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Russland und Ukraine
"Die Entscheider in Moskau sind rationale Politiker"

Hans-Henning Schröder, Osteuropa-Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik, rechnet nicht mit einer Rückkehr des aus dem Land geflohenen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Janukowitsch sei in der Ukraine "politisch verbrannt", sagte Schröder im Deutschlandfunk.

Hans-Henning Schröder im Gespräch mit Christine Heuer |
    Der russische Präsident Wladimir Putin (l), und Verteidigungsminister Sergej Schoigu (r) bei einer Militärübung im Juli 2013.
    Der russische Präsident Wladimir Putin (l), und Verteidigungsminister Sergej Schoigu (r) bei einer Militärübung im Juli 2013. (picture alliance / dpa / EPA / Alexey Nikolsky / Ria Novosti)
    Christine Heuer: Auf der Krim spitzen sich die Dinge dramatisch zu. Russische Kampfpanzer sollen die erlaubte Zone für die Schwarzmeerflotte verlassen haben. Moskau hat Kampfflugzeuge an der Grenze zur Ukraine in Kampfbereitschaft versetzt – nur zu Übungszwecken, wie es heißt. Das Regionalparlament auf der Krim ist von einer prorussischen Gruppe besetzt worden.
    Am Telefon ist Hans-Henning Schröder von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Dort leitet er die Forschungsgruppe Russland, GUS. Guten Tag, Herr Schröder!
    Hans-Henning Schröder: Guten Tag, Frau Heuer!
    Heuer: Russland gewährt Janukowitsch also Schutz auf seinem Territorium. Heißt das im Umkehrschluss, dass Janukowitsch aufgegeben hat?
    Schröder: Das heißt zumindest, dass er politisch verbrannt ist in der Ukraine. Als ukrainischer Präsident sich neu wählen zu lassen, nachdem man sozusagen in russischer Obhut war, das scheint mir unwahrscheinlich zu sein.
    Heuer: Heißt das, auch aus Moskauer Sicht ist er als Präsident erledigt?
    Einwandfreie Rechtslage
    Schröder: Na ja, ich meine, die Rechtslage ist ja einwandfrei. Er ist noch Präsident. Das heißt, das Absetzungsverfahren, das in Kiew stattgefunden hat, entspricht nicht den Regeln, die die Verfassung von 2004 zugibt. Das heißt also, formal ist er das tatsächlich noch. Er hat natürlich jede politische Legitimation verloren, und wenn wir Neuwahlen bekommen im Mai, dann wird es auch einen legitimen neuen Präsidenten geben.
    Heuer: Und mit einem Comeback von Janukowitsch ist auch dann oder danach nicht mehr zu rechnen?
    Schröder: Also politisch ist er eigentlich schon tot gewesen. Er hat es in den zwei Jahren oder drei Jahren seiner Amtszeit geschafft, die Masse der Ukrainer, und zwar unabhängig von der Region, gegen sich aufzubringen, und er war eigentlich sozusagen politisch erledigt. Sein Sturz jetzt gibt ihm sozusagen noch mal eine gewisse Chance, dass, weil er ja sozusagen russische Interessen vertreten hat zuletzt – nicht die ganze Zeit, aber in den letzten Wochen, sodass er da eine gewisse Rückendeckung bekommt. Aber die Frage ist jetzt sozusagen, was Russland unternimmt.
    Deutliches politisches Signal
    Heuer: Was kann denn Russland unternehmen?
    Schröder: Na ja, die Bandbreite ist natürlich groß. Das heißt, das geht hin von Zahlung oder Nichtzahlung von großen Hilfsmaßnahmen, das geht über Energielieferungen oder Nicht-Energielieferungen bis hin zu einem Einsatz von Militär, wie das sozusagen in dem Beitrag vorhin angedeutet worden ist. Wobei ich hier sagen möchte: Russland hat nicht mobilisiert. Das ist ein Missverständnis. Sondern Russland führt seit einiger Zeit in den verschiedenen Militärbezirken Alarmierungen durch. Das heißt, stellt fest, wie bereit die dort stationierten Truppen sind. Und das haben sie gestern gemacht im Fall des westlichen Wehrbezirks, der sozusagen angrenzt an die Ukraine. Das ist ein politisches Signal, dass sie das jetzt machen, ganz deutlich, sie hätten das ja auch aufhören können, aber es heißt nicht, dass sie sozusagen Munition in die Geschütze fahren und in Stellung gehen. Sondern es ist zunächst einmal ein politisches Signal an die Ukraine und natürlich auch an die EU und die USA.
