Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Impfberatungspflicht
"Es ist eine unfaire Maßnahme, sein Kind nicht zu impfen"

Viele Kinder würden nur deswegen nicht geimpft, weil die Eltern Termine vergessen oder verschoben hätten, sagte der Kinderarzt Hermann Josef Kahl im DLF. Eine Pflicht zur Impfberatung könne das verbessern. Sein Kind nicht impfen zulassen, sei eigentlich eine unethische und eine unsoziale Einstellung.

Kinderarzt Hermann Josef Kahl im Gespräch mit Jasper Barenberg | 01.06.2017
    Ein Arzt impft eine Patientin.
    Kitas sollen an die Gesundheitsämter melden müssen, wenn Eltern die Impfberatung verweigern. (dpa/Karl-Josef Hildenbrand )
    Jasper Barenberg: Am Telefon ist der Kinderarzt und Kinderkardiologe Hermann Josef Kahl. Er hat eine eigene Praxis in Düsseldorf. Außerdem arbeitet er in der Führung beim Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte. Schönen guten Morgen, Herr Kahl.
    Hermann Josef Kahl: Guten Morgen.
    Barenberg: Eltern müssen ja schon seit zwei Jahren bei der Kita zumindest eine Impfberatung nachweisen. Da droht auch eine Geldbuße von 2.500 Euro. Bisher konnten aber die Kitas selber entscheiden, ob sie die Eltern beim Gesundheitsamt melden. Wenn sie jetzt verpflichtet werden, was wird das ändern?
    Kahl: Das wird zumindest ändern, dass wir eine etwas höhere Sicherungsrate in Deutschland bekommen. Sie wissen ja, wir wollen circa 95 Prozent aller Kinder eines Jahrgangs durchgeimpft haben, um einen generellen Schutz zu erreichen.
    Barenberg: Und Sie glauben, dass der Gesundheitsminister das Ziel mit dieser Maßnahme erreicht, mit diesem, sagen wir, sanften Druck?
    "Ein solcher Druck stärkt die Verantwortung"
    Kahl: Ich bin fest davon überzeugt, denn aus der Erfahrung heraus weiß ich ja, dass sehr viele von diesen schlecht geimpften oder nicht voll geimpften Kindern deswegen nicht geimpft sind, weil einfach Termine vergessen worden sind oder verschoben wurden und dann nicht mehr neu gemacht worden sind. Ich glaube, dass ein solcher Druck die Verantwortung stärkt, dass Eltern Termine, die sie aus irgendwelchen Gründen absagen mussten, dann doch wieder neu machen und dass sie jetzt selber auch von ihrer Seite verstärkt daran denken, dass auf diese Termine hingewiesen wird.
    Barenberg: Nun sagt der Gesundheitsminister Hermann Gröhe ja auf der anderen Seite auch, dass es gar keinen Sinn hat, gar keinen Zweck macht zu versuchen, die Impfgegner zu überzeugen. Sind Sie auch dieser Meinung, das kann man vernachlässigen?
    "Die nicht geimpften Kinder profitieren von den geimpften Kindern"
    Kahl: Wir werden die Impfgegner mit einer solchen Maßnahme sicher nicht überzeugen können. Das glaube ich auch. Aber man muss immer im Hinterkopf behalten, dass die nicht geimpften Kinder von den geimpften Kindern auch profitieren, denn wenn wir 95 Prozent Durchimpfungsrate haben, wissen auch die Impfgegner, dass ihre Kinder dadurch geschützt sind. Aber das ist eigentlich eine unethische und eine unsoziale Einstellung.
    Barenberg: Ist das auch der Grund dafür, dass Sie eigentlich die Impfpflicht fordern?
    Kahl: Ja genau! Wir wollen alle Kinder schützen. Wir wollen vor allen Dingen auch die Kinder schützen, die noch nicht das Alter für eine Impfung erreicht haben, aber schon gefährdet sind. Das sind die kleinen Säuglinge zum Beispiel. Wir wollen auch, dass diejenigen, die krank sind, die zum Beispiel eine Chemotherapie haben oder die eine angeborene Schwächung des Immunsystems haben, dass die auch geschützt sind, denn die werden, wenn sie Kontakt haben mit schweren Infektionskrankheiten, natürlich doppelt und dreifach betroffen sein. Es ist insgesamt, finde ich, eine unfaire bis unseriöse Maßnahme, sein Kind nicht zu impfen, weil man damit automatisch andere Kinder auch gefährdet.
    Barenberg: Nun wenden die Kritiker ja ein, dass eine Impfpflicht allzu stark eingreift eigentlich in das Selbstbestimmungsrecht der Eltern, gerade mit Blick auf ihre kleinen Kinder. Was antworten Sie?
    "Es ist eine emotionale Geschichte, Sie können da mit Fakten nichts machen"
    Kahl: Ja gut! Wir als Ärzte haben die ethische Verantwortung, alle Kinder zu schützen beziehungsweise dafür zu sorgen, dass Kinder gesund sind und gesund bleiben. Und das erreichen wir nun mal mit der Impfung. Das wird von keinem mehr anders gesehen, außer von irgendwelchen Fanatikern, die weiß ich nicht, aus mir unbekannten Gründen mit falschen Zahlen argumentieren und Leute verunsichern und verängstigen. Aber es ist unseriös, so einen Trend einfach laufen zu lassen, ich gehe mal zum Impfen oder ich gehe nicht, und die Ernsthaftigkeit dieser Angelegenheit herunterzuspielen. Das finde ich absolut falsch.
