwierigen oder immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Lage, die sind bereits in Ansätzen zu sehen. Das führt natürlich in erster Linie dazu, das trifft die Leute, die sozial Schwachen, die am stärksten am Tropf des Staates hängen, als erste und auch am stärksten, aber inwieweit das wirklich dazu führt, dass es zu politischen Protesten kommt, wissen wir aus der jüngsten Vergangenheit und auch aus der ferneren Vergangenheit, das ist eher unwahrscheinlich.
    Diese sozialen Proteste, die es immer wieder gibt und die auch durchaus auch so ein bisschen unter dem Radar der internationalen Öffentlichkeit immer wieder in Russland stattgefunden haben, die führen zum einen auch dazu, dass dann eben punktuell Abhilfe geschaffen wird durch Subventionsprogramme an bestimmten Stellen. Zum anderen ist es eben sehr schwierig, aus diesem sozialen und auch recht diversen Protest dann wirklich einen politischen Protest zu generieren, der dann eine bestimmte Wirksamkeitswelle auch überschreiten könnte. Insofern Unzufriedenheit, Sorge ja, aber nicht unbedingt die Anlastung dann gegenüber dem, oder man macht nicht unbedingt die Verantwortlichkeit gegenüber Putin und seiner Regierung unmittelbar daran fest.
    Simon: Frau von Steinsdorff, Sie sprachen gerade die sozial besonders Abhängigen an von den Leistungen der Regierung. Was ist denn mit denen, denen es jetzt etwas besser geht, wenn sich die Krise weiter verschärft und auch die merken, dass Dinge knapp werden, dass alles nicht mehr so läuft? Wird sich auch diese Gruppe dann zufriedengeben mit der Propaganda und den Parolen eines großen starken Russlands? Es muss ja nicht gleich ein sozialer Aufstand sein, es reicht ja ein Murren.
    "Ich sehe kein Potenzial für Proteste in Russland"
    Steinsdorff: Ja, das ist auch schwierig abzuschätzen. Bisher kann man sehen, dass es sehr gut funktioniert hat, das patriotische Aufwallen, gerade das nationalistische Aufwallen, das eben weite Teile, eigentlich das gesamte Land, der eintrat in den letzten anderthalb Jahren, auch die Eliten, von denen man weiß, dass sie viel Geld im Westen haben, dass sie reisen, dass sie sich auch in ihrem Lebensstil auch seit der Annexion der Krim und seit den Sanktionen nicht wirklich hart davon getroffen waren. Auch die haben zumindest, was die Rhetorik angeht, bisher den Kurs sehr stark unterstützt. Wir wissen aber auch, dass die Bereitschaft, wirklich den Lebensstil zu ändern und aufgrund der Sanktionen dann tatsächlich nur noch russische Produkte zu kaufen, dass das relativ begrenzt war bisher.
    Wie sich das weiterentwickeln wird, hängt natürlich auch immer davon ab, was wären denn innenpolitische Alternativen. Was wäre eine Politik, die daran jetzt kurzfristig etwas ändern würde, und solange das nicht wirklich sichtbar ist, ist das schwierig zu sagen. Da würde auch da dann die Unzufriedenheit sicher steigen, bestimmte Vermeidungsstrategien, Ausfallstrategien würden sich sicher verstärken, aber letzten Endes ist das auch eine relativ kleine Gruppe, die bisher sehr gut gelebt hat mit der Anpassung an dieses Regime. Insofern sehe ich da jetzt auch nicht das absolute Potenzial an Unzufriedenheit. An Unzufriedenheit schon, aber nicht unbedingt an Protest.
    "Sehr viele innenpolitische Ideen hat das Regime nicht entwickelt"
    Simon: Bei Ihnen höre ich heraus, Frau von Steinsdorff, dass auf der einen Seite Sie keine Alternative innenpolitisch sehen, aber auch nicht sehen, dass sich die Politik der Regierung Putin ändert.
    Steinsdorff: Außenpolitisch ist er in den letzten Jahren erfolgreich gewesen. Innenpolitisch muss man auch sagen, dass die 2000er-Jahre in Russland durchaus als fette Jahre in Erinnerung geblieben sind. Der Wohlstand ist deutlich gestiegen im Vergleich zu der Zeit davor. Die Regimezufriedenheit ist auch extrem gestiegen. Da ist natürlich auch immer so ein Puffer da, da kann man auch wieder ein Stück davon abschmelzen, ohne dass sofort eine dramatische Änderung nötig wird.
    Wir haben aber auch gesehen beispielsweise, dass nach den Protesten oder während der Protestwellen 2011, 2012, nach diesen massiven Wahlfälschungen und insbesondere nachdem Putin sich wieder zum Präsidenten selbst mehr oder weniger schon vor den Wahlen gekürt hatte, dass das zwar momentan, oder dass es durchaus auch die Möglichkeit gibt, spontan und relativ unvorhergesehen doch eine Menge Menschen auf die Straße und in Proteste zu treiben.
    In dem Fall war das Regime sehr erfolgreich, das eben dann durch diese Externalisierung, wie wir das nennen, wirklich abzuleiten. Dieser neue patriotische Boom, durch die Ukraine-Krise, durch die Annexion der Krim, hat diese Proteste absolut zum Erliegen gebracht. Dass sowas wieder passieren könnte, wenn sich die Lage zuspitzt, ist das eine. Das andere ist auch, dass wir gesehen haben, sehr viel innenpolitische Ideen hat das Regime nicht entwickelt.
    Auch in den fetten Jahren, von denen ich gesprochen habe, ist beispielsweise die immer wieder angekündigte wirtschaftliche Modernisierung, das Investitionsprogramm ausgeblieben. Die Wirtschaft ist nach wie vor von dem Ölpreis extrem abhängig, und auch viele innenpolitische Alternativen bleiben diesem autokratischen System nicht, außer dann eben im Zweifelsfall den Druck zu erhöhen.
    Simon: Die Einschätzung von Professorin Silvia von Steinsdorff, wohin entwickelt sich Russland. Vielen Dank, Frau von Steinsdorff!
    Steinsdorff: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.