Dienstag, 23. April 2024

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Russland-Ukraine-Konflikt
"Nicht zu Kurzschlussreaktionen greifen"

Sanktionen gegen Russland wirkten nicht: Dies hätten die Reaktionen des Westens auf die Annexion der Krim durch Moskau gezeigt, sagte der Obmann der Linken im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Stefan Liebich, im Deutschlandfunk.

Stefan Liebich im Gespräch mit Peter Kapern | 28.04.2014
    Stefan Liebich (Die Linke), aufgenommen am 23.10.2011 während des Bundesparteitags seiner Partei in Erfurt.
    Stefan Liebich (Die Linke), Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags (picture alliance / dpa / Jens Wolf)
    "Wir befinden uns da aus meiner Sicht in einer Sackgasse, weil die Lage für die Menschen in der Ukraine kein Stück besser geworden ist, aber der Weg zu einer Lösung noch komplizierter", sagte Liebich. Die Diplomaten müssten bei der Ausweitung der Sanktionen "vom Ende her denken: Bringt es denn eigentlich irgendetwas?" Liebich sagte, er sei "stark am zweifeln, ob die Forderungen von Herrn Röttgen hier im Ergebnis dazu führen, dass (sich) die Lage in der Ost-Ukraine verbessert." Der Westen dürfe "jetzt nicht zu Kurzschlussreaktionen greifen".
    Ein Blick in die Geschichtsbücher über den Kalten Krieg könne helfen, sagte der Außenpolitiker der Linken. "Ich fürchte, wir kommen nicht umhin, auf einen Weg zurückzukehren, der in den 80er Jahren schon mal gut funktioniert hat - damals, als die OSZE noch die KSZE war, also die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Als die Sowjetunion in Afghanistan einmaschiert ist, als in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde, da hat man sich trotzdem getroffen, man hat miteinander geredet und um Lösungen gerungen."
    Liebich: Ohne Moskau geht es nicht
    Geboten sei eine Zusammenarbeit mit Moskau; dies hätten bereits zwei Konflikte gezeigt, sagte Liebich. "Dass die Chemiewaffen vernichtet werden in Syrien, ist nur zustande gekommen, weil man mit Russland zusammengearbeitet hat. Dass es eine Lösung im Iran-Atom-Konflikt gegeben hat, klappte nur, weil man mit Russland zusammengearbeitet hat. Und ehrlich gesagt: Selbst der Abzug aus Afghanistan läuft übrigens nur, weil man militärisch mit Russland zusammenarbeitet."

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Russlands Präsident Wladimir Putin möchte den Aufstand der Separatisten in der Ostukraine gerne zur Volkserhebung gegen die Zentralregierung in Kiew umdeklarieren. Doch von einer solchen Volkserhebung kann offensichtlich gar keine Rede sein. Gleichwohl: Die prorussischen Kräfte greifen weiter aus. Heute besetzten sie ein weiteres Verwaltungsgebäude, auf dem sie die Flagge ihrer kürzlich ausgerufenen Republik Donezk hissten. Die entführten OSZE-Beobachter befinden sich zudem nach wie vor in ihrer Gewalt.
    Ursula von der Leyen, die Verteidigungsministerin, hat ihren für heute geplanten Besuch bei Bundeswehrsoldaten im Kosovo abgesagt. Stattdessen bleibt sie in Berlin, um sich um die Situation der vier Deutschen zu kümmern, die seit dem vergangenen Freitag als Geiseln in der Ostukraine festgehalten werden. Sie gehören ja zu der Gruppe der OSZE-Beobachter, die von prorussischen Separatisten in der Stadt Slawiansk festgehalten werden. Die Geiselnahme hat die Diskussion um eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland weiter angefacht.
    Mitgehört hat Stefan Liebich, Obmann der Linken im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Guten Tag.
    Stefan Liebich: Guten Tag, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Liebich, überraschen Sie uns doch mal und sagen Sie uns, dass nun auch die Linken zu der Erkenntnis gelangt sind, dass der von Moskau unterstützte Separatismus in der Ukraine nur mit Sanktionen gegen Russland zu stoppen ist.