    Barenberg: Haben Sie eigentlich eine Erklärung dafür, dass sich die Argumente dieser Impfgegner, die ja vielfach widerlegt worden sind durch Studien, dass sich diese Vorbehalte und diese Kritik so hartnäckig hält?
    Kahl: Es gibt einen Teil der Menschen, die sind ängstlich, und diese Ängste werden natürlich von solchen Leuten ganz besonders dann geschürt. Die haben eine extreme Schwierigkeit, dann in unseren Gesprächen diese Ängste zu überwinden. Es ist eine emotionale Geschichte, Sie können da mit Fakten nichts machen. Wir haben das x-mal erlebt in den Praxen, obwohl wir es immer wieder versuchen. Aber wissen Sie, es ist nicht das Problem der Impfgegner, was die entscheidende Durchimpfungsrate bisher blockiert. Es sind die vergessenen Termine und da muss verstärkt dran gearbeitet werden, dass die eingehalten werden.
    Barenberg: Dazu tragen ja die geplanten neuen Regelungen jedenfalls bei. – Warum sollten wir eigentlich diesen Empfehlungen der Kinderärzte und auch der ständigen Impfkommission blind vertrauen können?
    "Die allermeisten Menschen wissen, dass die Impfungen helfen"
    Kahl: Die Kinder- und Jugendärzte sind jemand, der sich auf die Fahne geschrieben hat, für die Gesundheit der Kinder einzustehen, und sämtliche wissenschaftlichen Arbeiten haben gezeigt, dass die Impfungen die Kinder vor diesen gefährlichen Erkrankungen schützen. Es gibt daher von unserer Seite ja nur die einzige Möglichkeit zu sagen, natürlich sind wir für Impfungen. Sie würden ja auch bei einer Operation, die eine gefährliche Erkrankung verhindert, auch nicht sagen, die Operation mache ich nicht, weil das ein Eingriff in die Persönlichkeit des Menschen ist. Wenn wir zum Beispiel sagen würden, Herztransplantationen kriegt nur noch derjenige, der unter 50 ist, dann geht ein Riesengeschrei durch die Gesellschaft. Das kann ich Ihnen versichern. Aber wenn der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sagt, die Impfungen sollten für alle gemacht werden, damit alle Kinder geschützt sind, dann gibt es plötzlich eine unverständliche Reaktion. Ich glaube aber, ich bin sicher auch, dass die Allermeisten mit einer solchen Durchimpfungsrate einverstanden sind, denn die allermeisten Menschen wissen, dass die Impfungen helfen, und mit den wenigsten Leuten haben wir in den Praxen überhaupt Diskussionen, muss ich Ihnen sagen. Das wird von den allermeisten Menschen schon so gesehen. Es gibt einige, die sind ein bisschen kritisch, und mit denen unterhalten wir uns auch lange und können die dann auch überzeugen. Aber die, die Angst haben wie die echten Impfgegner, das ist manchmal sehr schwer, extrem schwer.
    Barenberg: Sie unterhalten sich lange, sagen Sie jetzt gerade, in diesen Impfberatungen, in den Gesprächen mit den Eltern, auch mit den Kindern. Da hört man allerdings oft, dass der Empfehlungszettel der ständigen Impfkommission weitergereicht wird und in die Hand gedrückt wird, und das war’s dann an Beratung. Müssen sich da manche Kinderärzte auch an die eigene Nase fassen?
    "Es ist immer gut, daran zu erinnern, dass Kinder geimpft werden"
    Kahl: Das weiß ich nicht. Ich kenne das anders. Wir empfehlen diese Impfungen und sagen, dass wir als Kinder- und Jugendärzte die Impfungen zunächst der StIKo durchführen und das auch für richtig halten, und weisen auf die Gefahr der Erkrankungen hin. Und wenn Eltern ein spezielles Beratungsangebot wünschen, dann kriegen sie einen Termin und dann unterhalten wir uns darüber. Das müssen Sie so sehen, das kann man natürlich nicht bei jeder Vorsorgeuntersuchung sehr ausgiebig machen. Aber wenn wir merken, dass die Eltern skeptisch sind oder Fragen haben, dann sagen wir sofort, machen Sie bitte vorne einen Termin aus, bringen Sie Ihren Mann mit oder umgekehrt Ihre Frau und dann unterhalten wir uns in aller Ruhe über die Notwendigkeit der Impfungen, oder warum wir diese Impfungen für wichtig und richtig und für Ihr Kind sehr gut halten.
    Barenberg: Würden Sie denn insgesamt sagen, dass Warnungen vor Impfmüdigkeit und vor einer sinkenden Impfquote insgesamt dann doch übertrieben sind?
    Kahl: Nein, das ist nicht übertrieben. Sie wissen ja, wir brauchen eine 95prozentige Durchimpfungsrate der Bevölkerung oder der entsprechenden Altersgruppen, um einen sicheren Schutz hinzukriegen. Insofern ist es immer gut, wenn wir immer wieder neu daran erinnern, dass die Kinder geimpft werden. Und wenn wir jetzt eine Impfpflicht kriegen, dann wird die Sache sich sicherlich vereinfachen.
    Barenberg: … sagt der Kinderarzt und Kinderkardiologe Hermann Josef Kahl. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    Kahl: Bitte sehr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.