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Sachbuch "Wir Erben"
Vermögen wird zum Karrierefaktor

Das Familienvermögen bestimmt heute bereits die Karriere junger Menschen positiv. Das ist eine These der Autorin Julia Friedrichs. Auch wenn das Sachbuch Mängel aufzeige, stimme es nachdenklich und verdeutliche die Abhängigkeit der Jungen von den Alten und ihrem Geld, meint unsere Rezensentin.

Von Gisa Funck | 03.08.2015
    Sichergestellte, gefälschte Euro-Banknoten hält Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele bei der Bundesbank in Frankfurt am Main in den Händen und spiegelt sich dabei in der Tischplatte.
    Julia Friedrichs sieht durch die wenigen Großerben den Grundsatz der Chancengleichheit gefährdet. (dpa picture alliance/ Boris Roessler)
    Leistung ist immer noch ein Lieblingswort der Deutschen. Egal, ob Manager, Fußballprofis oder Politiker: Sie alle werden nicht müde zu betonen, dass für den Erfolg vor allem die Arbeitsleistung zählt. Und dass Deutschland angeblich immer noch eine Leistungsgesellschaft ist, in der es vorrangig auf Fleiß, Können und Einsatzbereitschaft ankommt. Doch stimmt das wirklich noch, angesichts einer historischen Rekordsumme von geschätzt zwei bis vier Billiarden Euro, die deutsche Wohlstandsbürger bis 2020 an ihre Nachkommen weitergegeben haben werden? Nein, empört sich die Berliner Journalistin Julia Friedrichs in ihrem neuen Buch:
    "Eine Abmachung, die Deutschland seit den Nachkriegsjahren zusammenhielt, war die, dass der, der arbeitet, der fleißig ist, zu Wohlstand kommen können muss. (...) Wenn aber, wie im Moment, vor allem die ein Vermögen aufbauen, die erben, und wenn, wie in vielen Ballungsräumen, Eigentumswohnungen oder Häuser nur noch für die bezahlbar sind, deren Eltern oder Großeltern Geld zuschießen, gilt diese Vereinbarung nicht mehr."
    Willkommen in der neuen Feudalgesellschaft Deutschland 2.0, in der, wie im 19.Jahrhundert wieder vorrangig das finanzielle Polster – und eben gerade nicht Talent, Können oder Fleiß – über Erfolg oder Misserfolg entscheidet! Zugegeben: So ganz neu klingt die Klage von Julia Friedrichs nicht. Schließlich warnte etwa auch schon der französische Star-Ökonom Thomas Piketty, den die Autorin eifrig zitiert, in seiner Mammutschrift "Das Kapital im 21. Jahrhundert "davor, dass sich Vermögen immer mehr in den Händen einiger weniger Superreicher aus Westeuropa und den USA ballt – und dieses zudem immer seltener mit Arbeit verdient wird. Denn im heutigen Finanzkapitalismus ist es bekanntlich längst profitabler, sein Geld für sich arbeiten zu lassen, statt selbst zu schuften. Was die Kluft zwischen Arm und Reich noch einmal zusätzlich befördert.
    In Deutschland, so zitiert Friedrichs das Institut für Wirtschaftsforschung, ist der Reichtum derzeit sogar noch ein bisschen ungerechter verteilt als in den meisten anderen Ländern der Welt. Von geschätzt 250 Millionen Euro, die hierzulande alljährlich vererbt werden, erhält nämlich eine Acht-Prozent-Minderheit den Hauptbatzen von 40 Prozent. Die übrigen 60 Prozent des Erbschaftskuchens entfallen auf 42 Prozent der Deutschen, während die Hälfte der hiesigen Bevölkerung in puncto Nachlass sogar ganz leer ausgeht.
