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Saat des Misstrauens

Die Iren werden voraussichtlich die einzigen Europäer sein, die über den EU-Reformvertrag abstimmen. Es gibt noch keinen offiziellen Termin für dieses Referendum, Anfang Juni wird erwartet. Der Unternehmer Declan Ganley macht Stimmung gegen den neuen EU-Vertrag. Martin Alioth hat ihn getroffen.

11.03.2008
    Der irische Geschäftsmann Declan Ganley beruft sich auf seine Erfahrung: Der Lissabonner Vertrag sei das schlechteste Geschäft, das ihm jemals untergekommen sei. Trotz seiner 39 Jahre blickt Ganley auf eine 20-jährige Karriere zurück. Aluminium aus dem Baltikum, Holz aus Sibirien, Breitband- und Kabelnetze in ganz Europa, ein gescheiterter Schmuck-Handel und ein gehobener, pan-europäischer Taxidienst: Es gibt kaum etwas, was Ganley nicht schon gekauft und verkauft hat. Die Quellen seines Reichtums sind zwar schleierhaft, aber sein luxuriöser Lebenswandel dokumentiert, dass er Erfolg gehabt hat. Jetzt finanziert er das sogenannte Libertas-Institut, eine Denkfabrik im irischen Westen mit fünf Angestellten, die sich Transparenz und Rechenschaftspflicht in Europa auf die Fahnen geschrieben hat.

    Libertas, lateinisch für Freiheit, will bis zu einer Million Euro gegen Lissabon investieren. In Irland befindet sich der Unternehmer dabei in eigenartiger Gesellschaft: Die Verteidiger der irischen Neutralität, einige prominente Grüne und als einzige Partei Sinn Féin, die einstigen Weggefährten der Irisch-Republikanischen Armee, sie alle opponieren auch. Kann man denn bei der Wahl seiner Verbündeten wählerisch sein?

    Der Vertrag sei ein Verkehrsunfall; jeder, der den Inhalt kenne, müsse dagegen sein. Ganleys Hauptargument ist nicht materieller sondern ideeller Natur. Er befürchtet einen Verlust von Mitsprache und demokratischer Rechenschaftspflicht. Mehr ungewählte Funktionäre an der Spitze, weniger Bereiche, in denen das nationale Veto gilt.

    Bertie Ahern, der langjährige irische Premierminister, sieht das anders: Er sei sicher, dass die informierten Bürger zustimmen würden, anstatt in den Sumpf der Vergangenheit zurückzukehren. Die Implikation ist unüberhörbar: Wer Nein sagt, katapultiert Irland aus dem europäischen Klub hinaus in die traditionelle Armut.

    Wir sind doch die wirklichen Europäer, widerspricht Ganley, denn Europa sei nicht in Brüsseler Amtsstuben oder bei einer beamteten Elite zu finden, sondern bei 470 Millionen Bürgerinnen. Folgerichtig gibt es von der Gruppe Libertas auch schon ein Lied dazu. Mit amerikanisch anmutendem Trommelwirbel wird der Bürger zur Opposition und zur Wachsamkeit ermahnt. Allein die Hoffnung auf die Gutartigkeit von Regierungen sei nicht ausreichend.
    Ganley, der den Londoner Akzent seiner Geburt nie ganz abgestreift hat, appelliert also an die Skepsis der Bürger. Das ist keine schlechte Strategie gegen einen Premierminister, dessen private Geldgeschäfte vor 15 Jahren noch heute Tribunale beschäftigen. Da mag Ahern noch so oft behaupten, der Lissabonner Vertrag bringe letztlich keine aufregenden Veränderungen; irische Regierungen haben schon bei früheren Referenden geflunkert. In diese Lücke hofft Ganley, die Saat des Misstrauens zu streuen:

    Wir sollen auf so vieles verzichten in diesem Vertrag, aber niemand kennt irgendeinen Zugewinn. Die Befürworter werden also keinen leichten Stand haben. Die Zahl der Unentschlossenen ist laut Meinungsumfragen noch so groß, dass eine Vorhersage zu diesem Zeitpunkt müßig erscheint.