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Sachsen
Eine Landeskirche sucht die Grenze zwischen konservativ und rechtsextrem

Vor gut einem Jahr ist der sächsische Landesbischof Carsten Rentzing zurückgetreten, unter anderem wegen rechtsradikaler Texte aus seiner Studentenzeit. Ein Nachfolger ist zwar im Amt, aber die Affäre ist nicht abgeschlossen. Eine Spurkommission soll klären, was sagbar ist und was nicht.

Von Jennifer Stange | 09.02.2021
Ein Anhänger der PEGIDA-Bewegung hält auf der Protestkundgebung vor der Frauenkirche in Dresden ein in deutschen Nationalfarben gemaltes Kreuz in der Hand.
Verführerisch christlich verpackte Diskurse - wo verläuft die Grenze zum Rechtsextremen? (AFP/Tobias Schwarz)
Der Leipziger Peterskirchenpfarrer Andreas Dohrn empfängt in seinem Arbeitszimmer. "Wir sitzen hier, Riemannstraße 38, in dem Arbeitszimmer, wo einer unserer Vorgänger hier im Peterspfarramt zur Bekennenden Kirche gehörte und hier im selben Haus wohnte ein Kollege, der hat sich auch mit einer Büste zum Kriegerdenkmal vor der Peterskirche ideologisch durchgesetzt im Machtkampf, der konnte das sehr gut miteinander verknüpfen", erklärt er. Dohrn meint: rechtsnationales Denken und Christentum.
Etwa 150 Meter Luftlinie entfernt, vor dem Hauptportal der Leipziger Petrikirche steht immer noch das Kriegerdenkmal. Ein makelloser, unverwundeter Soldat stirbt in Jesu' Armen. Vom christlichen Standpunkt aus, schrieb Pfarramtsleiter und Oberkirchenrat Andreas Fröhlich 1937, könne es nichts Schöneres als die Geborgenheit des sterbenden Helden bei Jesus geben. An anderer Stelle beschrieb er zwei Jahre zuvor, Deutschland als das Ziel Gottes und mahnte "dem deutschen Volk" zu dienen.

Deutschnational christlich

Dohrn: "Unser Denkfehler war, dass wir geglaubt haben, dass diese Zeiten vorbei sind. Das war die Überraschung im Herbst 2019."
Im Oktober 2019 trat der frühere sächsische Landesbischofs Carsten Rentzing zurück. Er stolperte über eine Reihe von Aufsätzen, die er als Student und Redakteur einer rechtsradikalen Zeitschrift vor 30 Jahren veröffentlicht hatte. Verstört zeigte sich damals ein Sprecher der Kirchenleitung gegenüber der "Tagesschau": "Die Texte, die jetzt an die Öffentlichkeit gelangt sind, haben elitäre, nationalistischen und antidemokratische Aussagen zum Inhalt."
Umgang mit rechten Strömungen
Wie reagieren Kirchen auf rechtsextreme Strömungen? Das hat die Otto-Brenner Stiftung untersucht. Mitautor Wolfgang Schroeder sagte dazu im Dlf: Zwar gebe es eine religiöse Rechte in Deutschland, sie sei jedoch in den Kirchen randständig.
Kurz zuvor war bekannt geworden, dass Rentzing immer noch Mitglied einer schlagenden Verbindung war. Dohrn und andere Leipziger Pfarrer hatten den damaligen Bischof auch deshalb in einer Petition zur Stellungnahme und Distanzierung von der Neuen Rechten aufgefordert, weil Rentzing 2013 einen Vortrag in der "Bibliothek des Konservativismus" in Berlin gehalten haben soll. Die Einrichtung gilt als Treffpunkt der Neuen Rechten.
Ihr Leiter Wolfgang Fenske bekräftigt an anderer Stelle gegenüber dem Deutschlandfunk, man habe jedenfalls keine Berührungsängste. Der promovierte Theologe ist langjähriger Weggefährte Rentzings, war ebenfalls Redakteur der rechten Zeitschrift, in der besagte Texte erschienen und dabei, als Rentzing 2015 feierlich ins Amt des sächsischen Bischofs eingeführt wurde. Äußern möchte er sich jetzt zur Causa Rentzing nicht.
Dazu Pfarrer Dohrn: "Das ist wahrscheinlich die größte Krise, die die sächsische Landeskirche so mindestens seit 1990 erlebt hat." Eine Krise - für Kritiker wie Dohrn, aber auch für die Mitstreiter des ehemaligen Bischofs. Eine anonyme Petition mit mehr als zehnmal so vielen Unterzeichnern sprach von einer "Schmutzkampagne" und fordert, dass Renzing als "letzter verbliebene konservative Bischof in der Evangelischen Kirche in Deutschlands" im Amt bleiben müsse. Auch Rentzing selbst stellte sich bei seiner Verabschiedung als Opfer dar. Die evangelisch-lutherische Landeskirche Sachsens sieht infolge der Ereignisse Klärungsbedarf.

