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Russland-Ukraine-Konflikt
Kritik an möglichen Gefangenenaustausch

Im Russland-Ukraine-Konflikt verdichten sich die Anzeichen, dass ein Gefangenenaustausch kurz bevorsteht. Doch es scheint, dass Präsident Selensky für sein Ziel, alle in russischer Gefangenschaft befindlichen Ukrainer frei zu bekommen, einen Preis bezahlen will, der vielen Ukrainern zu hoch ist. 

Von Florian Kellermann | 07.09.2019
Der ukrainische Präsident Selensky
Der ukrainische Präsident Selensky will einen wichtigen Zeugen im Fall des 2014 abgeschossenen niederländischen Flugzeugs im Gefangenenaustausch mit Russland freilassen. Das stößt auf Kritik. (Ukrainian Presidential Press Office via AP)
Die Ukraine ist offenbar bereit, auch Wolodymyr Zemach auszutauschen. Bis vor kurzem war der Name kaum jemandem bekannt. Heute ist Zemach in der Ukraine in aller Munde. Denn der 58-Jährige könnte ein Zeuge - oder auch Verdächtiger - in einem für das Land sehr wichtigen Strafprozess sein.
Es geht um den Abschuss einer Passagiermaschine im Juli 2014 über der Ostukraine. Damals starben alle 298 Insassen, die meisten von ihnen waren Niederländer.
Zemach kämpfte damals für die sogenannten Separatisten im Donezbecken. Er soll an dem Abschuss beteiligt gewesen sein. Das scheint sich zumindest aus einem Interview zu ergeben, das er vor Jahren einem russischen Fernsehsender gab. Zunächst beschrieb Zemach, wie das Flugzeug gestürzt war, dann sagte er:
"Ich habe den Jungen herausgezogen und hab ihn versteckt. Ich kann sogar zeigen, wo er gestartet ist und wo ich ihn gefunden habe."
"Der Junge" - dabei soll es sich um die Rakete vom Typ Buk handeln, die das Flugzeug traf. Das entscheidende Wort ist in der Aufnahme des russischen Fernsehsenders unkenntlich gemacht. Aber der Kontext und Zemachs Lippenbewegungen lassen kaum eine andere Interpretation zu.
Erst im Juni war es dem ukrainischen Geheimdienst SBU in einer Spezialoperation gelungen, Zemach auf dem Gebiet der sogenannten Separatisten festzunehmen.
Entlassung aus der Untersuchungshaft
Doch nun hat ihn das Kiewer Berufungsgericht aus der Untersuchungshaft entlassen. Staatsanwalt Oleh Peresada hält das für fahrlässig:
"Ich denke, Herr Zemach ist damit in Gefahr gebracht worden. Ich habe versucht, das dem Gericht zu erklären: Er ist ein wichtiges Element bei den Ermittlungen zum Abschuss der Passagiermaschine. Und unser östlicher Nachbar geht mit Personen, die ihm gefährlich werden können, nicht zimperlich um."
Mit dem "östlichen Nachbarn" ist Russland gemeint. Nicht nur die Ukraine macht das russische Militär für den Flugzeugabschuss verantwortlich. Auch das internationale Ermittlerteam in den Niederlanden ist zu diesem Ergebnis gekommen.
Beobachter in der Ukraine gehen davon aus, dass Staatspräsident Wolodymyr Selensky die Freilassung von Zemach betrieben hat. Sein Ziel ist ein Gefangenenaustausch mit Russland.
Die Ukrainer sind gespalten. Die einen meinen: Kein Preis sei zu hoch, um zu Unrecht verurteilte Landsleute in die Heimat zu holen. Die anderen sagen dagegen: Die Ukraine müsse hier auf ihren internationalen Ruf achten. So der Politikwissenschaftler Oleh Saakjan:
"Wenn wir Zemach austauschen, kommen wir in einen Streit mit unseren westlichen Partnern. Auch für sie, besonders für die Niederlande, ist er ein wichtiger Zeuge.
Außerdem werden unsere Partner kaum verstehen, wie wir einen ukrainischen Staatsbürger einem anderen Staat übergeben können. Noch dazu unserem Feind, gegen den wir de facto Krieg führen."
Anzeichen für Gefangenenaustausch verdichten sich
Die Staatsanwaltschaft der Niederlande hat die Ukraine inzwischen sogar offiziell gebeten, Zemach im Land zu behalten. Dem schlossen sich 40 Abgeordnete des EU-Parlaments an.
Trotzdem verdichten sich die Anzeichen, dass ein Gefangenenaustausch bevorsteht. Davon sprach gestern auch der russische Präsident Wladimir Putin am Rande eines Wirtschaftsforums.