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Das Saarland vor der Wahl
Wenn jeder jeden kennt

In Zeiten, in denen weltpolitisch andere Themen dominieren, findet heute die erste Landtagswahl des Jahres statt: im Saarland. In Umfragen lag die SPD vorn. Beobachtungen der politischen Kultur im kleinsten Flächenland der Bundesrepublik.

Von Anke Schaefer | 24.03.2022
Anke Rehlinger (SPD), Ministerin für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr und stellvertretende Ministerpräsidentin, und Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) stehen vor dem TV-Duell im Februar im Studio des Saarländischen Rundfunks
Anke Rehlinger (SPD), Ministerin für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr und stellvertretende Ministerpräsidentin, und Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) stehen vor dem TV-Duell im Februar im Studio des Saarländischen Rundfunks. (picture alliance/dpa | Oliver Dietze)

Anke Rehlinger nimmt auf der Rückbank der Audi-Limousine Platz, in der sie in diesen Wochen vor der Landtagswahl als SPD-Spitzenkandidatin das Saarland durchquert. Rehlinger ist 45 Jahre alt, wurde zur Nummer Eins in der Saar-SPD, als Heiko Maaß nach Berlin ging, seitdem ist sie Wirtschaftsministerin.
In Umfragen liegt die SPD vorn. Anke Rehlinger erfährt auch persönlich weit mehr Zustimmung als der amtierende Ministerpräsident von der CDU, Tobias Hans. Spiegeln sich hier Trends für die Wahlen am Sonntag, die auch auf Bundesebene für die neue Weichenstellung gesorgt hatten? Die SPD im Aufwind, die CDU im Abwärtstrend? Vielleicht. Mehr aber hat es wohl mit saarländischen Eigenheiten zu tun.

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Der Termin ist gerade zu Ende gegangen, in Illingen, im Landkreis Neunkirchen, etwa 20 km nördlich von Saarbrücken. Rehlinger hat sich dort im „ASB Seniorenzentrum“ über die „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ informiert. „Ja, da kann man noch lange nachhaken ...“ Zum Schluss saß sie mit sieben Leuten am Tisch, alle waren für die „berufsbezogene Impfpflicht“, und erbost, dass Ministerpräsident Tobias Hans diese zwischendrin wieder zurücknehmen wollte.

Herausforderin mit Regierungserfahrung

Alle sieben kennt Anke Rehlinger persönlich: „Ich bin schon so viele Jahre in diesem Land unterwegs, ich bin seit 2004 Abgeordnete des Saarländischen Landtags – ich will nicht sagen, mein halbes Leben damit schon befasst, aber ganz so weit ist es davon nicht entfernt - seit 10 Jahren Ministerin und wir sind nun mal im Saarland…“
Im Saarland zu sein, das heißt, man ist im kleinsten Flächenland der Republik. Es hat nur knapp eine Million Einwohner. Zum Vergleich: NRW hat knapp 18 Millionen. Im politischen Leben, sagt Anke Rehlinger, schadet es nicht, wenn jeder jeden kennt: „Ich finde das angenehm, das macht es im Saarland auch so schön! Weil man immer auch die Bezüge hat, in denen die Menschen leben, und dann kann man immer sehr schnell da anknüpfen und kommt auch schnell zu Ergebnissen, weil man nicht immer von vorne anfangen muss.“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Saarland 2022, Anke Rehlinger, stehen bei einer Wahlkampf-Kundgebung in Neunkirchen gemeinsam auf der Bühne.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Saarland 2022, Anke Rehlinger, stehen bei einer Wahlkampf-Kundgebung in Neunkirchen gemeinsam auf der Bühne. (picture alliance/dpa | Oliver Dietze)
Das klingt gut. Doch: Wenn jeder jeden kennt – dann kann es auch manchmal schwierig sein, sich auf konstruktive Art gegenseitig zu kritisieren. Schon seit zehn Jahren regieren CDU und SPD an der Saar gemeinsam. Man versteht sich, man schätzt sich.

