Rothermund: Im Grunde nicht, denn darauf kommt es Musharraf an. Musharraf möchte den Kaschmir-Konflikt internationalisieren. Seit dem Shimla-Abkommen von 1972 hatten sich ja Indien und Pakistan darauf geeinigt, diese Dinge nur noch bilateral zu behandeln. Pakistan hat es damals unterschrieben aber seitdem immer wieder versucht, internationale Aufmerksamkeit für den Kaschmir-Konflikt zu erreichen, und das tut es auch mit der Serie von Raketentests, die es gerade durchgeführt hat. Die Raketentests sind nichts Neues, die Raketen sind bereits bekannt. Für Indien ist bereits bekannt, dass Pakistan Raketen hat. Eine dieser Raketen wurde schon im April 1998 gezündet. Damals hat Indien mit seinen Atomtests darauf geantwortet. Die Lage hat sich in der Beziehung nicht geändert. Auch jetzt scheint eine Kriegsgefahr größerer Art nicht bevorzustehen, aber Musharraf braucht diese Tests auch für innenpolitische Zwecke. Er muss seiner Bevölkerung mit Raketen-Säbelrasseln zeigen, dass er noch wer ist, und dass die indische Bedrohung existiert, denn von dieser indischen Bedrohung lebt das pakistanische Militär.
Capellan: Dass sich die Amerikaner nun so vehement einschalten, liegt das wirklich allein an der unsicheren Lage im benachbarten Afghanistan?
Rothermund: In der Tat. Man ist daran interessiert, den weltweiten Krieg gegen den Terror fortzusetzen. Indien hat sich in diesem Krieg gegen den Terror sehr auf die Seite Amerikas gestellt. Die frühere Bündnisfreiheit Indiens ist eigentlich ganz und gar aufgegeben. Gewiss hat man noch kein Militärbündnis mit Amerika, aber die ganze Diktion in Indien ist so, als ob man ein solches hätte, und man erwartet nun von den USA, dass sie Musharraf zurückpfeifen; das ist ja schon einmal geschehen, als Musharraf damals noch als Militäroberbefehlshaber für das misslungene Kargil-Abenteuer zuständig war. Es schmerzt Musharraf noch heute, dass sein Lieblingsprojekt, gegen Indien vorzugehen, daneben ging. Er ist sozusagen unter ständigem amerikanischen Druck, und Indien baut darauf, dass dieser Druck nicht nachlässt.
Capellan: Nun haben sich ja Vajpayee, der indische Premier, und Musharraf Anfang des Jahres, wenn auch widerwillig, die Hand gereicht. Da gab es noch Hoffnungen auf eine friedliche Lösung. Warum also bricht jetzt alles wieder auf?
Rothermund: Dieses Händeschütteln war mehr oder weniger die Initiative von Musharraf, der auf Vajpayee losgegangen ist und seine Hand sozusagen gegrabscht hat. Vajpayee konnte sich dem nicht entziehen. Er misstraut Musharraf seit der Zeit, als Vajpayee die Friedensoffensive begonnen hatte, den pakistanischen Premier umarmt hatte, und er später feststellen musste, dass in derselben Zeit die Kriegsvorbereitungen gegen Indien in Kargil gelaufen waren. Seitdem fühlt sich Vajpayee hintergangen. Man muss ihm hoch anrechnen - und das hat Condoleeza Rice ja auch gerade getan -, dass er sich staatsmännisch zurückhält und keine raschen Aktionen plant.
Capellan: Sie sind der Auffassung, dass keine größere Kriegsgefahr als in vergangenen Konfliktsituationen besteht. Wir haben ja immer wieder darüber berichtet. Es kam immer wieder zu diesen Anfeindungen zwischen Indien und Pakistan. Wird sich denn Musharraf Ihrer Ansicht nach an die Versprechungen erinnern, die er gegenüber George Bush gemacht hat?
Rothermund: Er wird natürlich wieder mal einige Leute verhaften, aber dieses Spiel setzt er dauernd fort. Man weiß ja nicht, wie lange die Verhafteten wirklich in Haft bleiben. Man kann geradezu sagen, es werden immer die üblichen Verdächtigen verhaftet; man lässt sie wieder frei, dann verhaftet man sie wieder. Das ist so ein Spiel, das Musharraf treibt, der ja letztlich doch im engen Kontakt mit seinen islamistischen Leuten ist, auf deren Unterstützung er wohl auch baut, und daher macht er sozusagen Theater auf beiden Seiten: Verhaftungstheater und Raketentheater.
