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Russland-Ukraine-Konflikt
Europa muss "energiepolitisch weniger erpressbar werden"

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts hat der frühere CDU-Außenpolitiker Polenz im DLF eine stärkere Kooperation in der EU bei der Energieversorgung gefordert. Die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen müsse reduziert, der Wettbewerb und Erneuerbare Energien ausgebaut werden.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Christine Heuer | 24.04.2014
    Porträtbild von Ruprecht Polenz, dem ehemaligen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages.
    Ruprecht Polenz, der ehemalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. (picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen)
    Die Entwicklungen in der Ukraine geben der Europäischen Union Anlass zu "überprüfen, wie wir mittel- und langfristig energiepolitisch weniger erpressbar werden, als wir das im Augenblick sicherlich sind", sagte der ehemaliger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschlandfunk. Einige Schritte müssten konsequent fortgesetzt werden, etwa der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Der Energietransport von einem EU-Land in das andere müsse verbessert werden. Den tiefen Dissens über die künftige Nutzung fossiler Brennstoffe müsse Europa klären. "Der Weltgasmarkt wird sich durch die Fracking-Exploration ändern." Europa wolle eine gute Zusammenarbeit mit Russland, aber nur wenn es das Völkerrecht respektiere und einhalte.
    Eine Umkehr der russischen Außenpolitik im Ukraine-Konflikt sei momentan nicht zu erkennen, sagte Polenz. Die russische Politik ziele darauf ab, "die Ost-Ukraine ein Stück weit zu destabilisieren, damit man zwei Argumente hat: einmal die Regierung in Kiew wird der Lage nicht Herr und zum zweiten kann man das, was man anstrebt, nämlich eine Loslösung von Teilen der Ukraine Richtung Russland auf diese Weise befördern". Der Kreml "möchte auf alle Fälle den Fuß ganz tief in der Ukraine drinhaben, um eine Entscheidung der Ukraine Richtung Rechtsstaat, Demokratie und Europa blockieren zu können", sagte Polenz. Präsident Wladimir Putin "setzt auf auf die Karte, zurück zu alter Größe".

    Christine Heuer: Am Telefon begrüße ich Ruprecht Polenz, CDU-Außenpolitiker und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Guten Tag, Herr Polenz!
    Ruprecht Polenz: Guten Tag, Frau Heuer!
    Heuer: Wir hören von Toten in Slawjansk. Ist das jetzt schon Bürgerkrieg?
    Polenz: Das kann man von außen und aus der Entfernung schwer beurteilen, aber es ist sicherlich richtig, die russische Politik zielt darauf ab, die Ostukraine ein Stück weit zu destabilisieren, damit man zwei Argumente hat. Einmal, die Regierung in Kiew wird der Lage nicht Herr, und zum Zweiten kann man das, was man anstrebt, nämlich eine Loslösung von Teilen der Ukraine Richtung Russland auf diese Weise befördern.
    Heuer: Also Moskau, verstehe ich Sie richtig, möchte, da sind Sie sich sicher, die Ostukraine jetzt auch noch haben?
    Polenz: Sie möchte auf alle Fälle den Fuß ganz tief in der Ukraine drin haben, um eine Entscheidung der Ukraine Richtung Rechtsstaat, Demokratie und Europa blockieren zu können.
    Heuer: Kiew wirkt in dieser Situation immer hilfloser. Lässt die Europäische Union die Zentralukraine im Stich?
    Bedingungen für weitere Gesundung der Ukraine
    Polenz: Nein, das denke ich nicht. Man muss einfach sehen, die Situation in der Ukraine ist immer noch in der Hinterlassenschaft der früheren Sowjetunion schwierig, und die orangene Revolution, die Regierung Janukowitsch danach, die jetzige Übergangsregierung haben mit diesen objektiv ja sehr großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die große Korruption im Land, das alles ist bekannt. Und was der Westen tun kann, ist einmal, jetzt den Staatsbankrott durch Überbrückungskredite zu verhindern. Die weitere Gesundung der Ukraine wird man nach wie vor an Bedingungen knüpfen müssen. Für die Geldvergabe beispielsweise, damit das nicht in ein Fass ohne Boden geht. Und es muss natürlich die Bereitschaft geben, die Ukraine auch näher an Europa heranzuführen. Insofern halte ich es für kontraproduktiv, wenn im Augenblick über Fragen geredet wird, die sich gar nicht stellen und man der Ukraine sagt, also EU-Mitglied könnt ihr nie werden, wie das jetzt teilweise gesagt wird, das halte ich für falsch.
    Heuer: Jetzt haben Sie, Herr Polenz, zwei wichtige Punkte nicht genannt, nämlich die Sanktionen, über die geredet wird und die zum Teil ja auch verhängt worden sind, und die diplomatischen Gespräche. Beides scheint Russland ziemlich kalt zu lassen. Und Sie haben das Drohpotenzial Moskaus selber beschrieben.