Ein zweiter Strukturwandel steht an

Carsten Meier, verantwortlich für Wirtschaftsförderung in der IHK Saarland - sagt es mal ganz vorsichtig so: „Eine Landesregierung, die seit vielen, vielen Jahren gemeinsam auch arbeitet und unterschiedliche Ressorts und Landesgesellschaften ja auch untereinander aufgeteilt hat - wir haben manchmal den Eindruck, man will sich nicht weh tun und schont sich. Und dann geht man halt nicht ins Risiko, sondern findet am Ende den kleinsten gemeinsamen Nenner. Das aber kann es nicht sein, sondern wir brauchen den großen Wurf, um die Herausforderungen, die vor uns liegen, anzupacken.“
Tausende Arbeitsplätze werden im Industrieland Saarland in den nächsten Jahren verloren gehen. Nach dem Abschied von der Kohle steht jetzt ein zweiter Strukturwandel an – infolge dessen es unter anderem gilt, den Abschied vom Verbrenner-Motor zu vollziehen und die Weichen neu zu stellen.
Sollte die CDU wieder stärkste Kraft werden, dann - so verspricht es Ministerpräsident Tobias Hans im Saarländischen Rundfunk, wird er der SPD mit Blick auf diesen anstehenden Strukturwandel sofort ein Angebot machen: „Strukturwandel ist eingeleitet. Wir haben aber noch ganz viel vor uns im Strukturwandel. Da sage ich sehr deutlich, braucht es klare, stabile Mehrheiten, und das kann derzeit nur die große Koalition leisten.“
Tobias Hans (CDU), Ministerpräsident des Saarlands, nimmt an der Sitzung des Deutschen Bundesrates teil.
Tobias Hans (CDU), Ministerpräsident des Saarlands, nimmt an der Sitzung des Deutschen Bundesrates teil. (picture alliance/dpa | Fabian Sommer)
Gelassen lächelt er im blauen Wollpullover und offenen Hemdkragen in die Kamera: Tobias Hans wird aus der Corona Quarantäne zugeschaltet. Aus seinem Haus in Münchwies, 40 Kilometer entfernt von Saarbrücken. 2018 wurde er Ministerpräsident, damals 40 Jahre alt und damit der bislang jüngste Ministerpräsident des Saarlandes. Er wurde es, weil die im Saarland sehr populäre Annegret Kramp-Karrenbauer nach Berlin ging, um CDU-Generalsekretärin zu werden. Niemand außer ihr, so wird gesagt, habe Tobias Hans als Nachfolger auf dem Schirm gehabt.

Das Twitter-Video des Tobias Hans

Nachhaltigkeit und Digitalisierung hat er sich auf die Fahnen geschrieben und tritt daher gerne in den sozialen Medien auf. Auf Twitter postete er das inzwischen berühmte Tankstellen-Video. Die Preise an den Tankstellen seien wirklich irre, sagte er da, natürlich habe das mit der Ukraine-Krise zu tun und mit Dingen, die von der Bundesregierung nicht beeinflusst werden könnten, aber „das Problem ist doch einfach, dass sich im Moment der Staat bereichert. Der Staat bereichert sich an diesen gestiegenen Energiekosten, und deswegen muss eine Spritpreisbremse her“.

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Spott und Häme, bringt Tobias Hans dieses Video ein. Aber er lässt sich nicht beirren. Es werden Handzettel gedruckt: Spritpreisbremse jetzt. Und er bringt eine Initiative gegen die hohen Energiepreise im Bundesrat ein. Die Mehrwertsteuer auf Sprit müsse sinken. Ansonsten aber versuchen die Wahlkämpfer insgesamt im Saarland die Auswirkungen des Krieges aus dem Wahlkampf eher raus zu halten.
Tobias Hans bleibt bei alledem immer charmant und freundlich: „Wir sind erfolgreich in der Landesregierung, und ich werde auch nicht bei dieser Mode mitmachen, die Erfolge des anderen kleinzureden, ich, und ich sage auch ganz klar, wenn es reicht, und die CDU die Wahl gewinnt, werde ich sofort Anke Rehlinger und der SPD eine Einladung übermitteln.“