Capellan: Was halten Sie von einem internationalen Friedensgipfel in Russland?
Rothermund: Russland hatte sich ja 1966 in einer Konferenz, als der Krieg zwischen Indien und Pakistan 1965 abgeschlossen wurde, bereits einmal eingemischt. Damals kam dabei heraus, dass Indien seine Truppen zurückgezogen und Pakistan ein Gewaltverzichtsversprechen unterzeichnen musste. An dieses Versprechen hat sich Pakistan nie gehalten. Pakistan hat immer wieder sozusagen einkassiert, was es von solchen Verhandlungen bekommen konnte, aber trotzdem den Krisenherd weiter geschürt. Also auch ein Treffen in Moskau wird da nicht sehr viel bringen, aber Putin wird sich bemühen und natürlich versuchen, auch auf seine Weise Prestige daraus zu gewinnen.
Capellan: Wie könnte denn eine Lösung des Konfliktes um die Kaschmir-Region aussehen? Müsste Kaschmir vielleicht zu einem UN-Protektorat werden, oder müsste man Friedenstruppen dorthin schicken? Was könnten Sie sich vorstellen?
Rothermund: Nichts davon wird Indien billigen, denn für Indien ist die Region bis hin zur Waffenstillstandlinie unverzichtbarer indischer Boden. Das Einzige, was eine Lösung ergeben könnte, ist, wenn man sich endlich darauf einigt, dass die frühere Waffenstillstandlinie zur internationalen Grenze gemacht wird. 1972 sah es bei den Gesprächen zwischen beiden Staaten fast schon so aus, als ob man sich darüber geeinigt hatte, aber Pakistan hat damals nichts unterschrieben. Das Einzige ist also, dass man diese internationale Grenze so behandelt, als ob sie eine sei, aber leider ist Pakistan ja immer wieder damit beschäftigt, über diese Grenze hinwegzustoßen und terroristische Aktivitäten auf indischem Boden auszuüben, wobei immer nicht ganz klar ist, wie weit diese betreffenden Terroristen auf eigene Rechnung, oder inwieweit sie tatsächlich vom pakistanischen Militär gedeckt sind. Manche dieser Aktivitäten sehen auch so aus, als ob Terroristen mit Bedacht versuchen wollen, Musharraf in Verlegenheit zu bringen, weil er dann wiederum vor der Bevölkerung als ein Verräter da steht, der nun diese islamischen Aktivitäten nicht deckt.
Capellan: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Capellan: Dass sich die Amerikaner nun so vehement einschalten, liegt das wirklich allein an der unsicheren Lage im benachbarten Afghanistan?
Rothermund: In der Tat. Man ist daran interessiert, den weltweiten Krieg gegen den Terror fortzusetzen. Indien hat sich in diesem Krieg gegen den Terror sehr auf die Seite Amerikas gestellt. Die frühere Bündnisfreiheit Indiens ist eigentlich ganz und gar aufgegeben. Gewiss hat man noch kein Militärbündnis mit Amerika, aber die ganze Diktion in Indien ist so, als ob man ein solches hätte, und man erwartet nun von den USA, dass sie Musharraf zurückpfeifen; das ist ja schon einmal geschehen, als Musharraf damals noch als Militäroberbefehlshaber für das misslungene Kargil-Abenteuer zuständig war. Es schmerzt Musharraf noch heute, dass sein Lieblingsprojekt, gegen Indien vorzugehen, daneben ging. Er ist sozusagen unter ständigem amerikanischen Druck, und Indien baut darauf, dass dieser Druck nicht nachlässt.
Capellan: Nun haben sich ja Vajpayee, der indische Premier, und Musharraf Anfang des Jahres, wenn auch widerwillig, die Hand gereicht. Da gab es noch Hoffnungen auf eine friedliche Lösung. Warum also bricht jetzt alles wieder auf?
