Sonntag, 28. April 2024

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Voigt: USA müssen NATO-Partner überzeugen

Karsten Voigt, Koordinator im Auswärtigen Amt für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, kritisiert das Vorgehen der USA in der Debatte um die NATO-Erweiterung. Die Argumente für den Beitritt Georgiens und der Ukraine hätten wichtige westeuropäische Partner nicht überzeugt, sagte der SPD-Politiker. Die USA hätten bereits vor dem NATO-Gipfel in Bukarest einen Kompromiss suchen sollen.

Moderation: Elke Durak | 03.04.2008
    Elke Durak: Der amerikanische Präsident ist wohl mit seiner Absicht gescheitert, Georgien und der Ukraine einen raschen Weg in die Allianz, in die NATO, zu ebnen. Es gab gestern Abend auf dem NATO-Gipfel in Bukarest keine Einigung im Sinne Bushs. Insbesondere die Bundeskanzlerin und der französische Präsident hatten sich dagegen ausgesprochen. Allerdings: Auf lange Sicht sollen Georgien und die Ukraine eine Option bekommen, heißt es aus der rumänischen Hauptstadt. Was bedeutet dies, diese vielleicht Niederlage des mächtigsten Regierungschefs der Welt für das NATO-Binnenverhältnis? Welchen Einfluss hat der deutsche Widerstand auf das deutsch-amerikanische Verhältnis? Was erwartet uns?

    Karsten Voigt (SPD) ist Koordinator im Auswärtigen Amt für die deutsch-amerikanischen Beziehungen und nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Voigt!

    Karsten Voigt: Schönen guten Morgen, Frau Durak!

    Durak: Ist das eine Niederlage für George Bush?

    Voigt: Das würde ich nicht sagen, aber es ist offensichtlich eine Meinungsverschiedenheit. Diesmal hat der Hauptaktionär der NATO - und das sind die Amerikaner - sich gegen den Widerstand wichtiger europäischer Länder nicht durchsetzen können. Das ist nicht das erste Mal so, und das ist auch keine Katastrophe, aber das ist ein Signal.

    Ich erinnere mich sehr genau daran: In einer früheren Eigenschaft war ich mal Präsident der parlamentarischen Versammlung der NATO. Damals war ich zu einem Zeitpunkt, als die amerikanische Regierung und damals auch die deutsche Bundesregierung noch nicht für die Erweiterung der NATO waren, sehr engagiert dafür - trotz des Widerstandes Russlands. Diesmal ist es eben so, dass eine Erweiterung der NATO um Georgien und die Ukraine zu diesem jetzigen Zeitpunkt nicht etwa wegen des Widerstands Russlands, sondern wegen der Handlungsfähigkeit der NATO aus meiner Sicht nicht ratsam ist, denn eine Erweiterung um diese beiden Länder würde die Handlungsfähigkeit der NATO schwächen. In der Ukraine ist die Mehrheit der Bevölkerung gegen den Beitritt; Georgien ist kein innenpolitisch stabiles Land und hat Grenzprobleme. Beide Situationen lassen es ratsam erscheinen, diese Entscheidung im Sinne einer NATO-Erweiterung jetzt nicht zu treffen.

    Durak: Sie haben von einem Signal gesprochen, wollten nichts von einer Niederlage für George Bush wissen. Signal wofür, Herr Voigt?

    Voigt: Es ist ein Signal, dass die NATO handlungsfähig dann ist, wenn die Europäer die Führungsrolle der Amerikaner respektieren, aber wenn die Amerikaner auch auf die Argumente der Europäer hören. Beides gehört zusammen. Es reicht nicht, wenn die Amerikaner einen Führungsanspruch und eine Meinung formulieren und sie dann erwarten, dass die Europäer insgesamt dann folgen, sondern sie müssen sie überzeugen. Ganz offensichtlich haben sie mit ihren Argumenten für den Beitritt Georgiens und der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt wichtige Europäer besonders in Westeuropa nicht überzeugen können. Und deshalb wäre es ratsam gewesen aus meiner Sicht, dass sie nicht bis in die letzten Tage hinein so sehr dieses Thema gepuscht hätten, sondern früher einen Kompromiss oder eine Annäherung der Standpunkte versucht hätten.

    Durak: Hat Deutschland, hat die Bundeskanzlerin den amerikanischen Präsidenten auch überzeugt, wie Sie es sagen, in Sachen Afghanistan, denn Präsident Bush hat uns ja gerade sozusagen mental entlastet und ist von der Forderung abgerückt, die Deutschen müssten überall in Afghanistan eingesetzt werden?

    Voigt: Ich glaube, dass die Amerikaner schlicht und ergreifend begriffen haben, dass im Deutschen Bundestag zum jetzigen Zeitpunkt und auf absehbare Zeit keine Mehrheit für einen dauerhaften Einsatz - von Fall zu Fall ist er ja bereits heute möglich - im Süden zu finden ist. Das ist eine klare Haltung auf dieser Seite des Atlantiks, in Berlin, im Parlament insbesondere. Umgekehrt ist genauso klar die Situation im US-Kongress, trotz der vornehmen und zurückhaltenden Äußerung der US-Administration, also von Bush, in Bezug auf Deutschland wird der Druck auf Deutschland von Seiten des US-Kongresses bleiben.

