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Russland warnt vor NATO als Weltpolizei

Der russische Botschafter in Deutschland, Vladimir Kotenev, erkennt in der NATO "ernsthafte Anzeichen der Unberechenbarkeit". Die NATO müsse sich entscheiden, ob sie ein militärisches Bündnis bleiben oder ein vorwiegend politisches Bündnis werden wolle. Kotenev warnte davor, die "Rolle eines Weltpolizisten, eines Richters und Vollstreckers eigener Urteile in einem" zu spielen.

Moderation: Elke Durak | 03.04.2008
    Elke Durak: Auf dem NATO-Gipfel ist gestern Abend eine Vorentscheidung im Fall Georgien und Ukraine gefallen. Beiden Ländern wird nicht so schnell, wie vom amerikanischen Präsidenten gewünscht, die Beitrittsoption eröffnet. Worauf man sich gestern Abend geeinigt hat, soll heute im Detail entschieden werden. Das dürfte Russland freuen, den russischen Präsidenten, der ja den Beitritt Georgiens und der Ukraine kategorisch ablehnt. Wladimir Putin wird zum Gipfel erwartet und trifft sich am Sonntag noch einmal mit Präsident Bush in Sotschi.

    Ich freue mich, jetzt mit dem Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland, Vladimir Kotenev, sprechen zu können. Guten Morgen, Herr Botschafter!

    Vladimir Kotenev: Schönen guten Morgen!

    Durak: Wie schaut die russische Seite, wie schauen Sie auf diesen Gipfel in Bukarest - mit großer Sorge oder nun inzwischen mit Befriedigung?

    Kotenev: Ja, auch mit Befriedigung. Aber wir müssen bedenken, dass nach dem Treffen in Bukarest die beiden Präsidenten Russlands und der Vereinigten Staaten nach Sotschi reisen. Also, der NATO-Gipfel ist nicht die letzte Instanz in diesem Dialog. Ich kann aus verständlichen Gründen der Rede des russischen Präsidenten in Bukarest nicht vorgreifen. Er hat die Einladung zum NATO-Gipfel angenommen trotz aller bekannten Hintergründe. Nach wie vor schlägt die Debatte um die Anerkennung von Kosovo hohe Wellen. Es gibt, wie Sie wissen, Meinungsverschiedenheiten zur Raketenabwehr, auch sagen wir zum KSE-Vertrag und anderen Fragen. Ich bin mir aber ziemlich sicher: Unser Staatschef wird die Kontinuität in unserer Außenpolitik überzeugend demonstrieren. Ich glaube, er wird auch anschaulich machen, dass diese Politik konstruktiv und pragmatisch ist, dass wir gleichberechtigte Zusammenarbeit anstreben. Russland sucht keine Konfrontation, aber es wird seine Interessen verteidigen selbstverständlich auch im Rahmen und auf der Grundlage des Völkerrechts.

    Zurzeit können wir bei der NATO ernsthafte Anzeichen der Unberechenbarkeit beobachten. Es gibt Ansprüche auf globales Engagement in Sicherheitsfragen. Es gibt Einsätze außerhalb des Bündnisgebietes. Es gibt Überlegungen, die Aktivitäten auf solche für die Allianz unübliche Bereiche wie Energiesicherheit oder Cyberspace auszuweiten. Ich glaube, deswegen ist es an der Zeit, dass die NATO selbst endlich mal entscheidet, was sie eigentlich sein will: Bleibt sie ein militärisches, oder wird sie zu einem vorwiegend politischen Bündnis? Will die Allianz die Rolle eines Weltpolizisten, eines Richters und Vollstreckers eigener Urteile in einem spielen, oder will sie eigentlich eine multilaterale Institution sein und werden, die nach dem Völkerrecht verfährt und Gewalt nur als letztes Mittel und nur unter UNO-Mandat anwendet? Dann muss die Allianz natürlich zusammen mit anderen einflussreichen Akteuren faire Spielregeln ausarbeiten. Moskau ist für die zweite Option. Also wird man sich verständigen müssen.

    Durak: Für die zweite Option, das heißt, Herr Botschafter, für Russland wäre die NATO als nur militärischer Partner lieber?

    Kotenev: Nein, ein politischer Partner.

    Durak: Ein politischer Partner. Welche Interessen liegen Ihnen am nächsten? Welche Interessen sollten im Gespräch beispielsweise zwischen Putin und Bush am Sonntag in Sotschi vertreten werden von russischer Seite - eher das Raketenabwehrschild oder der KSE-Abrüstungsvertrag?

    Kotenev: Ich glaube, es wird ein breiter Kreis von Themen besprochen.

    Durak: Es gibt keine Präferenz?

    Kotenev: Es gibt schon Absprachen auf Delegationsebenen, welche Themenkreise besprochen werden.

    Durak: Herr Botschafter, es gab ja gestern Abend in Bukarest auf dem NATO-Gipfel eine Voreinigung, nämlich dass man sich nicht einigen kann auf den amerikanischen Vorschlag, was Georgien und die Ukraine betrifft. Das dürfte Ihre Seite, die russische Seite, ja sehr erleichtern. Ich denke daran, was Sie vor ein, zwei Tagen selbst gesagt haben: Es wäre ein politischer Fehler von historischem Ausmaß, wenn Georgien und die Ukraine aufgenommen würden, der katastrophale Folgen haben könnte. Da habe ich ein bisschen Angst bekommen wegen der katastrophalen Folgen. Was meinen Sie damit?

