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Amateurboxerin bangt um Olympiaqualifikation
"Ich habe das Gefühl, dass man mir Steine in den Weg legt"

Jahrelang wurde Amateurboxerin Sarah Alexandra Scheurich von Steuergeldern gefördert, gewann Medaillen, machte sich Hoffnungen auf ein Olympiaticket. Dann warfen sie eine Coronavirus-Infektion und Depressionen zurück. Nun kämpft sie um Olympia und ihre Zukunft - und fühlt sich vom Verband im Stich gelassen.

Sarah Scheurich im Gespräch mit Astrid Rawohl |
Amateurboxerin Sarah Scheurichni roter Sportkleidung im Ring, sie hält die Hände in Boxhandschuhen erhoben
Amateurboxerin Sarah Scheurich (picture alliance / Norbert Schmidt | Norbert SCHMIDT)
Die deutsche Amateurboxerin Sarah Alexandra Scheurich hat eine schwierige Zeit hinter sich: Die 27-Jährige infizierte sich im Tiroler Trainingslager ihres Verbandes mit dem Coronavirus, überstand die COVID-19-Erkrankung und eine Depression. Nun ist sie nach eigener Aussage körperlich fast wieder topfit, doch das Ticket für die Olympischen Spiele in Tokio hat die Sportsoldatin noch lange nicht in der Tasche. Bei einem europäischen Turnier können sich die letzten Boxerinnen qualifizieren. Wer dort allerdings für Deutschland antreten darf, entscheidet sich zwischen zwischen Scheurich und Christine Hammer, die in diesem Jahr aus dem Profiboxlager zu den Amateuren zurück gewechselt ist und ebenfalls in Tokio an den Start gehen will.
Scheurich schaut starr nach vorn, wirkt sehr konzentriert.
Sarah Scheurich vor einem Kampf (2019) (www.imago-images.de)
Wann dieser Kampf stattfinden soll, ist noch nicht bekannt. Kürzlich verlor Scheurich einen Testkampf gegen Hammer nach Punkten, lieferte aber eine gute Leistung ab. Zu allem Überfluss musste sie sich auch noch in Nordirland in Quarantäne begeben, ihre Konkurrentin konnte in dieser Zeit weitertrainieren. Die aktuelle Zeit sei daher eine psychische Belastung, sagte Scheurich im Dlf. "Es kommen immer wieder neue Sachen, die einen ausbremsen. Es kommt die Nachricht: Wir müssen hier in Quarantäne bleiben, der Kampf findet dann statt. Der Kampf findet doch nicht statt. Es geht die ganze Zeit hin und her. Ich weiß noch nicht einmal, wer die Nummer eins ist, ob ich überhaupt die Chance bekomme, mich zu qualifizieren."
Jackie Baumann kniet nach einem Rennen am Boden. Ihre Stirn liegt auf ihrer Hand am Boden.
Druck im Leistungssport - "Psychologische Betreuung müsste Standard sein"
Boxerin Sarah Scheurich, die ehemalige Schwimmerin Petra Dallmann und Ex-Hürdenläufer Silvio Schirrmeister haben sehr viele und sehr unterschiedliche Erfahrungen im Spitzensport gemacht. Gemeinsam erklären sie im Sportgespräch, wie sich Druck im Leistungssport anfühlt und wie Athleten damit umgehen können.
Die Eltern seien ihr eine große Stütze, sagt Scheurich, die sich auch Hilfe beim Psychiater und einer Therapeutin holt. Vom deutschen Boxverband hätte sich allerdings niemand gemeldet und nach ihrer Verfassung gefragt, so Scheurich. "Tatsächlich fühle ich mich da schon ein bisschen alleine gelassen. Wenn man E-Mails schreibt, bekommt man nicht unbedingt Antworten auf die Fragen, die man stellt. Ich finde, das ist überhaupt nicht transparent." Sie möchte sich einfach nur gut vorbereiten können. "Und das sollte auch deren Ziel sein, das Ziel vom Verband. Und ich finde, das ist oft nicht gegeben."