CDU liegt laut Umfragen hinter SPD

Doch den Umfragen zufolge wird es nicht reichen. Die CDU könnte nur bei 31, die SPD aber bei 39 Prozent der Stimmen liegen. Die SPD könnte also stärkste Kraft werden und damit nach über 20 Jahren die CDU wieder in der Saarbrücker Staatskanzlei ablösen. Warum? Weil die SPD mit Olaf Scholz im Bund regiert? Wohl eher, weil Tobias Hans mit all seinem Charme nicht gegen Anke Rehlinger ankommt.
Denn, die – so prognostiziert es Politikwissenschaftler Uwe Jun – werde wegen ihrer Persönlichkeit gewählt: „Sie bringt ein hohes Maß an Bodenständigkeit mit sich. Sie hat ein gutes Verständnis für das Lebensgefühl der Saarländerinnen und Saarländer, das ist auch gut. Und sie zieht auch Sympathien auf sich. Und das sind alles Voraussetzungen, die auch Herrn Lafontaine, Herrn Müller und Frau Kramp-Karrenbauer ausgezeichnet haben.“
Der Parteienforscher Uwe Jun vor einem Bücherregal in seinem Büro
Uwe Jun: "Es wird sehr schwer für die SPD, den Rückstand aufzuholen." (dpa /Birgit Reichert)
Für den Fall, dass die SPD tatsächlich gewinnt, hat sich SPD-Spitzenkandidatin Rehlinger nicht ganz so eindeutig festgelegt, wie ihr Kontrahent, auf jeden Fall wieder eine Große Koalition schmieden zu wollen. Dennoch, sagt sie im SR-Fernsehen, habe sie „große Sympathie für die große Koalition – aber am Ende entscheiden erst einmal die Wählerinnen und Wähler, und ich werde auf jeden Fall lediglich eine stabile und eine verlässliche Regierung eingehen, darauf haben die Saarländerinnen und Saarländer mein Wort.“
Stabil und verlässlich. Anke Rehlinger wiederholt damit, was auch Tobias Hans sagt: Es brauche „klare, stabile Mehrheiten“. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch gilt das auch im Saarland? Von 2009 bis 2012 regierte hier die bundesweit erste Jamaika-Koalition: Schwarz-Gelb-Grün. Vor ziemlich genau zehn Jahren aber löste die damalige Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer diese auf. Weil es großen Streit gab – vor allem innerhalb der FDP, aber auch bei den Grünen.
Vor den Neuwahlen im Jahr 2012 - sagte der damalige SPD-Spitzenkandidat Heiko Maaß genau das gleiche, was die Protagonisten des Wahlkampfes heute sagen: „Es gibt große Übereinstimmung, dass die Probleme dieses Landes nur in stabilen Mehrheiten zu lösen sein werden.“ Dieses Mantra könnte zehn Jahre später dazu führen, dass im schlimmsten Fall am Sonntag nur noch drei Parteien in den Saarländischen Landtag gewählt werden: SPD, CDU und die AFD. Vielleicht gibt es dann weitere fünf Jahre eine große Koalition. Womöglich bekommt aber die SPD auch die absolute Mehrheit und CDU und AFD bilden dann die Opposition.