    "Keine durchgeknallten Nationalisten"
    Heuer: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass aus diesem Signal tatsächlich Realität wird, also dass es eine militärische Intervention Russlands geben kann?
    Schröder: Sie müssen davon ausgehen, dass die Entscheider in Moskau, und das ist Präsident Putin, das ist Außenminister Lawrow, das ist der Verteidigungsminister Sergej Schoigu, dass das rationale Politiker sind. Das sind keine durchgeknallten Nationalisten, sondern Leute, die abwägen sozusagen die Konsequenzen ihres Handelns. Das heißt, die werden Militär nur dann einsetzen, wenn sie wirklich provoziert werden und wenn sie glauben, dass sie das sozusagen nach außen und nach innen vertreten können und insgesamt einen politischen Gewinn haben und keinen politischen Verlust.
    Heuer: Was würde Moskau denn als Provokation in diesem Sinne verstehen?
    Schröder: Das wäre zum Beispiel tatsächlich ein Bürgerkrieg auf der Ukraine.
    Heuer: Auf der Krim meinen Sie?
    Schröder: Entschuldigen Sie, ja, ich meine einen Bürgerkrieg auf der Krim. Wir haben dort über 50 Prozent russische Bevölkerung, 24 Prozent Ukrainer und zwölf Prozent Krim-Tataren und der Rest verteilt sich dann so. Wenn es hier zu Gewaltmaßnahmen käme von ukrainischer Seite, das wäre sich ein Grund, einzugreifen. Wobei ich davon ausgehen würde, dass dies ein begrenztes Eingreifen wäre. Russland würde nicht versuchen, die Ukraine zu besetzen.
    Russland würde nicht versuchen, die Ukraine zu besetzen
    Heuer: Sondern?
    Schröder: Sondern würde versuchen, das, was sie Ordnung nennen würden, auf der Krim herzustellen und die russische Bevölkerung zu schützen.
    Heuer: Nun hören wir aber aus Kiew, dass schon diese Militärübungen der Russen als Akt der Aggression gewertet werden und dass Kiew entschlossen sei, die Ukraine notfalls zu schützen. Läuft da eine neue Eskalationsspirale nicht hoch?
    Schröder: Da läuft eine Eskalationsspirale hoch, wobei man davon ausgehen muss, dass die 150.000 ukrainischen Soldaten schlecht ausgebildet, schlecht ausgerüstet und schlecht motiviert sind. Das heißt, dass die Fähigkeit, sich militärisch zu verteidigen, in der Ukraine gering ist, dass auf der anderen Seite der politische Gewinn für Russland, wenn sie einmarschieren würden, noch geringer ist, denn sie würden Gesicht verlieren, sie würden sich sozusagen ein Land aneignen, in dem es einen permanenten Widerstand gäbe, und das ökonomisch dann völlig zusammengebrochen ist. Von daher ist das keine wirkliche Option.
    Heuer: Und Sie glauben, das wissen auch beide Seiten?
    Schröder: Die russische Seite weiß es sicher.
    Heuer: Und die ukrainische nicht?
    Schröder: Mir ist nicht ganz so klar, wer im Moment die ukrainische Seite ist, offen gestanden. Ich denke, dass da eine Menge Aufregung ist und auch ein bestimmter Grad an Hysterie. Und insofern ist sozusagen diese russische Drohgebärde, die sie gemacht haben, fehl am Platze, weil sie sozusagen die Hysterie noch weiter steigert.
