Heuer: Wieso gibt es gerade in Sachsen so viele NPD-Wähler?
Rasch: Einerseits ist die NPD tatsächlich in Sachsen stark vertreten, allerdings kann man das Ganze nicht verstehen, ohne die konkrete Situation zu deuten und diese war vor allen Dingen dadurch geprägt, dass wir unsere landespolitische Situation im Wahlkampf kaum vermitteln konnten, gerade die erfolgreiche Wirtschaftspolitik, die sich ja auch erfolgreich am Arbeitsmarkt widerspiegelt ist zwar Realität, und diese Realität ist kaum zur Kenntnis genommen worden. Insbesondere sind Unsicherheiten diskutiert worden, die quasi durch die Hartz IV-Praxis sich abzeichnen und Hartz IV ist da letzten Endes wie ein letzter Tropfen auf einem prall gefüllten Wasserfass gewesen, einem Fass der Verunsicherung der Menschen, der Sorge um die Zukunft. Es war auch schwierig, den Menschen zu vermitteln, dass wir im Grundsatz hier in Sachsen gesagt haben, es ist richtig, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzuführen, das ist unter verschiedenerlei Gesichtspunkten richtig, um Missbrauch vorzubeugen, aber auch, um Verwaltungsaufwand zu verringern und eindeutige Ansprech- und Betreuungsstrukturen für die Betroffenen zu haben - das sind also wesentliche Vorteile. Aber wie dann Hartz IV umgesetzt worden ist, insbesondere unter totalem Verzicht auf Impulse im ersten Arbeitsmarkt, das ist was, womit wir nicht zurechtkommen und deshalb haben wir dann im Bundesrat auch diese Praxis von Hartz IV abgelehnt.
Heuer: Um bei der NPD zu bleiben: sind also diese 9,2 Prozent alles Protestwähler gewesen?
Rasch: Es gibt einen kleinen harten Kern, den wir etwa bei 1,5 Prozent einschätzen, der wesentliche Teil ist tatsächlich Protestpotential, was sich dadurch aufgebaut hat, dass wir, wie ich bereits beschrieb, kaum in der Lage waren, überhaupt landespolitische Sachverhalte oder Ergebnisse der letzten 14 Aufbaujahre zu vermitteln und im Wesentlichen ist tatsächlich dieses Wählerpotential motiviert worden von dieser massiven Verunsicherung, die ja vor allem dadurch entstanden ist, dass zu Hartz IV die Antragsformulare in Umlauf waren, noch bevor die Bundesregierung überhaupt informiert hatte, was mit diesem Reformprojekt überhaupt beabsichtigt ist.
Heuer: Nun sagen aber viele Beobachter, auch renommierte Forscher, die NPD werde in Sachsen nicht nur aus Protest gewählt sondern sie sei in manchen Landstrichen als normale politische Gruppierung, also mitten in der Gesellschaft, angekommen. Stimmt das nicht?
Rasch: Es ist tatsächlich so, dass wir in einigen Regionen bereits bei der Kommunalwahl deutliche Ergebnisse der NPD hatten, das ist zutreffend. Allerdings ist eins auch klar: seit Beginn der 90er Jahre führen wir hier auch eine sehr entschlossene Auseinandersetzung mit der NPD, insbesondere eben in all ihren extremistischen Äußerungen. Wir haben bereits 1991 die "Soko REX" im polizeilichen Bereich gegründet, die intensiv, gerade dort, wo der Rechtsextremismus seine gewalttätigen Blüten, insbesondere Anfang der 90er Jahre getrieben hat, denen hinterher waren, auch nahezu alle Fälle immer wieder aufgeklärt haben. Wir haben damit gerade die Gewaltneigung deutlich zurückdrängen können. Später dann, zu Beginn dieses Jahrhunderts, haben wir dann vor allen Dingen die "Skinheads Sächsische Schweiz" verboten, das war eine Organisation, die auch Bindungen hin zur NPD hat, es ist auch jetzt vor Gericht eindeutig gewesen und stabil geblieben, dass wir diese SSS als kriminelle Vereinigung haben bezeichnen können und entsprechend das Ganze auch vor Gericht zu Urteilen geführt hat. Wir kämpfen also sehr deutlich gegen diese Entwicklungen, aber hier war vor allen Dingen durch die Diskussionslage, wie sie im Lande war, offensichtlich ein ganz massiver Impuls, Wähler zu mobilisieren.
