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Sachen Machen.Ein Buch von ABCs und Geburtstagen

Wenn man zu hören bekommt, "was machst du für Sachen", schwingt in diesem Satz beinahe ein Tadel, zumindest aber eine Irritation mit. Die selbstbewusste Antwort könnte heißen. Ja, ich mache Sachen!" Sachen sind Gegenstände, Dinge, Materialien, und wer will, kann auch Wörter und Buchstaben als Gegenstände behandeln und sie entsprechend bewegen. Das Alphabet ist ein Baukasten, eine Sammlung von Sachen. Immer wieder gehen Autorinnen und Autoren zurück zu diesem Material, zurück zu den Buchstaben, um sie als einzelne, selbständige Gegenstände zu würdigen.

Sabine Peters |
    So auch Gertrude Stein, die zu den Wegbereitem der literarischen Moderne zählt. Ihren magischen Satz, der die Rose umkreist, diesen Satz kennt fast jeder - aber das Gesamtwerk der jüdischen Amerikanerin, die viele Jahre ihres Lebens in Paris verbrachte, liegt in den USA immer noch nicht vollständig vor, und auch in Deutschland wird es in großen zeitlichen Abständen und von ganz unterschiedlichen Verlagen herausgebracht. Gertrude Stein beendete ihr Buch mit dem entschlossenen Titel "Sachen machen" 1940 in Frankreich. Sie war mit Alice B. Toklas von Paris aufs Land gezogen, in eine Gegend, in der sie den Schutz der Petain-Regierung genoss. Soeben hatte sie den Roman "Ida" fertiggestellt, deren Hauptfigur vor allem ruht - Ida soll weniger durch ihr Tun, als durch ihr reines Dasein faszinieren.

    Und danach also "Sachen machen", ein Buch von ABC's und von Geburtstagen. Ein sehr verspielter Text, bei dem man vermuten könnte, die Autorin habe sich von der bedrückenden politischen Situation ablenken wollen. "Sachen machen" folgt der Ordnung des Alphabets, vom Mädchen Annie und dem Pferd Aktiv bis zum Zebra, das nicht allein sein will, und zur Zoologie, die einfach alles über Tiere ist. Jeder Text steht für sich selbst, eine lose inhaltliche Verbindung ergibt sich durch die Hunde Nimmerschlaf und Schlief, die gelegentlich überraschend auftauchen. Alle Protagonisten haben Geburtstage, oder sie wollen jedenfalls einen haben. Was kann man da tun? Man gibt eine Anzeige auf, oder man stiehlt einen Geburtstag. In der skurilen Welt von Ger-trude Steins Alphabet muß man sich zu helfen wissen, und die Figuren versuchen ihr Bestes und "machen" eben, oder sie "tun so." Nicht immer geht das gut aus; Paul z.b. war sehr wild und verzogen, und er dachte, Zitat, "alles wäre ein Theater das nur für ihn spielte... Dann tat er so als ob ein Mädchen das er kannte vierzig Hunde hätte... Er tat so als ob ihm alle vierzig auf den Fersen wären, sie waren ihm auf den Fersen sie alle vierzig und sie fraßen alles sie alle vierzig und sie bissen jeden sie alle vierzig und Paul tat so also ob sie alle vierzig weiter jeden beißen und fressen würden bis nichts oder nicht ein Ding noch irgendwo leben würde... und dann konnte Paul so tun als ob er als einziger am Leben wäre und als ob jeder Tag sein Geburtstag wäre. Aber während er so tat gingen die vierzig Hunde auf ihn los,... er tat nicht als ob er davonrennen würde er rannte einfach und rannte und rannte und rannte davon und das war sein Ende."

    Es sind solche lustvoll-grausigen Geschichten, die Gertrude Stein erzählt - aber soll man bei ihr vom "Geschichtenerzählen" sprechen? Ihre Texte haben viel von einem Kinderspiel an sich: Ziele werden aus den Augen verloren oder verschieben sich. Anders gesagt: Auch die jetzt vorliegende Prosa gleicht einem Stilleben in der Manier kubistischer Bilder. Die Dinge bleiben nicht an ihrem Platz; jedes Element, hier, Wörter und Satzteile, greift über auf andere, die es umgeben, alles überlappt sich. Logik wird allenfalls vorgetäuscht, oft sind es schräge, "unpassende" Binnenreime, die zum nächsten unerwarteten Bild führen. Wenn etwas erklärt wird, werden die Begründungen demaßen übertrieben aufeinandergetürmt, daß das ganze Sinngebäude zusammenkracht - der Erklärzwang entlarvt sich als einfach absurd.

    Alice B Toklas bemerkte zu dem Buch, es sei zu erwachsen für Kinder und zu kindisch für Erwachsene; wenn das ein direkter Tadel sein soll, möchte man widersprechen. Die Lektüre bereitet einem großes Vergnügen, vielleicht gerade deshalb, weil es hier einen kindlich schönen, grimmiggroßzügigen Größenwahn gibt, den jedes Kind kennt und der viele Erwachsene entzückt. "Alles geht", sagen die Texte, "man kann jedenfalls so tun". Dieser großzügige Gestus hebt sich klar von dem lästigen Geniekult ab, den Gertrude Stein ansonsten um die eigene Person betrieb. Ganz will sie es allerdings auch in "Sachen machen" nicht lassen, unter dem Buchstaben G heißt es dann doch, Zitat, "niemand ist so ein Tunichtgut/ Sich nicht zu erinnern an Gertrud."

    "Sachen machen" fällt nicht aus dem übrigen Werk von Gertrude Stein heraus. Einmal mehr geht es darum, die Logik des Aussagens und den "Sinn" zu unterlaufen; einmal mehr geht es um das selbstversunkene Spiel mit Sprache, um den Versuch, reine Oberflächen herzustellen und sozusagen eine identitätslose Identität zu schaffen. Teilweise lösen die Texte schlichte Lachlust und das damit verbundene Glücksgefühl aus. Die Freude an der Lektüre ist auch dem Übersetzer Klaus Schmirler zu danken. Es muß schwer sein, Gertrude Stein zu übersetzen, obwohl oder gerade weil sie ein scheinbar schlichtes Amerikanisch schreibt. Eine wortwörtliche Übertragung könnte die zahlreichen Binnenreime und Alliterationen nicht berücksichtigen, auch der Fluss der Texte geriete ins Stocken.

    Klaus Schmirler hat sich mehr auf das "Nachdichten" verlegt, und das Ergebnis ist insgesamt bewundernswert, man bewegt sich in den typisch Stein'schen Schleifen. Darüber hinaus ist es eine schöne und mutige Idee des Verlags, das Buch zu illustrieren, mutig deshalb, weil die Selbständigkeit der Texte allenfalls ein ebenbürtiges Gegenüber zulässt. Die Zeichnungen von Nina Pagalies wirken in der Tat so, als seien sie Gertrude Steins Texten gewachsen, sie sind beinahe archaisch schlicht und doch streng formalisiert. Kurz, "Sachen machen" ist ein in jeder Hinsicht schön gemachtes und die eigene Phantasie anregendes Buch.