    Heuer: Jetzt haben wir ganz viel, Herr Schröder, über militärische Optionen gesprochen, weil sich dieses Thema gerade eben so hochschaukelt. Fakt ist, das Regionalparlament auf der Krim ist besetzt, es gibt da Handgemenge, die Polizei ist im Einsatz, es wurden offenbar Stadtteile abgesperrt. Wie groß ist denn eigentlich die Gefahr einer Abspaltung der Krim oder anderer Landesteile von der Ukraine, auch ohne, dass die Russen intervenieren.
    Kandidat Krim
    Schröder: Wenn es tatsächlich eine Gefahr gibt, dann ist es die Krim. Die Krim ist jetzt schon im Arm der Ukraine eine autonome Republik, wie gesagt, mit einem Anteil ethnischer Russen über 50 Prozent. Es gibt einige, zwei andere Regionen von insgesamt 24 Regionen der Ukraine, die eine stärkere russische Bevölkerung haben, so an die 39, 40 Prozent. Die liegen ganz im Osten an der Grenze Russlands. Da sieht man aber eigentlich solche Bewegungen hin auf Autonomie und Abspaltung eigentlich nicht. Also die Krim wäre tatsächlich ein Kandidat, die würden sich dann darauf berufen, dass sie ursprünglich zu Russland gehörten, dass sie '54 von Chruschtschow an die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik verschenkt worden sind. Da gibt es aber eben auch die politischen Kräfte, die so was tragen würden, also eine Autonomiebewegung zum Beispiel.
    Heuer: Angenommen, es käme so – welche Folgen hätte das denn für die Ukraine, aber auch für die Region.
    Schröder: Zunächst mal für die Region würde es wirklich einen massiven und auch gewaltsamen Konflikt bedeuten, weil wir dort mit zwölf Prozent eine tatarische Minderheit haben, die aufgrund der eigenen Geschichte – Krimtataren sind deportiert worden unter Stalin, dann zurückgekehrt unter Chruschtschow – einen starken antirussischen Affekt haben. Und man kann davon ausgehen, sie würden von der Ukraine unterstützt, das heißt, wir hätten da schon einen massiven Konflikt. Ob der jetzt beruhigt werden kann, muss man sehen. Und im Moment ist die Frage – ich sehe niemanden, der im Moment bereit ist, da als Schlichter hinzugehen.
    Heuer: Ja, aber wir haben Ursula von der Leyen vorhin gehört – die deutsche Verteidigungsministerin hat uns heute früh ja hier im Deutschlandfunk ein Interview gegeben. Die NATO-Verteidigungsminister haben die Lage der Ukraine besprochen. Ist diese mögliche Abspaltung, die sie gerade beschrieben haben, und ein möglicher folgender gewaltsamer Konflikt, ist das nicht jetzt eigentlich die Baustelle, auf die sich auch die Europäische Union oder die NATO konzentrieren müsste?
    Es geht um die Gesamtlage der Ukraine
    Schröder: Nicht konzentrieren, sondern es geht um die Gesamtlage, und es geht auch um die Gesamtlage der Ukraine, wo es darum geht, zunächst mal da stabile Verhältnisse herzustellen. Das ist Sache der Ukrainer selbst in hohem Maße. Die kann nur begleitet werden von Russland und der EU. Und die Situation der Krim verschärft das natürlich noch mal. Natürlich muss man deutlich machen, hier kann es kein bewaffnetes Eingreifen von außen geben. Sondern hier geht es darum, auch diesen ethnischen Konflikt, der auf der Krim droht, sozusagen zu beruhigen. Die Frage, wie weit die russische Seite das im Moment tut, ist schwer zu beurteilen. Ich nehme an, da gibt es eine ganze Reihe Scharfmacher. Wie weit sie das treiben wollen, das ist im Moment einfach schwer abzuschätzen.
    Heuer: Die Lage auf der Krim ist brenzlig. Hans-Henning Schröder war das von der Stiftung Wissenschaft und Politik, er leitet dort die Forschungsgruppe Russland/GUS. Herr Schröder, danke für Ihre Antworten, das war sehr interessant. Tschüs!
    Schröder: Bitte schön. Auf Wiederhören!
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