Heuer: Sie haben das Verbot der "Skinheads Sachsische Schweiz" angesprochen und auch gesagt, dass diese mit der NPD kooperiert haben. Uwe Leichsenring von der NPD hat vor Jahren schon öffentlich gesagt: "natürlich sind wir verfassungsfeindlich, wir wollen eine andere Gesellschaftsordnung". Haben Sie gegen den Mann damals etwas unternommen?
Rasch: Es ist richtig, dass wir grundsätzlich dort, wo strafrechtlich Relevantes geschieht, das auch entsprechend ahnden und die andere Seite der Medaille ist die, dass wir eben nicht zuletzt mit dem Verfassungsschutz sehr nahe dran sind an der NPD und den Strukturen, in die sie hinein verwoben sind und dort auch intensiv beobachten, was in dieser Szene vorgeht.
Heuer: Dann beobachten Sie sicher auch, dass die NPD eine sehr erfolgreiche Jugendarbeit macht. Die Bundesregierung hat das Aktionsprogramm Civitas gegen Rechtsextremismus aufgelegt und im Rahmen dieses Programms gibt es die Stiftung Demokratische Jugend, die macht aufklärerische Jugendarbeit, unter anderem um zu verhindern, dass Jugendliche den Rattenfängern in die Hände fallen. Sachsen hat sich an diesem Programm im Gegensatz zu anderen Ländern mit keinem Pfennig beteiligt. War das ein Fehler?
Rasch: Wir unterstützen eine ganze Reihe von Programmen, insbesondere gibt es letzten Endes vor Ort stattfindende und in der Öffentlichkeit ja fast unscheinbare, aber dafür umso wirkungsvollere Aussteigermechanismen, wo also kleine Gruppen von Menschen regelrecht einzelne Betroffene aus der rechtsextremistischen Szene herauslösen, die quasi bekehren, wie andere Leute Alkoholiker bekehren und mit ihnen dann eine Aufklärungsarbeit, insbesondere in Schulen, Berufsschulen und dergleichen, leisten. Ich denke, da wird im Detail viel gute Einzelarbeit geleistet, die vor allen Dingen von bürgerschaftlichen Engagement getragen ist und dann von uns auch unterstützt wird. Zu Civitas muss man dazusagen: Das hat der Bund kurzfristig aus der Taufe gehoben und zieht sich genauso kurzfristig wieder draus zurück. Ich glaube, hier muss einfach der Bund seinerseits überlegen, ob es denn wirklich gerechtfertigt ist, so schnell aus einem Programm, was man einmal aufgelegt hat, wieder auszusteigen.
Heuer: Aber auf die Erfolge der Aufklärungs- und Jugendarbeit müssen wir noch warten, denn die NPD verfängt ja offenbar besonders bei jungen und Erstwählen.
Rasch: So ist es, so dass wir auch gerade den präventiven Aspekt sehr deutlich im Blick haben. Ich habe gerade jetzt zu Beginn des Monats September entschieden, dass wir insgesamt die präventive Arbeit in ihrem Ansatz verdoppeln und dass wir eine integrative Prävention betreiben und da gehört eben neben Gewaltprävention und anderen Präventionsaufgaben im kriminellen Bereich auch die Prävention in Richtung Extremismus dazu, die wir verstärkt betreiben wollen, wo wir intensiver auch mit den Schulen zusammenarbeiten wollen und damit den gesamtgesellschaftlichen Ansatz in der Prävention zum Tragen bringen wollen.
Heuer: Wie wollen Sie künftig mit der NPD umgehen? Wir haben alle die Bilder am Sonntag gesehen, dass Vertreter anderer Parteien eine Runde verlassen haben, in der ein NPD-Spitzenkandidat das Wort ergriff. Ist das der richtige Weg, öffentliche Gesprächsverweigerung?
Rasch: Ich denke, man muss bewerten, in welcher Form das Gespräch geführt wird. Die NPD oder ihre Spitzenvertreter haben ja in den letzten Wochen und Monaten quasi Kreide gefressen, am Wahlabend wurde es zum ersten mal deutlich, wie schnell das Ganze wieder entgleisen kann in einen Jargon, der deutlich an nazistische Haltungen und Äußerungen erinnert. Ich denke, damit wird man sich deutlich auseinandersetzen müssen und was über die Hutschnur geht, wird man sich auch nicht unbedingt anhören müssen, wir werden aber im parlamentarischen Alltag gezwungen sein, strikt formal, sauber, ordentlich und konsequent die Geschäftsordnung einzuhalten. