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Sachsen-Anhalt
Der Fall Oury Jalloh setzt die Politik unter Druck

Es ist einer der umstrittensten Fälle der deutschen Justizgeschichte: Hat sich der Asylbewerber Oury Jalloh 2005 in der Polizeizelle in Dessau selbst angezündet - oder war es Mord? Sachverständige halten eine Vertuschungstat für möglich. Die Aufarbeitung belastet die Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt.

Von Christoph Richter | 07.12.2017
    Gedenken an Oury Jalloh in Dessau: Der Asylbewerber aus Sierra Leone starb in einer Gefängniszelle - die Umstände seines Todes sind noch immer ungeklärt
    Gedenken an Oury Jalloh in Dessau: Der Asylbewerber aus Sierra Leone starb in einer Gefängniszelle - die Umstände seines Todes sind noch immer ungeklärt (Imago)
    Vergangenen Samstag zogen etwa 350 Demonstrierende durch die Hallenser Innenstadt und skandierten laut: Oury Jalloh - das war Mord. In der linken Szene ein altbekannter Ruf. Die Staatsanwaltschaft Halle hatte die Ermittlungen im Todesfall Oury Jalloh eingestellt und wurde dafür deutlich kritisiert.
    Recherchen des WDR bestätigen die Kritik. Dort äußern Sachverständige in einer ungewohnten Deutlichkeit, dass die Tötung von Oury Jalloh als Vertuschungstat sehr wahrscheinlich sei – wahrscheinlicher als die von den Ermittlungsbehörden verfolgte These, dass sich der Asylbewerber selbst angezündet haben soll. So zumindest ist es auf Seite fünf in einem achtseitigen Vermerk zu lesen, der dem Deutschlandfunk vorliegt. Es ist die Rede davon, dass Oury Jalloh möglicherweise getötet wurde, um "Spuren zu verwischen, die den Vorwurf unterlassener Hilfeleistung begründen könnten".
    "Es gab nur die Version: Oury Jalloh hat sich angezündet", unterstreicht Swen Ennulat, ein früherer Dessauer Staatsschützer gegenüber dem WDR. "Jeder, der etwas anderes sagt, wurde geschnitten, wurde schikaniert."
    Rechtsmediziner widerspricht der Staatsanwaltschaft
    Erst kürzlich hatten Sachsen-Anhalts Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad und die leitende Oberstaatsanwältin Heike Geyer im Rechtsausschuss des Magdeburger Landtags dargelegt, dass es für die Mord-These an Oury Jalloh keine Hinweise gebe. Deshalb habe man das Verfahren eingestellt. Dem widerspricht einer der beteiligten Brandgutachter, Rechtsmediziner Gerold Kauert, im WDR:
    "Zwischen den Sachverständigen bestand Einigkeit darüber, dass vom bisherigen Ablauf des Todesgeschehens von Oury Jalloh nicht mehr ausgegangen werden kann. Die Theorie der Selbst-Anzündung erschien nicht mehr Gegenstand des Möglichen."
    Aussagen, die nun in Sachsen-Anhalt für einigen Wirbel sorgen. Deshalb erhalten Abgeordnete in den nächsten Tagen in der Geheimhaltungsstelle Einsicht in die anonymisierten Akten.
    Zur Erinnerung: Der Fall Oury Jalloh ist einer der umstrittensten Fälle in der Justizgeschichte Deutschlands. Bis heute ist die Todesursache ungeklärt. Für Unmut sorgte jüngst, dass die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg das Verfahren dem Dessauer Staatsanwalt Folker Bittman entzogen und nach Halle gegeben hat. Der mögliche Grund: Bittmann hatte die Selbstanzündung Oury Jallohs angezweifelt – wie jetzt bekannt wird.
    Aufarbeitung des Falls belastet die Kenia-Koalition
    Die Aufarbeitung des Falls belastet die schwarz-rot-grüne Kenia-Koalition. Forderungen des grünen Landtagsabgeordneten Sebastian Striegel sorgen für Unmut:
    "Wir sehen es für notwendig an, tatsächlich eine unabhängige Ermittlungsstelle zu schaffen. Für Fälle, wo Menschen im Polizeigewahrsam ums Leben kommen oder im Polizeigewahrsam schwer verletzt werden."
    Er könne sich internationale Ermittler vorstellen, sagt der 36-jährige Striegel noch und fordert auch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. CDU-Landtagsabgeordnete schütteln bei diesem Gedanken energisch den Kopf, sind irgendetwas zwischen erbost und verärgert:
    "Ja, natürlich. Aus meiner Sicht hat dieses Verfahren ein Stück weit das Anrüchige, dass man unterstellt, die zuständigen Ermittlungsbehörden würden nicht korrekt arbeiten", sagt der aus Dessau stammende Landtagsabgeordnete Jens Kolze, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Magdeburger Landtag. Die Grünen könnten sich viel wünschen, aber einen Untersuchungsausschuss oder externe Ermittler werde es mit der CDU niemals geben, so der 50-jährige Kolze weiter:
    "Die Familie von Oury Jalloh hat gegen die Einstellung des Verfahrens Beschwerde eingelegt, sodass wir noch lange nicht am Ende des juristischen Verfahrens sind. Wovor ich nur warnen kann: den Landtag oder den Ausschuss zu einer Ersatzinstanz über die drei Gewalten zu stellen."
    SPD und CDU lehnen externe Ermittler ab
    Damit stellt sich der Verwaltungsbeamte Kolze hinter die Staatsanwaltschaft Halle, die sich unter Druck gesetzt fühlt. Hier gebe es den Versuch der politischen Einflussnahme, heißt es. CDU-Mann Kolze nickt.
    Auch Sachsen-Anhalts Sozialdemokraten halten nichts von externen Ermittlern, betont Fraktionssprecher Martin Krems-Möbbeck:
    "Eine Kommission hat weder für die eine – die gesetzgeberische – noch für die andere – die rechtsprechende – Gewalt eine Bedeutung. Deswegen führt das nicht zur Aufklärung im Fall Oury Jalloh."
    Die Kenia-Koalition, sie gerät in den eigenen Reihen zunehmend unter Druck. Denn die Grünen treiben die Aufarbeitung mit eigenen Vorschlägen forsch voran. Damit isolieren sie sich, finden CDU und SPD. Mit dem Einsatz externer Ermittler, wie sie die Grünen fordern, können sie wenig bis nichts anfangen. Stattdessen wollen die beiden großen Volksparteien erstmal die juristischen Ermittlungen abwarten und halten die Füße still.
    Für Henriette Quade, innenpolitische Sprecherin der Linken im Magdeburger Landtag, ist es nicht verwunderlich, da manche Landtagsabgeordnete in den letzten zwölf Jahren in die Ermittlungen involviert waren:
    "Alle, die seit 2005 im Bereich Polizei und Justiz Verantwortung getragen haben, müssen sich fragen lassen, was sie zur Aufklärung beigetragen haben und was nicht."
    Die Linke fordert einen Sonderermittler
    Die Linken fordern deshalb einen Sonderermittler im Fall Oury Jalloh, analog zum NSU-Prozess. Und sie verlangen den Rücktritt der CDU-Justizministerin Anne-Marie Keding. Weil es nicht sein könne, dass die Staatsanwaltschaft Halle die Ermittlungen einstellt, obwohl neue Erkenntnisse auf dem Tisch liegen. Vor dem Mikrofon wollte sich Keding, Dienstherrin der Staatsanwaltschaften, zu den Vorwürfen nicht äußern - aus Zeitgründen, wie sie sagt.
    Regierungssprecher Matthias Schuppe versichert, CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff vertraue weiterhin der Unabhängigkeit und Arbeit der Justiz. Neben dem Aktenvermerk der Ermittler wird die Akteneinsicht klären müssen, ob es seitens des Justizministeriums politische Einflussnahme gab. Und ob die Ermittlungen an externe Ermittler abgegeben werden müssen, wie es die Grünen und Linken im Magdeburger Landtag fordern.