    Liebich: Sanktionen helfen nicht
    Liebich: Diese Überraschung kann ich Ihnen leider nicht liefern. Was ich tun kann ist zu sagen, dass das Handeln von Moskau falsch ist und dass das Agieren dieser sogenannten prorussischen Aktivisten im Osten der Ukraine natürlich unakzeptabel ist. Jede Forderung nach sofortiger und bedingungsloser Freilassung der dort festgehaltenen Soldaten und der sie begleitenden Zivilisten, die kann ich nur unterstützen. Ich glaube nur, dass Sanktionen dazu nicht helfen.
    Kapern: Was genau ist denn an Moskaus Handeln falsch?
    Liebich: Ich glaube, dass der Beginn schon falsch war. Da hatten wir, glaube ich, auch schon drüber gesprochen, dass nämlich die Besetzung oder die Übernahme der Krim in russisches Staatsgebiet unter Androhung von militärischer Gewalt ein eindeutiger Verstoß gegen das Völkerrecht war.
    Kapern: Und warum sollten dagegen Sanktionen nicht helfen?
    Liebich: Haben sie ja nicht. Ich meine, da müssen wir uns nur anschauen, was in den letzten Wochen passiert ist. Man hat Sanktionen verhängt, man will jetzt Listen verlängern, man will eventuell mit wirtschaftlichen Sanktionen nachfolgen. Wir befinden uns da aus meiner Sicht in einer Sackgasse, weil die Situation der Menschen in der Ukraine kein Stück besser geworden ist, aber der Weg zu einer Lösung komplizierter. Und ich glaube, diesen Weg jetzt noch schneller und noch intensiver voranzugehen, hilft gar keinem.
    Kapern: Aber ist es nicht so, dass Moskau, dass Wladimir Putin den Separatismus in der Ostukraine immer stärker, immer weiter anfacht?
    Eskalation der Situation
    Liebich: Dazu habe ich jetzt keine hinreichenden Kenntnisse. Wir haben beispielsweise jetzt aktuell, nachdem diese Geiselnahme stattgefunden hat, eine Information durch das Auswärtige Amt erhalten, dass Herr Steinmeier mit Herrn Lawrow im Gespräch war, dass Herr Lawrow zugesichert hat, dass er sich mit den prorussischen Aktivisten versuchen wird, darüber auseinanderzusetzen, dass die Freilassung erfolgt. Er hat auf einen begrenzten Einfluss verwiesen. Ich bin da nicht nahe genug dran. Man sieht natürlich, dass Russland Interessen hat, aber ich bin mir nicht sicher, ob diese Eskalation der Situation überhaupt noch im Interesse Russlands und von Putin sein kann.
    Kapern: Aber gleichwohl, das waren ja gestern, als die Geiseln der Öffentlichkeit vorgeführt wurden von diesem Bürgermeister von Slawiansk, geradezu gespenstische Bilder eines Mannes, der sich da aufspielte vor aller Öffentlichkeit. Da kann man doch den Eindruck bekommen, dass die Situation der Moskauer Kontrolle möglicherweise schon entglitten ist, dass sich das Ganze mittlerweile verselbstständigt hat und dadurch dann noch viel schlimmer ist, als wir es bisher eingestuft haben.
    "Die agieren mit Methoden aus dem letzten Jahrtausend"
    Liebich: Genau. Darauf wollte ich eben auch hindeuten. Ich bin der Auffassung, dass das was dort passiert in der Ostukraine, diese Menschen, die dort die Macht offenbar übernommen haben, die agieren mit Methoden aus dem letzten Jahrtausend. Die sind überhaupt nicht akzeptabel, da von Kriegsgefangenen zu sprechen etc. Das geht alles überhaupt nicht. Die Frage ist, ob man irgendetwas für die Geiseln oder für die Situation in der Ukraine löst, wenn man jetzt die Liste der Sanktionen gegen Politiker in Moskau oder Vertreter der Wirtschaft in Moskau verlängert, und diese Frage muss man ja schon stellen. Man Muss ja vom Ende her denken. Bringt es denn eigentlich etwas? Und da bin ich schon stark am zweifeln, ob die Forderungen von Herrn Röttgen hier im Ergebnis dazu führen, dass sich die Lage in der Ostukraine verbessert.
    Kapern: Dann lassen Sie mich doch die Sache noch mal von einem anderen Ende her denken. Was würde den Geiseln in der Ostukraine helfen?