    Zugeknöpfte Interviewpartner
    Die Folge: Vor allem unter den heute 30- bis 45-jährigen Bundesbürgern wird das Familienvermögen angesichts prekärer Arbeitsverhältnisse zunehmend zum entscheidenden Karrierefaktor, der Aufstiege befördert – oder eben erst gar nicht zulässt. Oder, wie Friedrichs überlegt:
    "Wie verändert sich ein Land, wenn die Antwort auf die Frage 'Bist du Erbe?' Dutzende von Antworten gleich mitliefert? Wenn das Geld der Eltern mitentscheidet, ob du dir ein Haus leisten kannst, den Job, den du willst, die Kinder, die du dir erhoffst? (...) Und warum wird um die Sache mit dem Erbe nicht mehr gestritten und debattiert?"
    Tja, wie gefährdet ist unsere Demokratie, die eigentlich auf dem Grundsatz der Chancengleichheit beruht, wenn reiche Erben sich über Wettbewerbsregeln immer öfter hinwegsetzen können? Und warum regt sich heute tatsächlich kaum jemand über die spür- und sichtbare Benachteiligung von Nicht-Erben auf? Faktum ist, dass der Spitzensteuersatz für Vermögende 2009 drastisch gesenkt wurde – und das deutsche Erbrecht jede Menge Steuer-Schlupflöcher bietet. Doch müsste großer Besitz, schon um Sozialneid vorzubeugen, nicht gerade umgekehrt auch zu größerer, sozialer Verantwortung verpflichten?!
    Diskussion um neue Zwei-Klassen-Gesellschaft
    Julia Friedrichs Buch ist allein schon deshalb lesenswert, weil es genau solche unbequemen und immer noch viel zu selten diskutierten Fragen zur auseinanderdriftenden Zwei-Klassen-Gesellschaft stellt. Auf der Suche nach Antworten versuchte die Reporterin, mit den Reichen und Privilegierten ins Gespräch zu kommen. Die allerdings reagierten darauf, gelinde gesagt, unkooperativ:
    "Mit Erben sprechen? Genauso gut hätte ich mir vornehmen können, mit einem Baum zu plaudern. Oder mit dem grauen Kopfsteinpflaster vor meinem Bürofenster. In meinem Ordner sammeln sich die Absagen. (...) Wir reden über erfüllte Kinderwünsche und gescheiterte Ehen. Über gelungenen Sex und misslungene Tage im Büro. Aber über das Geld unserer Eltern? Niemals."
    Kritiker haben an Friedrichs Erfahrungsbericht aus der heutigen Erben-High-Society zu Recht einiges bemängelt: Die doch recht willkürlich wirkende Auswahl der Interviewpartner, die vom elternfinanzierten Wohnungskäufer bis zum millionenschweren Jetset-Beau reicht. Den stellenweise allzu naiven Kleinmädchen-Staune-Blick, mit dem Friedrichs gern unreflektiert Phänomene beschreibt. Überhaupt die Aufgeblähtheit des Buches, das viele überflüssige Nebenüberlegungen auflistet, zentrale Aussagen oft unnötig wiederholt und auch schon mal seitenlang skandalträchtige Erbgeschichten ausbreitet.
    Überwiegend pressebasierte Recherche
    Zudem hat Friedrichs, wie neuerdings viele Sachbuchautoren, den unseriös anmutenden Hang, fast nur aus Presseartikeln – und kaum noch aus Fachbüchern – zu zitieren. Und wer ganz neue, überraschende Einblicke in die Welt der Schönen und Reichen erwartet, wird von "Wir Erben "vermutlich ebenfalls enttäuscht sein. Letztlich untermauern Friedrichs Interviews mit Unternehmens-Nachfolgern und Oberschichtskindern, doch nur die alte Binsenweisheit, wonach man Glück eben nicht kaufen kann. Das kann man kritisieren. Und doch ist "Wir Erben" ein wichtiges und nachdenklich machendes Buch, weil es trotz aller Mängel aufzeigt, wie sehr die Abhängigkeit vom Geld der Alten schon heute die Jungen in Deutschland lähmt – und wie wichtig es eigentlich für eine friedvolle Zukunft des Landes wäre, aus dem Versprechen nach Leistungsgerechtigkeit wieder mehr als ein Lippenbekenntnis zu machen.
    Julia Friedrichs:
    Wir Erben – Was Geld mit Menschen macht
    320 Seiten, Berlin Verlag, 19,99 Euro