"Verband legt Steine in den Weg"

Verband und Sportler sollten eigentlich mit Trainern ein Team sein, was zusammenarbeitet, fordert Scheurich. "Wir haben alle das Ziel, am Ende bei Olympia Medaillen zu wollen. Und ich will da auch wirklich nur hin, wenn ich's verdiene, wenn ich am Ende die Nummer eins in Deutschland bin und mich qualifizieren kann. Und das sollte eigentlich eben auch das Ziel vom Verband sein, die beste Sportlerin zu schicken. Und ich habe das Gefühl, dass man mir Steine in den Weg legt."
Scheurich kritisiert den Mangel an Kommunikation. "Es ist nicht transparent. Ich habe auch bis jetzt noch nicht die Nominierungskriterien, die offiziellen, vom Verband erfahren. Ich habe dort mehrmals per E-Mail geschrieben: 'hey, wie sind die?' Ich muss das wissen. Damit ich mich ja auch darauf vorbereiten und mich einstellen kann." Auch Nachfragen zu dem Trainingslager in Sölden, wo sie und andere sich mit Corona infiziert haben, wurden nicht beantwortet. "Die Athletenvertretung hat offizielle Fragen gestellt. Darauf gibt es keine schriftliche Antwort, und ich habe mehrmals nachgefragt."
Dass ihre Konkurrentin Hammer nun wieder in den Amateurbereich gewechselt ist, sei in den Regeln so festgelegt. "Für mich ist das auch vollkommen okay, weil ich will ja die beste Deutsche sein, um dann zur Quali zu fahren. Und ob sie Profiboxerin war oder nicht, spielt für mich keine Rolle. Und wenn sie diese Chance nutzen möchte, ist es auch absolut okay. Aber natürlich muss der Verband da zustimmen."

Von Steuergeldern jahrelang gefördert - und nun abgeschrieben?

Allerdings gibt Scheurich zu bedenken, dass sie als Amateurboxerin jahrelang von Steuergeldern gefördert wurde. "Ich bin jetzt schon zehneinhalb Jahre in der Nationalmannschaft. Ich bin 15 Jahre Leistungssportlerin, seit acht Jahren in der Bundeswehr-Förderung. Dass man dann einfach sagt: 'okay, wir holen jetzt einen Profi', verstehe ich nicht ganz - denn es wurde ja auch viel Geld in mich investiert." Die Förderung wird ihr ab kommendem Jahr gestrichen, wurde ihr mündlich von inoffizieller Stelle mitgeteilt - eine offizielle Nachricht steht zur ihrer Verwunderung noch aus. "Das finde ich frech. Und ich finde, das ist unsportlich."
Die Boxerin Sarah Scheurich.
Boxerin Scheurich - "Nährboden, aus dem sexuelle Gewalt entstehen kann"
Die Boxerin Sarah Scheurich hat die Kampagne "Coach, don't touch me" ins Leben gerufen, um sexualisierte Gewalt im Sport zu bekämpfen. Bei anderen Boxerinnen erhielt sie Zuspruch - vom Boxverband nicht. Daraufhin trat sie als Athletensprecherin zurück. Boxen sei immer noch ein sehr männerdominierter Sport, sagte sie im Dlf.
Konkurrentin Christina Hammer ist im Social-Media-Bereich sehr einflussreich, modelt, kocht im BVB-TV des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund und engagiert sich für die Initiative "Stärker als Gewalt" des Bundesfamilienministeriums. Da liegt der Verdacht nahe, dass der Verband ein Aushängeschild sucht und selbst offensiv auf Hammer zugegangen ist. Beweise dafür hat Scheurich nicht, "aber ich glaube, egal, wie es passiert ist, dass der Verband sie natürlich mit offenen Armen empfangen hat."
Zu Hammer selbst habe sie ein "gutes Verhältnis. Sie hat hier in der Quarantäne auch für mich eingekauft. Ich finde es cool, dass wir so entspannt miteinander reden. Und genau so sollte es sein. Das finde ich sehr, sehr gut. Ich verstehe nicht, wenn quasi zwei Sportler, die eigentlich Konkurrenten sind, so gut miteinander auskommen. Und warum das beim Verband nicht funktioniert." Sie fühle sich ausgebootet und abgeschrieben. Das motiviert Scheurich auf ihrem Weg nach Tokio aber noch viel mehr. "Also ich lasse mir von niemandem diesen Traum, Olympia zu erreichen, kaputtmachen und schon gar nicht auf diese Art und Weise."
Hier lesen und hören sie das ausführliche Interview mit Sarah Scheurich. Im Deutschlandfunk haben wir aus Zeitgründen eine gekürzte Version gesendet.