Oskar Lafontaine und die zerstrittene Saar-Linke

Und die anderen? Was ist bloß los mit der Opposition im Saarland? Was ist bloß los mit den kleinen Parteien? Müssten sie nicht gerade im Saarland, in diesem kleinen Land mit den kurzen Wegen – innerparteilich zusammenhalten, auf sich aufmerksam machen und punkten können?
Politikwissenschaftler Uwe Jun, der das saarländische Geschehen aus Trier, vom benachbarten Rheinland-Pfalz aus beobachtet, weil es an der Universität des Saarlandes keine Politikwissenschaft mehr gibt - sagt: Ja, kurze Wege, kleine Gruppen – das kann ein Vorteil sein – aber:
„Man kann sagen, dass es allerdings auch für einzelne Personen leichter ist, eine Dominanz in einem solchen kleinen Bundesland zu erreichen, weil sie Loyalitätsstrukturen aufbauen können, die dann eben sehr an diese einzelne Person gebunden sind, und damit entsprechend eine Partei kontrollieren möchten und können. Und das können wir eben bei den kleinen Parteien im Saarland konstatieren: Wir sehen das bei Hubert Ulrich bei den Grünen, wir sahen und sehen das bei Oskar Lafontaine bei den Linken, und wir sehen das bei der Familie Dörr in der AFD.“
Dominanz und Loyalitätsstrukturen. Beispiel Oskar Lafontaine. Im Saarland nennen sie ihn alle nur beim Vornamen: Oskar. Oskar, einst Oberbürgermeister in Saarbücken, später Ministerpräsident im Saarland, dann Oppositionsführer. In Berlin war er Kanzlerkandidat, Bundesvorsitzender der SPD, danach Parteichef der Linken. Die Saarländerinnen und Saarländer waren mächtig stolz auf ihn.
Oskar Lafontaine (Die Linke), saarländischer Fraktionsvorsitzender der Linken, spricht bei einer Veranstaltung in ein Mikrophon.
Ex-Ministerpräsodent Oskar Lafontaine (Ex SPD und nun auch Ex Linke) (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/Martin Schutt)
Am Tag, bevor er in der vergangenen Woche seinen Austritt aus der Linken bekannt gab, hielt er im Saarländischen Landtag seine letzte Rede. „Ich werde heute keine Oppositionsrede halten, ich werde mich heute auch nicht auseinandersetzen mit Ihren Reden, Frau Ministerin, Herr Kollege, sondern ich werde meine Gedanken zum Krieg vortragen, Sie werden mir das heute nachsehen.“
Ausblick auf die Saarland-Wahl - Wenn drei sich streiten (18.03.2022)
In der Schule lernte er den berühmten Satz vom Dichter Horaz: „Dulce et … (zitiert auf Latein) – ‚süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben.‘ Wir sollten darüber Aufsätze schreiben, wir mussten dazu Stellung nehmen. Mein Onkel, von dem ich den Namen habe, ist 200 km vor Moskau 1941 gefallen, mein Vater ist im April 1945 von einem US-Soldaten erschossen worden, als er auf dem Weg zu seiner Familie war kurz vor dem Ende des 2. Weltkrieges. Bei dieser Familiengeschichte schon war es mir als Schüler nicht möglich, diese These des Horaz anzunehmen, dass es süß und ehrenvoll sei für das Vaterland zu sterben.“
Lang applaudierten ihm die meisten 51 Saarländischen Abgeordneten zum Abschied nach dieser Rede. Anke Rehlinger, die SPD Spitzenkandidatin, sagte am nächsten Tag im SR-Fernsehen: „Ich habe ihm wie viele andere gestern im Landtag gedankt – für seine Arbeit, die er für dieses Land gemacht hat. Viele Dinge hat er auf den Weg gebracht, als Oberbürgermeister, als Ministerpräsident, und dafür gebührt ihm Dank, im Grunde von allen Saarländerinnen und Saarländern, den habe auch ich ihm ausgesprochen.“
Doch in den vergangenen Jahren stritt Lafontaine sich bis auf’s Messer mit Fraktionschef Thomas Lutze. Lafontaine warf Lutze Stimmenkauf und Manipulation der Mitgliederkartei vor. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, hat die Ermittlungen aber mittlerweile eingestellt. Dann riet Lafontaine seinen Anhängern bei der Bundestagswahl davon ab, die Linke, also seine eigene Partei, zu wählen. Darauf folgte ein Parteiausschlussverfahren, dem er mit seinem Austritt nun zuvorgekommen ist. Wollte er mit seinem Austritt der Partei schaden? Der Gedanke liegt nahe.
Falls die Spitzenkandidatin der neuen Saar-Linken, Barbara Spaniol, das aber auch so sieht, lässt sie es sich im SR-Fernsehen nicht anmerken: „Ohne ihn würde es die Linke ja gar nicht geben, wir haben ihm sehr, sehr viel zu verdanken, seine Verdienste sind bekannt, die werden auch bleiben, also ich wünsche ihm alles, alles Gute. Ich bedauere diesen Schritt, aber ich glaube, wir müssen auch nach vorne schauen, und das können wir sehr selbstbewusst, wir haben ein gutes Programm, die Stimmung an unseren Infoständen ist gut, wir wollen seine Politik fortsetzen und dafür kämpfen.“