    Weiter auf Gespräche setzen
    Liebich: Ich fürchte, wir kommen nicht umhin, auf einen Weg zurückzukehren, der in den 80er-Jahren schon mal gut funktioniert hat. Damals, als die OSZE noch die KSZE war, also die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, als die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert ist, als in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde, da hat man sich trotzdem getroffen. Man hatte miteinander geredet und um Lösungen gerungen.
    Kapern: Wer hat da miteinander gesprochen?
    Liebich: Die KSZE! Da gab es heftige Diskussionen, ob eine Beratung der KSZE in Madrid abgesagt werden soll. Man hat sich gemeinsam entschieden, trotz aller schwierigen Situationen, dass man gerade diese Wege, die man aufgebaut hat, auch weiter nutzt.
    Kapern; Aber, Herr Liebich, jetzt müssen Sie mir erklären: Was würden denn diese Gespräche mit Moskau, die Sie da fordern, bringen, wenn Moskau, wie Sie sagen, doch eigentlich gar keinen wirklichen Einfluss auf diese Separatisten hat?
    Liebich: Dass sie gar keinen Einfluss haben, habe ich nicht gesagt, sondern dass sie einen begrenzten Einfluss haben und dass wir ein gemeinsames Interesse haben müssen, dass sowohl von Kiew aus als auch von Moskau aus alles dafür getan wird, dass die Situation, so wie sie jetzt ist, uns nicht noch weiter entgleitet. Und meine Auffassung ist, dass man das weniger über Druck schafft, sondern mehr über Gespräche und vertrauensbildende Maßnahmen.
    Ich verstehe schon jeden, der da Zweifel hat, ob in Russland da die geeigneten Gesprächspartner sitzen, Muss aber auch darauf verweisen, dass auch die Regierung, die gegenwärtig in Kiew amtiert, die Forderungen, die in den Genfer Verabredungen besprochen wurden, nicht erfüllt hat. Auch diese Seite darf man nicht außer Acht lassen. Und mir ist auch eines wichtig: Das was Sie gerade eingespielt haben von Herrn Lambsdorff, das kann ich nur unterstreichen. Im Moment wird die tatsächliche OSZE-Mission, an der über 100 Beobachter teilnehmen, die mit Russland verabredet war, gefährdet dadurch, dass diese Militärmission, die dort stattgefunden hat mit unbewaffneten und in zivil gekleideten Soldaten, die rechtlich und formal korrekt war, ob das jetzt eine kluge Handlung war, da möchte ich wirklich ein dickes Fragezeichen hinter machen.
    Kapern: Herr Liebich, der Ukraine-Konflikt, der scheint ja tatsächlich das Verhältnis des Westens zu Russland komplett neu zu definieren. So fordert zum Beispiel jetzt der Verteidigungsausschuss des britischen Unterhauses, Russland wieder gewissermaßen als Gegner in den Blick zu nehmen. Wir können uns mal kurz anhören, welche Informationen uns unser Korrespondent Jochen Spengler aus London überspielt hat.
    Beitrag-Einspieler Jochen Spengler:
    Liebich: Keiner will einen neuen Kalten Krieg
    Kapern: Herr Liebich, soweit die Informationen von Jochen Spengler aus London. Was kommt da auf uns zu, ein neuer Kalter Krieg? Das war ja die Frage, die schon diskutiert wurde, als die Ukraine-Krise gerade begann zu eskalieren.
    Liebich: Ja ich treffe hin und wieder auf ältere Politikerkollegen oder auch Journalisten, die über den guten alten Kalten Krieg sprechen.
    Ich glaube, wir können den Eisernen Vorhang in Europa nicht herunterlassen. Und ganz im Ernst: Ich glaube auch nicht, dass das irgendjemand will. Die Staaten sind mittlerweile so politisch und vor allen Dingen auch wirtschaftlich miteinander verflochten, es ist nicht mehr so wie in den 70er- und 80er-Jahren.
