Donnerstag, 18. April 2024

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Russlands Rolle im USA-Iran-Konflikt
"Im Außenministerium brennt nachts das Licht"

Zunächst hatte sich Russlands Präsident zurückgehalten, mittlerweile fordert Wladimir Putin Mäßigung von den USA und dem Iran. Der Konflikt zwischen den beiden Staaten könnte Russland nach Einschätzung von Moskau-Korrespondentin Christina Nagel nutzen, sich weiter als Ordnungsmacht zu positionieren.

Christina Nagel im Gespräch mit Bastian Rudde | 09.01.2020
Der russische Präsident Wladimir Putin während seiner Jahrespressekonferenz 2019
Russland sieht seine Rolle als neue einflussreiche Macht im Nahen Osten. (imago images / ZUMA Press / Kremlin Pool)
Bastian Rudde: Es wirkte schon fast ein bisschen beiläufig. Bei einem Besuch in Istanbul hat Russlands Präsident Putin gestern zusammen mit seinem türkischen Kollegen Erdogan eine Waffenruhe im Libyenkrieg gefordert und Zurückhaltung der Parteien im USA-Iran-Konflikt. Der eigentliche Anlass des Treffens war aber die pompöse Eröffnung einer neuen Pipeline, die russisches Gas in die Türkei und teilweise auch in die EU liefern soll. Die gemeinsame schriftliche Erklärung zum USA-Iran-Konflikt war das erste Mal, dass sich Putin diesbezüglich öffentlich geäußert hat. Er hatte offenbar wenig Eile gemessen am großen russischen Einfluss in der Region. Deshalb die Frage an unsere Korrespondentin Christina Nagel in Moskau, warum diese Zurückhaltung?
Christina Nagel: Ich glaube, dass es so wenig öffentliche Statements gab, war zum einen sicherlich der Tatsache geschuldet, dass hier bis heute Feiertage waren, das heißt, heute ist der erste Arbeitstag, heute geht das Leben hier in Russland wieder richtig los. Das heißt aber nicht, dass im Hintergrund trotzdem Fäden gezogen wurden. Also im Außenministerium brannte auch nachts oft das Licht. Da wurde viel telefoniert. Zum anderen, da heißt es zwar jetzt erst allgemein, dass die Stunde der Diplomatie gekommen sei, und das ist genau der Punkt, an dem Russland sich jetzt ins Spiel bringen will, eben weil man viel Einfluss in der Region hat und weil man eben auch gute Beziehungen zu vielen Staaten in der Region hat, zu denen andere sehr schlechte Beziehungen haben, und dazu gehört natürlich auch der Iran.
Einflussmöglichkeiten auf vielen Kanälen
Rudde: Russland und Iran verbinden zum Beispiel enge Handelsbeziehungen. Wenn Russlands Präsident jetzt zur Diplomatie mahnt, wie Sie sagen, welchen Einfluss kann das denn ganz genau auf den Iran haben?
Nagel: Es gibt da schon erhebliche Möglichkeiten, Druck auszuüben von russischer Seite. Russland ist ja einer der wichtigsten verbliebenen Handelspartner für den Iran. Man versucht hier, einmal ein bisschen auch die Folgen der US-Sanktionen abzumildern. Das gilt zum Beispiel auch für den Iran sehr wichtigen Ölhandel. Gleichzeitig kann Russland natürlich – und tut das ja auch schon – auf der internationalen Bühne, auch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Interessen des Iran vertreten. Dazu kommt natürlich auch, dass Iran und Russland auch in Syrien zum Beispiel gemeinsame Sache machen. Also es gibt da sehr viele Einflusskanäle, wobei man eines, glaube ich, auch noch mal klar sagen muss: Anders als in der westlichen Wahrnehmung ist natürlich hier in Russland trotzdem nicht nur ausgemacht, dass sich allein die iranische Seite bewegen muss. Es gibt hier eine sehr klare, sehr eindeutige Kritik an den USA, die mit ihrer Politik gegen das Völkerrecht und mit ihren Sanktionen gegen die, wie es hier heißt, Gesetze des freien Handels verstießen. Da gab es auch noch mal eine sehr klare Einordnung der Tötung des iranischen Generals, so wörtlich, als Akt gilt, der die Sicherheit und Stabilität in der Region gefährde. Also hier der Appell, Gewalt von beiden Seiten muss enden.
Klares Bekenntnis zum Atomabkommen
Rudde: Aus Sicht der deutschen Regierung, der EU ist eines der zentralen Anliegen ja, das Atomabkommen mit dem Iran zu retten. Die USA sind ausgestiegen, Präsident Trump will einen neuen Deal verhandeln, wie er sagt, und richtet diesen Appell auch an Russland. Wie steht man denn dort zu dem bestehenden Abkommen?