Grünen-Landesverband verlor gegen den Bundestrend Mitglieder

Loyalität also über alle Unstimmigkeiten hinweg? Bei den Saar-Grünen heißt der König der Loyalitätsstrukturen Hubert Ulrich. Politikwissenschaftler Uwe Jun sagt, der Grüne Hubert Ulrich habe „Manipulationsversuche“ durchgesetzt: „Man kann dann eben, wie es Herr Ulrich gemacht hat, über Jahrzehnte von Saarlouis aus einen Landesverband entsprechend versuchen zu dirigieren, was eben in großen Flächenstaaten wesentlich schwieriger ist.“
Während die Landesverbände der Grünen bundesweit wachsen, hat der saarländische Landesverband als einziger Mitglieder verloren. Während sich die Grünen mit Robert Habeck und Annalena Baerbock auf Bundesebene profilieren, können sich die Saar-Grünen nach fünf Jahren in der außerparlamentarischen Opposition weiterhin nicht sicher sein, ob sie über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Hubert Ulrich hatte immer genügend Anhänger, die ihm durch alle Grabenkämpfe hindurch die Treue gehalten haben. Die Unstimmigkeiten führten zuletzt dazu, dass die Saarländerinnen und Saarländer bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst mit ihrer Zweitstimme die Grünen nicht wählen konnten: Es war den Saar-Grünen nicht gelungen, eine Landesliste aufzustellen. Heute ist das anders.
Für die Landtagswahl wurde eine neue Spitzenkandidatin gekürt: Lisa Becker, 32-Jahre alt, Juristin. Bei der Wahldiskussion im SR wirbt sie für ihr Parteiprogramm: „Wir sagen, wir stehen für echten Klimaschutz im Saarland. Und damit eng verbunden für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir haben nur zwanzig Prozent Erneuerbare im Saarland, das ist definitiv zu wenig, der Bundesschnitt ist doppelt so viel, wir wollen weniger Flächenverbrauch im Saarland und kämpfen für eine echte Mobilitätswende.“
Lisa Becker ist Spitzenkandidatin der Grünen
Lisa Becker ist Spitzenkandidatin der Grünen (picture alliance/dpa | Oliver Dietze)
Wichtige parteiinterne Fragen aber sollen – so heißt es - erst nach der Wahl geklärt werden. Dazu Politikwissenschaftler Uwe Jun: „Man muss abwarten, inwieweit Herr Ulrich weiter versuchen wird, seinen Einfluss in der Partei geltend zu machen. Oder ob die letzten Niederlagen, die er hat erleiden müssen, am Ende dazu führen, dass Hubert Ulrich aufgibt und keinen Einfluss mehr versucht geltend zu machen. Das wird ihm sicherlich nicht leichtfallen, nach jahrzehntelanger – man kann sagen fast – Parteiherrschaft, die er innerhalb der Grünen ausüben durfte.“
Wer also jetzt die Grünen im Saarland wählt – weiß nicht, wen er genau wählt: Die neue Spitzenkandidatin Lisa Becker - oder doch den Strippenzieher im Hintergrund - Hubert Ulrich? Die lamentable Lage bei den Grünen und bei den Linken hat nun dazu geführt, dass sich im Saarland im vergangenen September eine neue Wählervereinigung gegründet hat. Sie nennt sich „bunt.saar - sozial ökologische Liste“. In Windeseile hat sie ein Wahlprogramm aufgestellt, schnell hatte sie über 100 Mitglieder.