    Nicht umsonst ist es heutzutage der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft und die deutsche Wirtschaft insgesamt, die mit Heulen und Zähneklappern auf jede Sanktionsandrohung reagieren, und auch politisch, muss ich mal sagen, handeln die Kollegen im Vereinigten Königreich nicht klug. Wie wollen wir denn Konflikte wie beispielsweise den in Syrien, ohne mit Russland einen Draht zu haben, behandeln? Dass die Chemiewaffen vernichtet werden in Syrien ist nur zustande gekommen, weil man mit Russland zusammengearbeitet hat. Dass es eine Lösung im Iran-Atomkonflikt gegeben hat, klappte nur, weil man mit Russland zusammengearbeitet hat.
    Und ehrlich gesagt, selbst der Abzug aus Afghanistan läuft nur, weil man übrigens auch militärisch mit Russland zusammenarbeitet. Das kann man jetzt alles ins Grab drücken und denken, man ist wieder in den 80er-Jahren, aber ich glaube, dass das falsch ist.
    Kapern: Aber das sind zwei steile Thesen, Herr Liebich, weil weder der Bürgerkrieg in Syrien ist beendet worden, noch der Atomkonflikt mit dem Iran ist beendet worden. Legt man da also zu viel Wert auf gute Beziehungen zu Moskau?
    Liebich: Nicht zur Kurzschlussreaktionen greifen
    !Liebich:!! Nein, nein, ganz im Gegenteil. Das ist beides nicht beendet worden, das stimmt. Aber wir haben zum Beispiel im syrischen Bürgerkrieg – und das fand ich eine ganz wichtige und entscheidende Maßnahme – beschlossen, und das passiert ja auch gerade, dass Massenvernichtungswaffen aus diesem Krieg herausgenommen werden. Natürlich ist der Krieg nicht beendet und geht immer noch auf schreckliche Art und Weise weiter, aber dass das gelungen ist, ist doch eine Menge wert. Und auch, dass Fortschritte erzielt wurden bei den Verhandlungen mit dem Iran, das wird ja niemand bestreiten, und alles das würde ohne und gegen Russland nicht laufen.
    Und auch der alte Spruch, dass es Sicherheit in Europa gegen Russland nicht geben wird, der gilt immer noch. Ich glaube, man kann jetzt nicht zu Kurzschlussreaktionen greifen, zumal man auch bei denen fragen Muss, ob dann am Schluss eine bessere Situation entsteht. Ich möchte das bezweifeln und ich glaube, wir kommen um den Weg der Diplomatie, so schwer es im Moment fällt und ich verstehe da jeden, der Sorgen hat, nicht herum.
    Kapern: Was sagen Sie denn all jenen Politikern in den Staaten, die sich vor einem Vierteljahrhundert aus dem sowjetischen Joch befreit haben und nun voller Angst wieder Richtung Moskau schauen? Was sagen Sie denen denn, wenn die nun fürchten, dass ihre Souveränität wieder von Russland angegriffen werden könnte?
    Liebich: Sofern Sie die Mitglieder der NATO meinen, gehören die ja einem Verteidigungsbündnis an, und das weiß Russland auch und ich sehe da auch keinerlei militärische Bedrohung.
    Es ist etwas anderes bei denjenigen Staaten, die nicht Mitglied der NATO sind. Da gibt es natürlich schwierige Situationen, auf die man politisch reagieren Muss. Aber beispielsweise ist die Ukraine nicht Mitglied der NATO. Die Ukraine gehört nicht zu diesem Verteidigungsbündnis. Und ich fand es schon ziemlich vermessen, wie der Generalsekretär der NATO, der Herr Rasmussen, als Reaktion auf das zweifellos falsche und völkerrechtswidrige Handeln Russlands als NATO-Generalsekretär Konsequenzen wie zum Beispiel die Beteiligung Russlands an der Vernichtung syrischer Chemiewaffen gezogen hat und gesagt hat, man möchte da nicht mehr mit Russland zusammenarbeiten. Die Zusammenarbeit im NATO-Russland-Rat ist beendet worden.
    Ich glaube nicht, dass all so etwas klug ist. Wie gesagt, Russland handelt falsch. Die Frage ist, ob die Reaktionen, die gegenwärtig erfolgen, helfen, oder ob sie schaden, und ich glaube, im Moment schaden sie.
    Kapern: Stefan Liebich war das, der Obmann der Linken im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Liebich, vielen Dank für Ihre Zeit! Danke und einen schönen Tag!
    Liebich: Gerne geschehen. – Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.