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Russland und der Syrienkonflikt
"Am Ende wird auch Putin einen Waffenstillstand wollen"

Russland müsse sich für einen Frieden in Syrien einsetzen, sagte der CDU-Politiker Karl-Georg Wellmann im Deutschlandfunk. Moskau müsse nun dringend den syrischen Präsidenten Assad dazu bringen, humanitäre Hilfe zuzulassen und das Morden zu beenden. Präsident Wladimir Putin werde eine Lektion lernen müssen, die auch der frühere US-Präsident George W. Bush gelernt habe.

Karl-Georg Wellmann (CDU) im Gespräch mit Jochen Spengler | 13.02.2016
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann (Imago)
    Mit Bomben sei ein Krieg nicht zu beenden, sagte der CDU-Politiker Karl-Georg Wellmann im Deutschlandfunk. Diese Lektion habe der frühere US-Präsident George W. Bush lernen müssen - und das werde nun auch der russische Präsident Putin einsehen müssen. "Am Ende wird auch Putin einen Waffenstillstand wollen. Den wollen ja immer alle. Das wollten die Amerikaner im Irak auch", betonte Wellmann.
    Die Regierung in Moskau habe durch ihr militärisches Eingreifen große Verantwortung in Syrien übernommen, betonte der CDU-Außenexperte. "Russland muss nun dringend den syrischen Präsidenten Assad dazu bringen, humanitäre Hilfe zuzulassen und das Morden und Töten zu beenden."
    Wellmann betonte, der Konflikt in Syrien sei ein Stellvertreter-Krieg und habe das Potential, sich zu einem großen Krieg in der Region auszuweiten. Eine Lösung sei nur auf politisch-diplomatischem Weg zu erreichen. Dazu finde Putin bisher leider nicht die Kraft. Der russische Präsident und sein Außenminister Lawrow betrieben zur Zeit eine unsägliche Propaganda, sagte der CDU-Politiker. Bundeskanzlerin Angela Merkel werde dies aber nicht schwächen. Stattdessen werde sich nur das Verhältnis zu Russland weiter verschlechtern - woran Deutschland allerdings kein Interesse habe.

    Das Interview in voller Länge:
    Jochen Spengler: Mehr als 30 Staats- und Regierungschefs, rund 60 Außen- und Verteidigungsminister - wie immer ist auch die diesjährige Münchener Sicherheitskonferenz hochkarätig besetzt. Seit gestern wird debattiert, und die Bemühungen um ein Ende des Syrienkrieges stehen im Mittelpunkt der Konferenz, die morgen endet. Heute wird Russlands Ministerpräsident Medwedew das Wort ergreifen, und Russland kommt bei mindestens zwei Konflikten auf der Welt eine Schlüsselrolle zu, im Syrien-Krieg und im Ukraine-Konflikt. Wie aber sollen wir umgehen mit Russland und seinem Präsidenten Putin, der unverhohlen auf militärische Stärke setzt und seine Interessen knallhart verfolgt? Diese Frage wollen wir stellen an den Bundestagsabgeordneten Karl-Georg Wellmann, Außenpolitiker der CDU und Mitglied der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe. Guten Morgen, Herr Wellmann!
    Karl-Georg Wellmann: Guten Morgen aus Berlin!
    Spengler: Kurz vor der Konferenz in München kam es ja überraschend zu einer gemeinsamen Sprachregelung der 17 Außenminister. Danach soll humanitäre Hilfe in Syrien zugelassen und innerhalb einer Woche eine Feuerpause umgesetzt werden. Viele sehen vor allem Russland in der Pflicht. Sie auch?
    Wellmann: Ja, natürlich. Russland hat große Verantwortung übernommen, indem es sich militärisch in den Bürgerkrieg in Syrien eingemischt hat. Russland ist im Moment hauptverantwortlich dafür, dass die Bevölkerung so leidet, dass Städte bombardiert werden. Und Russland muss dringend Herrn Assad, der zu hundert Prozent von Russland abhängt, dazu bringen, humanitäre Hilfe zuzulassen und das Morden und Töten endlich zu beenden.
    Spengler: Herr Wellmann, Sie haben vor wenigen Wochen hier im Deutschlandfunk, ich habe das noch mal nachgelesen, gesagt, ohne Russland oder gegen Russland werde es in Syrien nicht gehen, und es sei gut, wenn sich auch Russland dort engagiere. Würden Sie diesen Satz nach den russischen Bomben auf Aleppo auch heute noch sagen? War das naiv?