Ein neues Wählerbündnis tritt an

Bei einer Wahlkampf-Veranstaltung in Saarlouis-Fraulautern erklärt eine Frau, warum sie gekommen ist: „Weil wir hier im Saarland ja keine Partei haben, die diese Klima- und Umweltthemen vertritt. Schade, dass so wenige gekommen sind!“ Ihre Freundin pflichtet ihr bei: „Es ist wirklich schade, dass so wenige Leute gekommen sind, gerade hier in Saarlouis, der Hochburg von Hubert Ulrich, wäre es schön gewesen!“
Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit schreibt sich „bunt.saar“ auf die Fahnen. Wahlkampfmotto: „Alles muss man selber machen“. Werner Ried, Geograph und Verkehrsexperte, Spitzenkandidat der „bunt.saar“-Landesliste radelt zu sämtlichen Wahlkampfterminen, er steht für die Verkehrswende. Das Schienennetz, der Öffentliche Nahverkehr müssen im Saarland ausgebaut werden, sagt er. Klar müsse im Auto-Land Saarland gesagt werden, dass der Verbrennermotor ein Auslaufmodell sei: „Das wird ein ganz dickes Brett, aber wir müssen die Wahrheit sagen: Hallo Leute – das Festhalten an diesem Industriestandort Saarland, das wird uns so nicht gelingen.“
Laut Umfragen wird das Wählerbündnis bunt.saar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Werner Ried ist dennoch optimistisch: „Also, wir haben eine Chance. Und es ist so, und kein Geheimnis, andere Parteien tun sich extrem schwer, haben sich zerstritten, und da werden sich Leute für uns interessieren, und das kann von einer dieser Parteien jeweils ein Prozent sein, zwei Prozent sein, dann hätten wir schon vier.“
Die Gründung von bunt.saar, aber auch den Streit bei den Grünen und den Streit bei der Linken beobachtet der Landesvorsitzende der Saar-FDP, Oliver Luksic, mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es sein kann, wenn jeder jeden kennt: „Ja, dass jeder den anderen kennt, hat Vor- und Nachteile, aber das destruktive Potential von einigen wenigen ist in einer kleinen Partei in einem kleinen Landesverband natürlich größer als in NRW oder in Bayern zum Beispiel.“

Ein Bundesland "zu klein für kleine Parteien"?

Die FDP ist seit zehn Jahren nicht mehr im saarländischen Landtag vertreten. Sie war, als sie 2012 aus der Regierung flog, komplett zerstritten, hat die Zeit aber genutzt, um sich neu zu sortieren: „Die FDP ist heute ganz anders aufgestellt. Wir sind auch mit Abstand die stabilste der kleinen Parteien. Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, aber am Ende des Tages muss dann eine der großen Parteien, die die Wahl gewinnt, auf andere zugehen, und dann wird man schauen, ob man was bewegen kann. Und es hängt auch davon ab, was rechnerisch möglich ist, am Schluss.“
Vor allem hängt es davon ab, ob die FDP im Saarland tatsächlich die 5%-Hürde nimmt. Sicher ist das nicht. Die kleine Partei, die im Saarland laut Umfragen am besten abschneiden und ziemlich sicher wieder in den Landtag einziehen wird, ist die AFD. Dabei gab und gibt es auch dort heftigen Streit - was dazu führte, dass es keine AFD-Landesliste gibt, bei dieser Wahl, also auch keine Kandidatin oder einen Kandidaten an der Spitze. Aber die Spitzenkandidaten in den drei Wahlkreisen können gewählt werden.
Den Umfragen zufolge wird die AFD auf 6-8 Prozent kommen. Alles, was über die AFD bekannt ist, schade der Partei bei Wahlen nicht unbedingt, sagt Uwe Jun: „Weil eben die AFD Wähler kaum auf den Zustand ihrer Partei achten. Sondern die AFD-Wähler, die meisten AFD-Wähler, wählen die Partei, weil sie mit den anderen nicht einverstanden sind.“
Die Saarbrücker Zeitung hat unlängst festgestellt: Das Saarland sei „zu klein für kleine Parteien“. Wo könnte also die Lösung liegen? Man könnte das Land größer machen. Es an Rheinland-Pfalz angliedern. Eine alte Idee. Aber Politikwissenschaftler Uwe Jun schüttelt den Kopf: „Das ist, glaube ich, den Saarländerinnen und Saarländern nicht zuzumuten, weil sie doch ein hohes Maß an Eigenständigkeit ihres Landes für sich reklamieren. Die Wertschätzung der Autonomie und der Eigenheit ist im Saarland sehr groß.“