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Sachbuch "Eingeimpft"
Verirrt zwischen den Meinungen über das Impfen

Impfen - ja, nein, vielleicht? Der junge Vater und Filmemacher David Sieveking gerät nach der Geburt der Tochter in so große Gewissenkonflikte, dass er jede nur erdenkliche Meinung zum Thema recherchiert. Sein Buch "Eingeimpft" ist gut geschrieben, aber wenig substanziell.

Von Volkart Wildermuth | 31.08.2018
    Ein drei Monate altes Baby erhält eine orale Impfung.
    Ein drei Monate altes Baby erhält eine orale Impfung. (imago / Westend 61)
    Erst einmal: "Eingeimpft" ist kein klassisches Sachbuch, eher ein Erlebnisbericht aus dem Kinderzimmer. David Sieveking erzählt lebhaft von seinen Eltern, der Wohngemeinschaft in Kreuzberg, vom ersten Date mit Jessica, dem positiven Schwangerschaftstest und dem ganzen Babytrubel. Das Thema Impfen nimmt aber einen immer größeren Platz im Leben der jungen Familie ein. David Sieveking selbst denkt dabei vor allem an Schutz für die kleine Zaria. Seine Partnerin Jessica de Rooij fürchtet dagegen, ihrer kleinen Tochter etwas Chemisches spritzen zu lassen.
    "Das kommt aus dem Labor. Und da ist noch allerhand anderes unnatürliches Zeugs drin. Antibiotika, glaube ich, manchmal, und so Metalle. Allein schon der Gedanke, diesem kerngesunden Baby etwas anzutun, tut mir weh."
    Für beide wird die Impffrage zur Schicksalsfrage. Also beschließt der Filmemacher Sieveking der Sache auf den Grund zu gehen und die Recherche zu dokumentieren. Ganz zu Anfang besucht er die offiziellen Stellen. Der Vorsitzende der Ständige Impfkommission, Jan Leidl, begegnet Sieveking sehr offen, aber auch etwas skeptisch.
    "Die Vorstellung, dass man das dann doch lieber selber recherchiert, vielleicht unterstützt mit Google und mit einem Buch von irgendeinem impfkritischen Kinderarzt – das ist mutig!"
    Widerlegte Geschichten nochmal erzählt
    Das Buch gibt ihm im Grunde Recht. Sieveking spricht mit Kinderärzten, mit einer Heilerin, mit Pharmaunternehmen, Behörden, Forschern, mit impfkritischen Eltern und solchen, die nur geimpfte Kinder in der Kita haben wollen. Sie alle kommen in dem Buch zu Wort und alle werden gleich ernst genommen. Eine Kakophonie von Meinungen, in denen sich Sieveking verirrt.
    Gerade weil er für alles offen sein will, fehlt ihm ein Maßstab, um Informationen zu gewichten. Widersprüchliches steht unverbunden nebeneinander. Und längst widerlegte Geschichten werden doch noch einmal erzählt, etwa die angebliche Verbindung von Autismus und Impfung. Hier gibt Sieveking, wissenschaftlich korrekt, Entwarnung.
    "Es war die weltweit größte Studie zu dieser Frage, die zu dem klaren Ergebnis kam, dass kein Zusammenhang besteht."
    Doch wenige Seiten später stellt er das Thema noch einmal in den Raum. Einziger Grund, ein Bauchgefühl.
    "Aber was, wenn die Masernimpfung nun doch in ganz, ganz seltenen Fällen Autismus auslöst?"
    WHO wird der Korruption verdächtigt
    Vorurteile prägen den Blick. Wenn es um das Stillen geht, gilt die Weltgesundheitsorganisation als wichtige Instanz, doch beim Thema Impfen wird sie der Korruption verdächtigt. Sieveking fällt der eigene Schlängelkurs auch selbst auf:
    "Man misstraut der kommerziellen Impfstoff-Forschung und schlägt lieber einen Weg ein, der wissenschaftlich noch viel weniger fundiert ist. Hier geht es offensichtlich um Vertrauen."
    Das ist die zentrale Aussage des Buches. Sie hilft besorgten Eltern nicht wirklich weiter. Aber sie ist entscheidend für alle, die die Impfbereitschaft fördern wollen. In "Eingeimpft" können sie studieren, warum Aufklärung auf diesem Gebiet so schwierig ist. Entscheidend sind nicht die Fakten, sondern eben Vertrauen. Und dafür sind Studien weniger wichtig, als überzeugende Geschichten.
    Zaria wird am Ende übrigens geimpft, wenn auch vorerst nur gegen Masern, denn davon ist David Sievekings letzter Gesprächspartner überzeugt.
    "Gerade die Eltern, die nicht nach Schema F impfen, sind überdurchschnittlich stark und ernsthaft um das Wohlbefinden ihrer Kinder bemüht."
    Schreibt David Sieveking und hat das Gefühl, eine selbstbestimmte Entscheidung getroffen zu haben. Das Bemühen nimmt man ihm ab, aber es bleibt der Eindruck der Beliebigkeit. Hätte er zuletzt mit jemand anders gesprochen, wäre Zaria vielleicht immer noch nicht geimpft oder hätte im Gegenteil einen vollen Impfpass.
    David Sieveking: Eingeimpft - Familie mit Nebenwirkungen
    Herder Verlag, 320 Seiten, 22 Euro

    Am 13. September 2018 erscheint auch ein gleichnamiger Dokumentarfilm von David Sieveking.