"Spurgruppe" fordert politische Einmischung

Oberlandeskirchenrat Thilo Daniel sagt: "Wie sie sich zu Begriffen, Einstellungen verhält, die im gesellschaftlichen Kontext unter wertkonservativ und rechtsextrem firmieren. Wie positioniert sie sich da nach diesen Ereignissen und hat sie als Landeskirche da vorher in der Positionierung an Trennschärfe, an Klarheit und Beschäftigung mit dem Thema fehlen lassen?"
Thilo Daniel leitet die vierköpfige "Spurgruppe". Sie wurde beauftragt von der Landessynode um zu diskutieren und zu klären, was wertkonservatives Christsein von Rechtsextremismus unterscheidet. Neben einem Religionssoziologen bilden Ihre Mitglieder von liberal bis evangelikal das weite Spektrum regionaler Frömmigkeiten ab. Wohl deshalb steht am Beginn des mittlerweile einjährigen Diskussionsprozesses die theologische Selbstvergewisserung.
Evangelische Kirche in Sachsen - Neuer Bischof, alte Gräben
Schnelle Wahl, klare Mehrheit: Tobias Bilz, Sachsens neuer Landesbischof, hat einen klaren Auftrag bekommen. Er soll die Spaltung überwinden, die sein Vorgänger Carsten Rentzing hinterlassen hat.
Daniel: "Um einen Begriff einzubringen, der dabei für unsere Landeskirche sehr prägend ist, den Bischof Hempel in den Achtziger Jahren geprägt hat: Die Kirche hat ein begrenztes politisches Mandat, sie ist gefordert ihre Stimme zu erheben, so hat er das selber mal formuliert und hat mit dem Mandatsbegriff einen aus der Theologie Diedrich Bonhoeffers aufgegriffen."
Soll heißen: Ein kirchliches Wort in politischen Fragen kann durchaus gefordert sein. In der sächsischen Landeskirche keine Selbstverständlichkeit. Seit Jahren steht sie in der Kritik, keine klare Haltung beispielsweise zu Pegida oder zur AfD zu haben. In einem ersten Schritt hat die Spurgruppe die politische Einmischung theologisch zur Aufgabe erklärt.
In einem zweiten Schritt sucht sie nach einer gemeinsamen Basis, auf der dieses Mandat stehen könnte. Oberkirchenrat Daniel: "Das ist jetzt eines der Zwischenergebnisse: Für uns ist es der Begriff der Verfassungstreue. Es ist die Frage danach, befindet sich eine Auffassung fundamental und kategorial jenseits des Wertekonsenses, den die Verfassung abbildet."

Konservativ oder extremistisch

Dann nämlich, gelte eine Position als extremistisch. Im Amtsdeutsch ist "extremistisch" ein Eigenschaftswort für Extremismus, ein Konzept das vor allem bei Sicherheitsbehörden eine wichtige Rolle spielt. Wörtlich heißt extremistisch soviel wie: aus dem Rahmen fallen.
Es gilt, die Grenze zwischen konservativ und rechtsextrem zu bestimmen. Das Politische soll entlang der Sächsischen Verfassung kartiert werden.
Daniel: "Die Verfassung gibt sich eine konservative Präambel. Wenn man konservativ so versteht, dass sie sich an die Tradition des Freistaates anbindet und fordert zum Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung auf und nimmt damit kirchliche Anliegen auf. Das ist konservativ und gleichzeitig die Forderung sich in unsere Gesellschaft einzubringen."
Die Spurgruppe argumentiert, Verfassung und christlichen Glaubensgrundsätze seien kompatibel, Loyalität zu Staat und Gesellschaft deshalb möglich und vorgeboten. Die Klarstellung des an sich Selbstverständlichen durch die Spurgruppe verdeutlicht, mit welchen Anfechtungen die sächsische Landeskirche konfrontiert ist. Die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", kurz Pegida, sind das beste Beispiel dafür, wie verführerisch christlich verpackte, rechtsradikale bis -extreme Diskurse auch für Gläubige sein können.
Von klarer Ablehnung bis hin zur Verteidigung gab es bisher auch aus hohen Kirchenkreisen alles. Ebenso spaltet der Umgang mit der AfD die sächsischen Gläubigen. Und: Längst berufen sich rechte Bewegungen auch auf kirchlichen Widerstand. So wie die Kirche in der DDR Widerstand leistete, soll sie heute Widerstand gegen einen angeblich linken Zeitgeist leisten. So wie Bonhoeffer gegen den Nationalsozialismus kämpfte, sollen Christen sich erheben gegen die vermeintliche "Merkel-Diktatur". Ansonsten gelten sie und ihre Kirche eben als Teil des Establishments in einem unchristlichen Staat.

"Sakrale Aufladung des Nationalismus"

"Interessant ist eben für mich als Theologe, dass dieser politische Bereich der Neuen Rechten auch ganz viel religiöse Impulse hat, sich manchmal richtig theologisch, laientheologisch ausformuliert", sagt Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der EKD. Er hat sich im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus mit dem protestantisch gefärbten Nationalkonservatismus als Teil der so genannten Neuen Rechten beschäftigt. "Die suchen empörungsträchtige Einzelthemen, an denen man grundsätzlich infrage stellen kann Demokratisierung und Liberalisierung - das ist dann je nach persönlicher Einstellung, mal Homosexualität, bei der man in die Luft geht, oder die Frage der Abtreibung, oder die Flüchtlingspolitik.
Interessant finde ich dann aber doch, dass das Theologische, oder das Religiöse ganz oft dem Nationalen untergeordnet ist. Wenn man genauer guckt, was meint ihr denn in eurer Beschwörung des guten alten Christentums, oder des christlichen Abendlandes, dann ist es weniger eine Frömmigkeit, die sich mir zeigt, aber ganz oft eine sakrale Aufladung des Nationalismus."
Die Neue Rechte beschreibt sich gern selbst als konservativ bzw. wertkonservativ. Begriffe die auch die Spurgruppe für die sächsische Landeskirche als positive Bezugspunkte erhalten möchte. Bisher hat sie noch nicht herausgefunden, wo die Grenze zwischen christlich-konservativ, nationalistisch, rechtsradikal und rechtsextrem verläuft.