    Durak: Wird bleiben, und was wird mit dem neuen Präsidenten, der neuen Präsidentin, Clinton, Obama oder McCain? Was ist zu erwarten von dem, der nachher sozusagen das Weiße Haus führt, was Afghanistan und auch was den Irak betrifft und die Beteiligung der Europäer inklusive Deutschlands?

    Voigt: Das ist doch völlig klar. Jeder amerikanische Präsident oder jede amerikanische Präsidentin wird aus Sicht amerikanischer Interessen versuchen zu erreichen, dass die europäischen Verbündeten sie in ihren Lasten entlasten. Das heißt der Druck auf die Europäer wird mit einer neuen amerikanischen Administration stärker werden, sich politisch und wirtschaftlich im Irak, ich glaube, dort nicht militärisch, stärker zu engagieren und in Afghanistan auch militärisch stärker zu engagieren. Die Kandidaten haben daran auch überhaupt keinen Zweifel gelassen, dass sie in einer solchen Richtung a) näher auf die Europäer zugehen werden, also versuchen werden, sie stärker zu konsultieren, mit ihnen stärker zusammenzuarbeiten, aber b) dies mit der Auffassung tun, die Europäer auch stärker zu verpflichten.

    Durak: Und zu den Europäern gehören die Deutschen. Wie lange werden wir verschont?

    Voigt: Vom Druck überhaupt nicht, aber Druck bedeutet ja nicht automatisch, dass man diesem Druck nachgibt. Dafür ist ja die gegenwärtige Diskussion in Bukarest ein gutes Beispiel. Man muss nur als deutscher Politiker wissen, dass dieser Druck da sein wird. Ich sage das deshalb, weil viele in Deutschland glauben, alle Probleme, die wir mit den Amerikanern haben, sind nur begründet durch den amerikanischen Präsidenten Bush und wenn ein neuer Präsident oder eine neue Präsidentin gewählt werden, werden alle Probleme beseitigt werden. So einfach ist es nicht.

    Durak: Oder eine andere Richtung nehmen, Herr Voigt. Das kann es ja auch sein.

    Voigt: Ja. Ich glaube, so wird es eher sein. Es wird vielleicht manches anders werden. Man kann immer so einen Anfang von einem neuen Präsidenten oder einer neuen Präsidentin als Chance benutzen. Das sollten wir auch tun.

    Durak: Welche Duftmarken sollten wir setzen?

    Voigt: Aber zu vermuten, dass es keine Probleme geben wird, ist schlicht und ergreifend illusorisch.

    Durak: Das würde ich mal denken, dass das auch kaum jemand so glaubt. Aber welche Richtungsweisung sollte Deutschland da sozusagen ansetzen? Was sollten wir versuchen zu erreichen, wenn der neue Chef mit seiner Arbeit beginnt?

    Voigt: Meine Empfehlung an die deutsche Politik ist, sowohl intern wie jetzt ja auch übers Radio öffentlich, dass wir nicht wie ein Kaninchen auf die Schlange starren sollten und warten sollten, bis die Wahlen in den USA vorbei sind, sondern dass wir als Deutsche und in Abstufung mit anderen Europäern jetzt schon versuchen sollten, eine Agenda aus unserer Sicht zu entwickeln, mit der wir auf eine neue amerikanische Präsidentschaft und einen neu gewählten Kongress zugehen.

    Durak: Welche Kernpunkte soll die Agenda haben?

    Voigt: Die muss eine Agenda sein, wo man transatlantische Gemeinsamkeiten bei der Bearbeitung von Problemen festlegt. Dazu gehört sicherlich, das zeigt ja der Gipfel in Bukarest, ein vernünftiger und konstruktiver Umgang mit Russland, ein schwieriger Partner, aber ein wichtiger Partner. Dazu gehören die ganzen Probleme im Nahen und Mittleren Osten. Dazu gehören aus europäischer Sicht sicherlich die Probleme im Balkan weiterhin, obwohl viele Amerikaner glauben, das ist jetzt eine Sache, die primär die Europäer erledigen sollten. Dazu gehören dann natürlich auch solche Probleme wie weltweiter Klimawandel, weltweite Probleme der Entwicklung in Afrika und anderen Ländern. Das heißt, es ist überwiegend eine Agenda, die sich mit globalen Problemen beschäftigt oder mit regionalen Problemen beschäftigt außerhalb von Europa. Aber es ist eine Agenda, an der Europa und die USA zusammenwirken müssen und wo die Europäer ihre eigenen Vorstellungen einbringen sollten.

    Durak: Und dabei haben wir Deutschen, abschließend gefragt, immer den ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat im Blick?

    Voigt: Das ist eigentlich die Konsequenz dieser ganzen Sichtweise. Wenn wir selber uns stärker global engagieren müssen, das ist die Realität als wichtiges Land in Europa, dann sollte man nicht nur mehr Verantwortung übernehmen, sondern sollte man auch mehr Rechte bekommen.

    Durak: Karsten Voigt (SPD), Koordinator im Auswärtigen Amt für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Danke für das Gespräch, Herr Voigt. Auf Wiederhören.

    !Voigt: Auf Wiederhören.