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Russland vor der Präsidentschaftswahl
Der Wahlkampf der anderen

Obwohl absehbar ist, dass Wladimir Putin am Sonntag erneut zum russischen Präsidenten gewählt wird, kandidieren auch andere Bewerber um das Amt. In der Millionenstadt Nischnij Nowgorod werben Ksenija Sobtschak und Wladimir Schirinowskij um Stimmen - ohne große Resonanz.

Von Thielko Grieß |
    Xenia Sobtschak steht umringt von Personen am 06.12.2017 in ihrem Wahlkampfbüro in Nischni Nowgorod.
    Ksenija Sobtschak bei der Eröffnung ihres Wahlkampfbüros. Die russische Fernsehmoderatorin kandidiert um das Amt des Präsidenten. (dpa / Thomas Körbel)
    Sergej ist an seinem Rucksack gut zu erkennen. Ihn auf dem Rücken schlendert der 18 Jahre alte Schüler durch die Fußgängerstraße Große Pokrowskaja in Nischnij Nowgorod. Etwas lustlos verteilt er Zeitungen, Werbezeitungen für die Präsidentschaftskandidatin Ksenija Sobtschak. Immer dann, wenn Sergej keine Zeitungen mehr in der Hand hat, greift er in den Rucksack und zieht weitere heraus.
    "Heute habe ich so 500, 600 Zeitungen zu verteilen. Zwei, drei Stunden brauche ich dafür. Und ja, ich werde auch bezahlt. 200 Rubel in der Stunde, umgerechnet weniger als drei Euro."
    Die ruhige, schläfrige Fußgängerzone in Nischnij Nowgorod ist ein recht passendes Sinnbild der politischen Debatte in Russland. Beiden fehlt es an Lebendigkeit. Am energischsten tritt dabei noch die Kandidatin auf, die auf der Zeitung zu sehen ist. Ksenija Sobtschak. Sie war auch in der Stadt.
    Blich auf die historische Altstadt von Nischnij Nowgorod mit seinen goldenen Türmchen. Im Hintergrund sind zahlreiche Plattenbauten zu erkennen
    Glanz und Verfall liegen in Nischnij Nowgorod nah beiinander: Vorne das historische Zentrum, im Hintergund eine heruntergekommene Plattenbauten (dpa / Varvara Gert'e)
    Ein Haus vor dem Zusammenbruch
    In einem anderen Stadtteil, einer Seitenstraße, steht ein Wohnhaus. Noch, muss man sagen. Es neigt sich sichtbar nach hinten, es gibt Risse in den Außenwänden. Gebaut vor 15 Jahren hatte es Warnungen gegeben, dass der sumpfige Untergrund nachgeben könnte. Die Behörden haben nicht reagiert, den Schaden haben nun die Eigentümer. Dagegen hat Sobtschak gewettert, als sie vor einigen Wochen hier war.
    Das Haus ist unbewohnt, ein nicht mehr nüchterner Wachmann sitzt im warmen Auto vor den Eingängen. Da kommen zwei Menschen über den Parkplatz. Eine Frau mit einem Hund, ein Mann mit Schlüssel für sein teures Auto.
    Eigentlich wohnt keiner mehr in dem schiefen Haus von Nischnij Nowgorod, aber die Frau mit Hund findet keine andere Wohnung, sagt sie. Also bleibt der Hund hier und die Frau besucht ihn zwei Mal täglich, um ihn auszuführen. Und der Mann hat in seiner dunklen Wohnung die Blumen gegossen, obwohl er keine andere Lösung sieht als Abriss. Hat der Besuch der Kandidatin geholfen?
    "Wenn Sobtschak in diesem Haus eine Wohnung gekauft hätte, eine beliebige Wohnung, zur Auswahl, hätte sie mehr Enthusiasmus. Bieten Sie ihr das an. Ich glaube, jeder von uns - Sie sehen, wie viele es hier Wohnungen gibt - hätte ihr seine Wohnung verkauft."
    Kaum Medieninteresse
    Immerhin haben die Behörden kurz nach ihrem Besuch Übergangswohnungen angeboten. Medienwirksame Besuche in Wahlkampfzeiten gibt es nicht nur in Russland. Das Besondere ist vielleicht nur, dass außer Sobtschak kaum jemand an Orte fährt, an denen im Land etwas zusammenbricht.
    Präsident Wladimir Putin hat einen der stolzesten Orte Nischnij Nowgorods für seinen Besuch ausgewählt und hier seine Kandidatur verkündet - das Automobilwerk GAZ. Hier läuft zum Beispiel ein Lieferwagen vom Band, den jeder kennt. Heimische Autoproduktion, sie steht auch in Russland für Geschichte und Kraft.
    Putin verspricht Wohlstand
    Am Eingang zu einem der Gebäude auf dem Komplex sitzt eine freundliche, ältere Frau, die Besuchern den Weg weist. Von Putin ist sie begeistert.
    "Putin ist eine hohe Persönlichkeit. Auch im Ausland wird er sehr geschätzt als der beste Präsident der Welt. Er tut sehr viel für unser Land. Es war so heruntergewirtschaftet, aber dann hat alles neu begonnen. Es geht aufwärts, wir fühlen das."
    Ihre Familie arbeitet seit drei Generationen bei GAZ. Putins Politik ist für diese Frau, die in der Sowjetunion und auch danach noch in Schlangen für alles Mögliche anstehen musste, ein Weg zu Wohlstand.
    "Ich bin ja schon älter. Ich reise viel. Ich war in Korea, Ägypten, ein paar Mal in der Türkei. Ich möchte Venedig besuchen. Außerdem ist mein Traum, nach Israel zu reisen. Mit meinem Sohn plane ich eine Reise dorthin."
    Politisches Interesse an der Uni
    In der Mensa der Universität Nischnij Nowgorod, die verstaubte Vorhänge mit freiem WLAN verbindet, wo ein volles Tablett veganer Fastenzeit-Gerichte drei Euro kostet. Nikita und Wladislaw haben gerade ihr Essen beendet. Beide sind 19 Jahre alt, wollen Programmierer werden. Nikita hat Wladimir Schirinowskij erlebt, den 71-Jährigen, der Teil der vom Kreml gezähmten Opposition ist, und an der Uni für seine Kandidatur geworben. Nikita hat es nicht gefallen.
    "Ehrlich gesagt war das wie eine Show: Eine große Menschenmenge, alle haben Videos gemacht, und er tritt wie ein Clown auf und hat versucht, etwas zu sagen."