    Polenz: Also ich glaube nicht, dass Russland es wirklich kalt lässt, wenn es sich international isoliert. Die Entschließung der Generalversammlung der Vereinten Nationen, wo aufseiten Russlands mal gerade elf Staaten noch übrig geblieben sind wie Nordkorea und Kuba und Venezuela und andere, Simbabwe. Das hat in Russland schon Bedeutung gehabt, und man weiß natürlich auch, dass die Chinesen die russische Politik gegenüber der Ukraine außerordentlich kritisch sehen. Dass sie sich nur deshalb nicht gegen Russland stellen, weil man sozusagen Russland als Gegengewicht gegenüber den USA sieht. Also das ist Russland schon bewusst, und auch die ökonomischen Probleme sind ja auch ohne Sanktionen eingetreten. Der Rubelverfall, der Absturz der Aktienmärkte in Russland – Ökonomen prognostizieren eine Kapitalflucht von 70 bis 80 Milliarden US-Dollar in diesem Jahr. Das alles ist schon im Blick, nur im Augenblick setzt Putin auf die Karte "zurück zu alter Größe", und die Zustimmungsraten in der russischen Bevölkerung geben ihm ja im Augenblick mit diesem Kalkül recht.
    Heuer: Und die Provokationen in der Ostukraine, die gehen weiter. Sie haben von der internationalen Isolierung Russlands gesprochen. Energiepolitisch ist Russland aber ja sehr eng an Europa gebunden. Wieso verzichtet die EU nicht auf russisches Erdgas?
    Wechselseitige Abhängigkeiten
    Polenz: Gut, das sind wechselseitige Abhängigkeiten. Wir können nicht von einem auf den anderen Tag auf russische Gaslieferungen verzichten, das verlangt auch niemand. Aber die gegenwärtige Entwicklung sollte schon Anlass dazu geben, zu überprüfen, wie wir mittel- und langfristig energiepolitisch weniger erpressbar werden, als wir das im Augenblick sicherlich sind.
    Heuer: Haben Sie da eine Idee, wie das geht?
    Polenz: Nun, wir haben natürlich die ganzen Komponenten, Energiepolitik vom Energieeinsparen bis zu den erneuerbaren Energien, die in diese Richtung wirken werden. Und der Weltgasmarkt wird sich durch Fracking-Explorationen auch weltweit verändern. Also die russische Position wird sich tendenziell, glaube ich, da sowieso abschwächen. Gleichzeitig muss man Russland immer auch deutlich machen, wir wollen eigentlich eine gute Zusammenarbeit mit euch, aber wenn wir uns nicht darauf verlassen können, dass ihr euch an Recht und Gesetz haltet, und ihr haltet euch im Augenblick nicht ans Völkerrecht, nicht an die Verträge, die ihr selber mit der Ukraine geschlossen habt, solange schadet ihr auch einem vernünftigen Investitionsklima und der Wirtschaft.
    Heuer: Polen drängt jetzt auf eine europäische Energieunion. Morgen kommt der polnische Ministerpräsident Donald Tusk nach Berlin. Energieunion in Europa würde eben heißen, man hilft sich gegenseitig und macht sich unabhängiger vom russischen Erdgas. Wenn Herr Tusk das morgen mit Frau Merkel bespricht, was sollte die Kanzlerin ihm antworten?
    Polenz: Ich glaube, wir sollten alles unterstützen, was die transeuropäischen Netze stärkt, dass man eben Energie auch von einem EU-Land in das andere leichter transportieren kann. Das hilft auch Ressourcen sparen, und teilweise sind eben diese grenzüberschreitenden Netzverbünde noch nicht da. Wir brauchen auch sicherlich mehr Wettbewerb in den europäischen Energiemärkten. Da wird es dann kompliziert, weil die meisten Energieversorger in den EU-Ländern auch relativ eng mit den Staaten verbunden sind. Und wir haben natürlich einen tiefen Dissens in der Europäischen Union über die Nutzung einerseits von fossilen Energien in der Zukunft – da setzt Polen beispielsweise nach wie vor sehr stark auch auf Kohle, weil man über Kohle verfügt. Oder die Franzosen setzen eben weiter sehr stark auf Kernenergie, weil sie, glaube ich, zu 80 Prozent ihren Strom aus der Kernenergie gewinnen und gar keine Möglichkeit sehen, darauf kurzfristig oder einigermaßen mittelfristig zu verzichten. Also da liegen natürlich auch Probleme, die man dann innerhalb der Europäischen Union besprechen muss.
    Heuer: Ja, man muss es besprechen. Und wenn Sie die ganze Technik so vor unserem geistigen Auge uns schildern, dann ist auch klar, das wird unheimlich viel Zeit in Anspruch nehmen.
    Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt
    Polenz: Ja, diese energiepolitischen Maßnahmen sind keine von heute auf morgen. Das ist etwas in der Perspektive irgendwie von wahrscheinlich schon Jahrzehnten letztlich, aber da sagen eben auch die Chinesen, auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Und die müssen jetzt getan werden.
    Heuer: Und hätten die Europäer diesen ersten Schritt nicht viel früher gehen müssen?
    Polenz: Es ist ja immer mal wieder darüber geredet worden, und bestimmte Schritte sind ja auch gegangen. Man darf nun nicht kleinreden, was beispielsweise Deutschland in den letzten 20 Jahren an Energieeinsparung bereits geleistet hat. Das sind schon alles Schritte in die richtige Richtung gewesen, wir müssen sie nur entschlossen weitergehen.
    Heuer: Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Polenz, vielen Dank!
    Polenz: Ja, bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.