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Saatgut
Gefährliche Sortenarmut, teure Abhängigkeit

Wer wissen will, warum sich Monsanto und Co. Pflanzensorten patentieren lassen, die es schon seit Menschengedenken gab, der ist mit der Streitschrift "Das Saatgut" von Anja Banzhaf sehr gut bedient. Nach der Lektüre dieser grünen Protest-Anleitung wird aus der Dachbegrünung eine schmackhaft-politische Haltung.

Von Britta Fecke | 04.07.2016
    Ein Wissenschaftler von Monsanto beobachtet neue Gen-Maispflanzen im Labor in St. Louis, USA
    Ein Wissenschaftler von Monsanto beobachtet neue Genpflanzen im Labor in St. Louis, USA (Deutschlandradio/Peter Kreysler)
    Wie lukrativ der Saatgutmarkt ist, zeigt sich unter anderem anhand der Summen, die der Leverkusener Chemiekonzern Bayer aufruft, beim Versuch das Agrarunternehmen Monsanto zu übernehmen. Im Moment ist der amerikanische Agrarriese vor allem wegen des umstrittenen Glyphosat-haltigen Pestizids "Round up" in den Schlagzeilen. Doch Monsanto produziert nicht nur Pestizide, sondern ist auch einer der weltweit größten Saatguthersteller. Wie eng die Chemiebranche mit dem Agrarmarkt verflochten ist, beschäftigt auch Anja Banzhaf:
    "Konzerne kaufen sich in verschiedene Bereiche entlang der Saatgut-Wertschöpfungskette ein. Insbesondere die Verquickung zwischen Chemie- und Saatgutkonzernen hat sich für diese als äußerst fruchtbar erwiesen: Fünf der sechs größten Pestizidhersteller gehören heute zugleich zu den zehn größten Saatgutkonzernen."
    Aus komplexen Anbausystemen sind Monokulturen geworden
    Saatgut: also Weizenkörner oder Erbsensamen werden noch gar nicht so lange verkauft und gehandelt, denn die längste Zeit in der Geschichte des Ackerbaus haben Bauern und Gärtnerinnen ihre Kulturpflanzen selbst vermehrt. Jede Pflanze erzeugt freiwillig unzählige Nachkommen. Schwierig, aus diesem natürlichen Überfluss ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Jeder Bauer behielt einen Teil von seiner Ernte zurück und säte ihn in der nächsten Saison wieder aus. Mit dem Verkauf von Saatgut war also kaum Geld zu machen. Bis die frühen Genetiker die Hybridzüchtung auf den Markt brachten. Wer die biologischen Prinzipien hinter dieser Zuchtform begreifen will, lese in dem gleichnamigen Kapitel nach. Die Autorin liefert vertiefendes Fachwissen in Kästchen, optisch-ansprechenden Graphiken oder zusätzlichen Kapiteln. Diese wissenschaftlichen Exkurse sind allgemeinverständlich und dennoch präzise formuliert. Gelingt viel zu selten, hier aber sehr gut. Und was noch schöner ist: wer keine Zeit für einen Fachexkurs hat, versteht das nächste Kapitel trotzdem.
    "Das biologische Werkzeug zur Verknappung von Saatgut ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts die Hybridzüchtung (S.52). Hybridsaatgut ist nicht verlässlich vermehrbar und bringt Bäuerinnen und Gärtner dazu, jedes Jahr neues Saatgut zu kaufen. Als rechtliches Werkzeug bestimmen seit den 1930ern geistige Eigentumsrechte auf Sorten, dass Bäuerinnen das einmal gekaufte Saatgut einer geschützten Sorte entweder gar nicht oder nur gegen Zahlung einer Nachbaugebühr wieder aussäen dürfen. Mit der Gentechnik werden ab 1970 beide Werkzeuge zusammengeführt."
    ...mit dem Ergebnis, dass Agrarkonzerne das genmanipulierte Saatgut, das darauf abgestimmte Pestizid und den Dünger herstellen und als Gesamtpaket verkaufen. Diese hochspezialisierten Produkte, diese Hightech-Pflanzen stehen auf den Äckern von Brasilien bis Brandenburg. Und machen die Bauern zu abhängigen Konsumenten, denn Gen-Soja oder der sogenannte Hochertrags-Mais kann nur mit dem auf ihn abgestimmten Pestizid-Cocktail wachsen; und mit sehr viel Wasser und noch mehr synthetischem Dünger.