    Wellmann: Im Grundsatz ja. Es geht ja um einen Stellvertreterkrieg in Syrien. Es ist kein religiöser Krieg. Es ist ein Krieg zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen den Mächten Iran auf der einen Seite, Saudi-Arabien auf der anderen und letztlich der Türkei im Norden. Früher war es so, dass die die Westmächte und die Russen gegeneinander ausgespielt haben, Amerikaner und Russen. Und dieser Krieg wird nur zu beenden sein, dieser Konflikt, wenn vor allem die Amerikaner und die Russen und die Europäer an einem Strang ziehen. Nur so werden die örtlichen Mächte dazu gebracht werden können, endlich für Frieden und Stabilität in der Region zu sorgen.
    Spengler: Treibt denn Russland, treibt Präsident Putin ein doppeltes Spiel, wie es die Bundesverteidigungsministerin gesagt hat, oder verfolgt es einfach seine ganz normale Interessen- und Machtpolitik, wenn da weiter bombardiert oder sogar, wie der "Spiegel" meldet, Bodentruppen in Syrien einsetzt?
    Wellmann: Putin ist ein sehr kühl kalkulierender Machtpolitiker, der allerdings diese Konflikte, auch in der Ukraine, nutzt, um von dem sehr schlimmen Zustand im eigenen Land, wirtschaftlichen Zustand, abzulenken. Er hat sich dort militärisch engagiert und wird dieselbe Lektion lernen, die George W. Bush lernen musste, dass nämlich mit Krieg und mit Bomben ein solcher Konflikt nicht zu beenden ist. Er ist nur zu beenden mit einer politischen Lösung. Das ist zwar sehr mühsam, weil viele Menschen gestorben sind - 300.000 Zivilisten sind gestorben. Es ist großer Hass entstanden. Nur, Putin muss auch wissen, dass er mit dem Feuer spielt. Er macht sich jetzt die Sunniten, die ja in der weiten Mehrheit sind gegenüber den Schiiten, zum Todfeind. Andere Mächte wie Saudi-Arabien haben schon gedroht, Luftabwehrraketen zu liefern. Stellen Sie sich vor, dass dort russische Flugzeuge abgeschossen werden. Und Saudi-Arabien hat gedroht, das gleiche zu machen wie Iran, nämlich Bodentruppen einzusetzen. Das heißt, dieser Konflikt hat potenziell die Möglichkeit, zu einem großen Krieg sich auszuweiten, und das muss in jedem Fall verhindert werden. Das ist keine Lösung. Am Ende ist das nur politisch-diplomatisch zu bewältigen, und daran arbeiten wir, und vor allem die Bundesregierung.
    Spengler: Aber im Augenblick sieht es doch so aus, als würde Putins Strategie Früchte tragen. Seine Truppen sind zusammen mit den syrischen Regierungstruppen auf dem Vormarsch. Und sein Interesse ist es doch vor allen Dingen, die Diktatur Assads zu retten, und nicht einen Waffenstillstand zu schließen, oder sehe ich das falsch?
    Wellmann: Am Ende wird er auch einen Waffenstillstand wollen. Das wollen ja immer alle. Das wollten die Amerikaner im Irak...
    Spengler: ...dann, wenn sie genügend Boden erobert haben.
    Wellmann: Ja, aber das ist ein Pyrrhussieg, weil er erobert, oder Assad erobert ein völlig zerstörtes Land, das in jeder Hinsicht, ökonomisch, aber auch moralisch verwüstet ist. Das wieder aufzubauen, wird eine Riesenaufgabe, und er löst damit noch oder er fördert damit, er gießt Öl ins Feuer in den Konflikt der Extremisten. Und er hat ja selber im Nordkaukasus, das zu Russland gehört, die größten Probleme mit der muslimischen Mehrheitsbevölkerung und Extremismus dort. Er hätte eigentlich das größte Interesse daran, diesen Konflikt endlich zu beenden und zu politischen Lösungen zu kommen. Aber dazu findet er im Moment nicht die Kraft.
    Spengler: Aber er schlägt ja mehrere Fliegen mit einer Klappe. Zum Beispiel nimmt er die Flüchtlinge bewusst in Kauf, und das dient ihm dazu, Europa zu schwächen, oder nicht?