    Beide meinen: Mehr und mehr junge Leute interessieren sich für Politik. Nikita hat genaue Wünsche.
    "Erstens sollte die gute Jugendpolitik nicht so aussehen, dass die Bürgerrechte im Internet eingeschränkt werden. Zweitens: Bessere Bildung. Sie ist in Russland auf einem schlechten Niveau. Vor ein paar Monaten habe ich ein Observatorium besucht. Die Ausstattung dort stammt aus der Sowjetzeit, die Wände sind baufällig. Das betrifft auch die Medizin. Also im Allgemeinen muss mehr für die Leute getan werden."
    Wen sie wählen? Nikita ist wohl eher Anhänger der außerparlamentarischen Opposition. Am Sonntag will er die Stimmabgabe als Wahlbeobachter verfolgen. Wladislaw hält viel von Wladimir Putin, findet aber auch Ksenija Sobtschak bemerkenswert. Beide sagen beim Aufstehen, als Programmierer könne man ja auch im Ausland arbeiten. Als wollten sie ausdrücken: Wenn sich nichts ändert, gehen wir. Sie wären nicht die einzigen.
    Wladimir Schirinowskij gestikuliert im August 2017 im Roshydromet-Büro mit den Händen
    Wladimir Schirinowskij kandidiert 2018 um das Präsidentenamt in Russland (dpa / Sergei Fadeichev)