    "Die globale Vereinheitlichung in der Landwirtschaft hat aus komplexen Anbausystemen Monokulturen gemacht. Hierbei gingen nicht nur verschiedenste bäuerliche Anbaumethoden und kleinteilige Strukturen verloren, sondern auch die Sorten, die in diesen Systemen genutzt wurden. Schätzungen zufolge sind in den letzten 100 Jahren etwa 75 Prozent der Kulturpflanzenvielfalt (...)vernichtet worden."
    Wie gefährlich diese Sortenarmut und wie teuer die Abhängigkeit vom industriellen Saatgutsystem ist, beschreibt die Aktivistin Banzhaf an vielen Stellen so spannend wie einen Krimi. Und bricht auch komplexe Zusammenhänge so weit herunter, dass der Leser nur in den eigenen Kühlschrank schauen oder den Obstkorb muss, um zu begreifen, dass Patente auf Leben auch seine Gewohnheiten verändern werden. Denn am Ende geht es auch um "unser täglich Brot":
    "Was bedeutet es, wenn wenige Konzerne das Sagen haben? Die Konzerne beherrschen ja nicht irgendeinen abstrakten Markt. Sie kontrollieren die Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten; die Sorten, die angebaut werden; die Methoden, mit denen angebaut wird; die Prozesse der Lebensmittelverarbeitung und die Politik und Gesetzgebung, die den landwirtschaftlichen Anbau regeln."
    "Industrielles Agrarsystem ist überhaupt nicht effizient"
    Die Folgen der industriellen Landwirtschaft auf die Umwelt und die Sortenvielfalt in verschiedenen Ländern schildert die Autorin anschaulich anhand konkreter Fallbeispiele, manchmal auch als Interview mit betroffenen Züchtern, Bäuerinnen oder Umweltschützern. Banzhaf unterfüttert diese persönlichen Schicksale an vielen Stellen mit Zahlen und Fakten und nennt dankenswerterweise auch immer sofort Autor und Publikation der Studie.
    Mit einfachen Rechnungen stellt sie dabei die Totschlagargumente der Agrarindustrie in Frage - Stichwort "Forschen gegen die Hungerkrisen":
    "Je mehr Ertrag pro Fläche, desto effizienter scheint das System. Doch Fläche ist nicht der einzige Faktor, der über eine ertragreiche und effiziente Landwirtschaft bestimmt. Hinzu kommen beispielsweise Rohstoffe wie Phosphat und fossile Energieträger zur Herstellung chemisch-synthetischer Düngemittel. Zum Beispiel werden zur Produktion einer Tonne mineralischen Stickstoffdüngers zwei Tonnen Erdöl verbraucht. Auch kann Landwirtschaft auf lange Sicht nur Erträge bringen, wenn sie Grund- und Oberflächenwasser sauber und die Böden fruchtbar hält. ...So betrachtet ist das industrielle Agrarsystem überhaupt nicht effizient."
    Wer einmal in den trüben Fluss neben einer Maismonokultur geblickt hat, in dem wenn überhaupt nur braune Algen leben, weiß, was sie meint.
    "70 Prozent des global verfügbaren Süßwassers wird aktuell in der Landwirtschaft genutzt. Noch problematischer als die Wassernutzung ist die Verschmutzung der Gewässer durch die Landwirtschaft. Ein großer Teil der mineralischen Dünger wird aus den Böden ausgewaschen und gelangt in Grundwasser und Flüsse. Durch die hohen Phosphat- und Stickstoffeinträge ins Meer gelten zum Beispiel 70.000 Quadratkilometer der Ostseeböden als biologisch tot (Carstensen et al. 2014)."
    Wer außerdem noch wissen will, warum sich Monsanto, Syngenta und Co. Pflanzensorten patentieren lassen, die es schon seit Menschengedenken gab - wie es diese Konzerne schaffen, eine Art Eigentumsrecht auf ein Allgemeingut zu erlangen: Der ist mit dieser Streitschrift von Anja Banzhaf sehr gut bedient. Haben sie noch eine Fensterbank frei? Vielleicht im Büro? Dann ran an die alten Tomatensorten – nach der Lektüre dieser grünen Protest-Anleitung wird aus der Dachbegrünung eine schmackhaft-politische Haltung. Liefer- und Tauschadressen sind im Glossar.