    Wellmann: Ja, das ist ein aus seiner zynischen Sicht sozusagen willkommener Nebeneffekt. Denn mit der Kanzlerin kommt er ja nicht mehr aus. Die Kanzlerin ist diejenige, die am striktesten die Sanktionen gegen Russland in Europa durchgesetzt hat. Und er hofft, die Kanzlerin zu schwächen. Das ist allerdings ein Trugschluss. Sie wird nicht geschwächt. Wir werden die Flüchtlingskrise so oder so, durch Schließung der äußeren oder der inneren Grenze bewältigen. Wir werden die Integrationsleistung durchführen. Die Kanzlerin wird nicht geschwächt durch diese Politik, und die unsägliche Propaganda, die parallel geführt wird von Putin und Lawrow und anderen, wird nicht zum Ziel führen, sondern nur das Verhältnis zu Russland weiter ruinieren, woran wir allerdings kein Interesse haben.
    Spengler: Sie beschwören das, dass das nicht zum Ziel führen wird. Aber Putin ist in Georgien eingeschritten, er hat die Krim erobert, er sorgt jetzt in Syrien für das Überleben des Assad-Regimes. Sie haben recht, Russland ist ökonomisch schwach, aber es ist militärisch obenauf, und es ist in der Folge zurück auf der politischen Weltbühne, auf Augenhöhe mit den USA. Also, was immer wir davon halten, wir müssen doch zugeben, dass Putins Strategie erfolgreich war.
    Wellmann: Na ja, ich habe ja schon von Pyrrhussieg gesprochen. Wir haben ja ein Interesse daran, dass Russland seine Verantwortung in der Welt wahrnimmt, wie es übrigens die Verantwortung in Bezug auf die iranische Atomrüstung ernst genommen hat und die Verantwortung wahrgenommen hat und geholfen hat, diesen Konflikt zu beenden. Wir werden dauerhaft Frieden in der Welt nicht gegen Russland erreichen. Nur, Russland ist mindestens 20 Jahre ökonomisch und technologisch hinter dem Westen zurück und fällt immer weiter zurück. Der Rubel ist im freien Fall. Die Wirtschaft ist in dramatischem Zustand. Es droht eine Finanzkrise. Und dagegen hilft auch die Besetzung der Krim nicht, die nur Geld kostet, und schon gar nicht der Bombenkrieg in Syrien, der auch noch Geld kostet. Für Bombenwerfen können Sie sich kein Brot kaufen.
    Spengler: Also Sie sagen, langfristig wird Putin mit dieser Strategie scheitern?
    Wellmann: Ja, natürlich. Wie auch die Amerikaner im Irak mit der Strategie gescheitert sind. Man erzeugt Gegengewalt, man erzeugt Hass, man erzeugt nicht Vertrauen in der Welt durch vorübergehende militärische Stärke oder scheinbare Erfolge. Assad ist doch bankrott, politisch, militärisch, ökonomisch. Er herrscht dort, wo er noch herrscht, über ein zerstörtes Land und wird nur noch künstlich von den Russen am Leben gehalten. Das ist doch am Ende kein politisches Konzept. Es ist ein Konzept, Stabilität zu erreichen. Das geht aber nur gemeinsam mit den anderen, und das geht nur, wenn man Frieden schafft und einen Aufbau schafft und die Möglichkeit dafür schafft, dass die vielen Millionen Flüchtlinge in Syrien in ihre Heimat zurückkehren können, auch aus Deutschland und Europa.
    Spengler: Nun nutzt ja Putin offenbar auch gnadenlos die Schwäche beim Gegner aus, auch bei der EU, sozusagen die vielen Stimmen, die wir im Augenblick in der EU haben - kann man das sagen, dass seine Stärke befördert wird durch unsere Schwäche?
    Wellmann: Das sehe ich nicht. Der Westen stand unter Führung der Bundeskanzlerin ja sehr einig gegen Russland in der Ukraine-Krise. Was er befördert, ist die Begeisterung bei Rechtsradikalen. Pegida und die AfD finden ihn ja gut und himmeln ihn an, oder die Rechtsradikalen in Frankreich. Das macht uns Sorgen. Er wird unsere Stabilität hier in Europa nicht gefährden. Wir werden diese Krise bewältigen, wir werden Europa stärken. Daran habe ich keinen Zweifel. Deutschland ist stark, Deutschland ging es noch nie so gut wie jetzt, trotz aller Aufregung um die Flüchtlingskrise. Aber das wird in einem Jahr vorbei sein, und Russland steht dann immer noch da, wo es jetzt steht. Es hilft nichts - Putin hat die Aufgabe verfehlt, sein Land zu modernisieren. Russland wird objektiv schlecht regiert, und daran ändert militärische Kraftmeierei überhaupt nichts.