Nagel: Also da gibt es hier eine sehr klare, sehr eindeutige Haltung, dass das Abkommen unbedingt erhalten werden sollte. Lawrow hatte Ende des Jahres am 30. Dezember noch mal Besuch vom iranischen Außenminister, und da wurde noch mal sehr klar die Bedeutung dieses diplomatischen Meisterwerks quasi anerkannt. Da hieß es, das sei einer der wichtigsten Schritte zur Stärkung der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Deshalb gibt es auch von russischer Seite immer wieder Druck auch auf die Europäer, da nicht einzuknicken, sondern auch weiter für den Erhalt des Abkommens zu kämpfen, denn eines ist auch hier klar, und ich glaube, das ist auch vielen anderen klar: Wenn es zu Neuverhandlungen wirklich kommen sollte, dann werden sich die lange hinziehen, erst recht in einem Jahr, wo der Präsidentschaftswahlkampf in den USA noch mal an Fahrt aufnimmt. Das heißt, wenn Verhandlungen, dann – dafür wäre man offen – auf der Basis des bestehenden Vertrages, aber der muss aus Sicht der Russen auf jeden Fall erhalten bleiben.
Russland kann in Libyen für einen Waffenstillstand sorgen.
Rudde: Kommen wir zum anderen Krisengebiet, zu Libyen. Seit gut fünf Jahren herrscht Krieg in dem Land. Russische Kämpfer unterstützen eine der Parteien. Die Türkei steht auf Seiten der anderen. Dass beide ausgerechnet jetzt eine Waffenruhe ab Sonntag fordern, was bezweckt Putin damit?
Nagel: Zum einen ist Russland, glaube ich, sehr daran gelegen, dass es nicht zu einer Konfrontation der stellvertretend dort kämpfenden Parteien kommt, eben zum Beispiel zwischen türkischen und russischen Kämpfern, das will man natürlich auf jeden Fall verhindern. Zum anderen will man aber damit sicherlich auch noch mal unterstreichen, dass man eben auch dort massiven Einfluss hat und dass man, anders als der Westen – das muss man immer dabei immer mitdenken – für einen Waffenstillstand sorgen kann, für eine Deeskalation sorgen kann. Als Beispiel wird da natürlich jetzt gerne verwiesen auf Nordsyrien, wo das auch gelungen ist, zumindest in Teilen, und darauf ist man natürlich hier durchaus auch stolz, denn die Botschaft soll natürlich auch in diesem Fall sein, wenn im Nahen Osten oder auch in Nordafrika sich diplomatisch etwas bewegen soll, dann kommt an Russland keiner mehr vorbei. Da geht es eben nicht nur darum, dass sich die USA oder die Europäer mit den betroffenen Staaten an den Tisch setzen, sondern Russland will da klar beachtet und mit dazugeholt werden.
Eine ausgestreckte Hand Richtung Europäer
Rudde: Gestern der Besuch in der Türkei, tags davor war Putin zu Besuch beim syrischen Präsidenten Assad. Was verraten diese ersten Auftritte im Jahr über seine politische Agenda 2020, vielleicht auch mit Blick auf Europa?
Nagel: Ich glaube, das unterstreicht noch einmal, dass Russland seine Rolle als neue einflussreiche Macht im Nahen Osten weiter nutzen will. Das Ziel – da sind sich die Experten hier im Prinzip alle einig – ist, dass man da die neue Ordnungsmacht werden will. Da kommt ihnen natürlich zugute, dass Amerika seine Truppen zurückzieht, da kommt natürlich ihnen auch zugute, dass jetzt zum Beispiel durch die Tötung des iranischen Generals die Amerikaner an Einfluss in der Region zum Beispiel im Irak noch mal deutlich verlieren. Das ist das Vakuum, was man natürlich nutzen will. Mit Blick auf die Europäer, da will man, glaube ich, gerne erreichen, dass man sieht, dass man ohne Russland nicht kann. Also eine Geschichte, die zwar nie thematisiert wird, die aber sicherlich im Hintergrund eine Rolle spielt, ist, dass man natürlich gerne an den Tisch der G7 zurückkommen würde – also auch da G8 – werden würde, und man würde gerne mit den Europäern mehr gemeinsame Sache machen. Da gibt es immer mal wieder die ausgestreckte Hand, und deshalb darf man auch gespannt sein, was bei dem Besuch Angela Merkels am Samstag hier in Moskau dann an Ergebnissen erzielt wird.
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