    Kotenev: Das wären wirklich die Folgen, die man jetzt nicht vorhersehen kann. Die können wirklich sehr schlimm ausfallen. Das könnte zu Befremden im Weltgeschehen führen und auch zu sehr hohen Spannungen. Das haben Sie weiter gelesen wahrscheinlich in meinem Kommentar.

    Durak: Aber nicht alle Hörer: Deshalb wollen wir es hier einfach noch mal wiederholen, Herr Kotenev. Die katastrophalen Folgen beziehen sich auf geopolitische Bereiche.

    Kotenev: Ja, auch auf geopolitische.

    Durak: Welche noch?

    Kotenev: Ich erkläre Ihnen noch einmal gerne den Sinn. Man predigt uns, die NATO-Erweiterung diene zur Verbreitung der Demokratie und der Stabilität. Und man pflegt uns zu beruhigen, es sei doch gut und nicht schlecht, wenn jemand Demokratien vor seinen Grenzen hat. Das, was an unsere Grenzen heranrückt, sind keine Parlamentsgebäude oder Diskussionsclubs, sondern die Infrastruktur eines militärischen und politischen Blocks. Bekanntlich sieht Russland der Erweiterung der EU, die auf friedliche, gegenseitig vorteilhafte Zusammenarbeit ausgerichtet ist, gelassen entgegen. Für uns entsteht die Frage auch, ob Demokratie überhaupt auf undemokratische Weise verbreitet werden kann, wenn dazu noch die Stabilität unterminiert wird - vor allen Dingen unsere russische Stabilität.

    Die Ukraine ist bereits jetzt durch die Frage über den NATO-Beitritt gespalten. Auch in Georgien gibt es keine Unterstützung der Mitgliedschaft in der Allianz durch die Bevölkerung. Die Abchasen und Südossetier sind eindeutig dagegen. Die Perspektive einer gewaltsamen Lösung der bestehenden Konflikte unter dem Deckmantel der NATO-Solidarität leuchtet diesen Völkern überhaupt nicht ein. Es sind ganze Völker, die nicht einverstanden sind, während einzelne Politiker versuchen, ihnen das Stimmrecht zu rauben. All das unterminiert das Vertrauen in den Westen insgesamt, und das könnte natürlich eine klare Bedrohung für Russland bedeuten. Das habe ich unter katastrophalen Folgen gemeint.

    Durak: Herr Botschafter, dass es nicht zu der schnellen amerikanischen Option für Georgien und die Ukraine gekommen ist oder kommen wird, ist ja auch ein Verdienst der Bundeskanzlerin, die sich vehement dagegen ausgesprochen hat, obwohl es ja noch um einen längeren Zeitraum geht. Die NATO schließt es ja nicht aus. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Russland und Deutschland mit Blick auf die NATO? Ist Deutschland ihr bester Verbündeter in der NATO?

    Kotenev: Deutschland ist unser Partner, ein Partner wie auch viele andere Länder, die NATO-Mitglieder sind. Es ist sehr wichtig, dass wir im Russland-NATO-Rat einen neuen und einen sehr interessanten Mechanismus haben, wo dann Russland nicht mit einem geschlossenen Kreis redet, sondern auch mit einzelnen Partnern. Und dazu gehört natürlich auch Deutschland.

    Durak: Sie haben ja, Herr Kotenev, auch viele Jahre in der DDR damals hier verbracht in diplomatischer Mission. Wie haben sich die Deutschen verändert, wenn ich Sie das persönlich so fragen darf?

    Kotenev: Ich war in der DDR zweieinhalb Jahre, aber ich habe auch in West-Berlin gearbeitet, und jetzt bin ich in einem vereinten Deutschland. Das sagt natürlich wahrscheinlich alles. Deutschland hat sich verändert. Es ist ein anderes Land.

    Durak: Sie haben positivere Eindrücke?

    Kotenev: Ja, natürlich. Ich war hier auf Posten während des Kalten Krieges, und wir haben jetzt Frieden. Wir haben jetzt eine sehr enge Partnerschaft mit Deutschland.

    Durak: Was erwarten Sie konkret von Deutschland?

    Kotenev: Wir erwarten, dass Deutschland nach wie vor unser strategischer Partner bleibt und dass die Beziehungen in jeder Hinsicht, in jedem Bereich, sich positiv entwickeln.

    Durak: Herr Botschafter, eine Frage noch zu Bukarest: Dort soll es ja heute auch um Afghanistan gehen, um eine neue Strategie der NATO. Es heißt, es könnte sein, dass die Russische Föderation der NATO in Sachen Afghanistan helfen könnte. Können Sie uns dazu mehr sagen?

    Kotenev: Wir haben einen Vertrag über den Transit, und diesen Vertrag haben wir mit Deutschland als dem ersten NATO-Land geschlossen. Jetzt haben wir das auch mit Frankreich. In dem Sinne unterstützt Russland sehr effektiv die Bemühungen der NATO in Afghanistan. Wir schlagen nach wie vor vor, dass auch ein Vertrag oder ein Plan der kollektiven Handlungen akzeptiert wird, ausgearbeitet wird, Kollektivhandlungen zwischen der NATO und dem Vertrag der kollektiven Sicherheit. Das ist ein Vertrag von einigen GUS-Ländern.

    Durak: Das wird unter Umständen auch zwischen Putin und Bush besprochen am Sonntag in Sotschi?

    Kotenev: Ich hoffe.

    Durak: Dankeschön. Das war der Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland, Vladimir Kotenev. Herr Kotenev, ich bedanke mich sehr für das Gespräch und wünsche Ihnen einen schönen Tag.

    Kotenev: Ich danke Ihnen. Alles Gute.

    Durak: Dankeschön, auf Wiederhören.