    Spengler: Das heißt, wir sollten unser Licht nicht immer so unter den Scheffel stellen, sondern tatsächlich auf eigenes Selbstbewusstsein setzen? Ich habe mal nachgelesen. Unser Bruttoinlandsprodukt in Europa beträgt etwa 16 Billionen Dollar, und das ist mehr als zehnmal so viel wie das russische Bruttoinlandsprodukt. Also auf diese eigene Stärke zu setzen und sich nicht von Putin bange machen lassen. Ist das ein Teil einer westlichen Gegenstrategie?
    Wellmann: Natürlich. Wir haben unsere Stärken, darüber müssen wir reden. Die ökonomische Stärke Russlands liegt unter der von Mexiko zum Beispiel, nur um mal einen Vergleich zu nennen. Putin hat einen Haushalt unterschrieben, wo er 50 Dollar pro Barrel für sein Öl braucht. Die Hälfte kriegt er im Moment. Das heißt, Russland steuert zusätzlich noch auf eine Finanzkrise zu und kann sich den Riesenmilitärhaushalt eigentlich gar nicht leisten. Aber er tut es zum Schaden seines Landes, anstatt in Europa zivilisierte Politik mit den anderen zu machen und eine Modernisierungspartnerschaft mit uns einzugehen, mit dem Westen einzugehen. Das ist, was wir wollen, Handel und Wandel und Auflockerung und liberale Ideen und Demokratie. Das alles scheut er, weil er Angst davor hat. Und das ist kein Zeichen - ich sage es noch mal -, das ist kein Zeichen von Stärke, was er in der Ukraine gemacht hat. Es ist am Ende ein Zeichen von Schwäche.
    Spengler: Also ist Furcht vor einem militärisch erstarkten Russland ein schlechter Ratgeber?
    Wellmann: Na ja, wir müssen vorsichtig sein. Und das hat die NATO getan. Wir haben gesagt, wir brauchen eine Mischung aus einer klaren sicherheitspolitischen Strategie - die NATO hat ja beschlossen, auch ihre Fähigkeiten in Osteuropa, in unseren osteuropäischen Mitgliedsländern zu stärken, um klarzumachen - das hat der Generalsekretär Stoltenberg auch noch mal gesagt -, ein Angriff auf ein NATO-Land ist ein Angriff auf die gesamte NATO - und gleichzeitig das Gespräch anzubieten und Ausgleich und Diplomatie anzubieten, so wie es die Bundesregierung macht. Das ist die richtige Strategie, eine Mischung aus Diplomatie und Stärke!
    Spengler: Ich habe es eben angesprochen, heute die Rede des russischen Ministerpräsident Medwedjew auf der Münchener Sicherheitskonferenz. Was konkret erwarten Sie von ihm?
    Wellmann: Ich erwarte von ihm nicht sehr viel. Er ist ja nicht die Nummer eins in Russland, sondern das ist Putin. Er musste zurückstecken. Er war ja mal Präsident und musste dann wieder zurück ins Glied, als Putin sagte, er will Präsident werden. Aber hören wir ihm zu. Es ist allemal besser, zu reden. München ist ein sehr gutes Forum, weil viele wichtige politische Spieler dort sind. Der russische Ministerpräsident ist ein wichtiger Spieler und wir hören, was er sagt.
    Spengler: Was würden Sie denn gern hören, Herr Wellmann?
    Wellmann: Ich würde hören, dass Russland zurückkehrt zu einer gemeinsamen Politik mit Europa und mit den Amerikanern, um den Nahen Osten zu befrieden, weil wenn es dort anfängt zu brennen, dann qualmt es auch ganz schnell in Russland, im Nordkaukasus zum Beispiel. Und sein Land gut zu regieren und gemeinsame Ideen, wie man sein Land und wie man Europa weiterentwickelt, mit uns zu besprechen. Das würde ich mir wünschen.
    Spengler: Sagt Karl-Georg Wellmann, Außenpolitikexperte der CDU-Bundestagsfraktion. Danke, Herr Wellmann, ein schönes Wochenende Ihnen!
    Wellmann: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.