Rothermund: Dieses Händeschütteln war mehr oder weniger die Initiative von Musharraf, der auf Vajpayee losgegangen ist und seine Hand sozusagen gegrabscht hat. Vajpayee konnte sich dem nicht entziehen. Er misstraut Musharraf seit der Zeit, als Vajpayee die Friedensoffensive begonnen hatte, den pakistanischen Premier umarmt hatte, und er später feststellen musste, dass in derselben Zeit die Kriegsvorbereitungen gegen Indien in Kargil gelaufen waren. Seitdem fühlt sich Vajpayee hintergangen. Man muss ihm hoch anrechnen - und das hat Condoleeza Rice ja auch gerade getan -, dass er sich staatsmännisch zurückhält und keine raschen Aktionen plant.
Capellan: Sie sind der Auffassung, dass keine größere Kriegsgefahr als in vergangenen Konfliktsituationen besteht. Wir haben ja immer wieder darüber berichtet. Es kam immer wieder zu diesen Anfeindungen zwischen Indien und Pakistan. Wird sich denn Musharraf Ihrer Ansicht nach an die Versprechungen erinnern, die er gegenüber George Bush gemacht hat?
Rothermund: Er wird natürlich wieder mal einige Leute verhaften, aber dieses Spiel setzt er dauernd fort. Man weiß ja nicht, wie lange die Verhafteten wirklich in Haft bleiben. Man kann geradezu sagen, es werden immer die üblichen Verdächtigen verhaftet; man lässt sie wieder frei, dann verhaftet man sie wieder. Das ist so ein Spiel, das Musharraf treibt, der ja letztlich doch im engen Kontakt mit seinen islamistischen Leuten ist, auf deren Unterstützung er wohl auch baut, und daher macht er sozusagen Theater auf beiden Seiten: Verhaftungstheater und Raketentheater.
Capellan: Was halten Sie von einem internationalen Friedensgipfel in Russland?
Rothermund: Russland hatte sich ja 1966 in einer Konferenz, als der Krieg zwischen Indien und Pakistan 1965 abgeschlossen wurde, bereits einmal eingemischt. Damals kam dabei heraus, dass Indien seine Truppen zurückgezogen und Pakistan ein Gewaltverzichtsversprechen unterzeichnen musste. An dieses Versprechen hat sich Pakistan nie gehalten. Pakistan hat immer wieder sozusagen einkassiert, was es von solchen Verhandlungen bekommen konnte, aber trotzdem den Krisenherd weiter geschürt. Also auch ein Treffen in Moskau wird da nicht sehr viel bringen, aber Putin wird sich bemühen und natürlich versuchen, auch auf seine Weise Prestige daraus zu gewinnen.
Capellan: Wie könnte denn eine Lösung des Konfliktes um die Kaschmir-Region aussehen? Müsste Kaschmir vielleicht zu einem UN-Protektorat werden, oder müsste man Friedenstruppen dorthin schicken? Was könnten Sie sich vorstellen?
Rothermund: Nichts davon wird Indien billigen, denn für Indien ist die Region bis hin zur Waffenstillstandlinie unverzichtbarer indischer Boden. Das Einzige, was eine Lösung ergeben könnte, ist, wenn man sich endlich darauf einigt, dass die frühere Waffenstillstandlinie zur internationalen Grenze gemacht wird. 1972 sah es bei den Gesprächen zwischen beiden Staaten fast schon so aus, als ob man sich darüber geeinigt hatte, aber Pakistan hat damals nichts unterschrieben. Das Einzige ist also, dass man diese internationale Grenze so behandelt, als ob sie eine sei, aber leider ist Pakistan ja immer wieder damit beschäftigt, über diese Grenze hinwegzustoßen und terroristische Aktivitäten auf indischem Boden auszuüben, wobei immer nicht ganz klar ist, wie weit diese betreffenden Terroristen auf eigene Rechnung, oder inwieweit sie tatsächlich vom pakistanischen Militär gedeckt sind. Manche dieser Aktivitäten sehen auch so aus, als ob Terroristen mit Bedacht versuchen wollen, Musharraf in Verlegenheit zu bringen, weil er dann wiederum vor der Bevölkerung als ein Verräter da steht, der nun diese islamischen Aktivitäten nicht deckt.
Capellan: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio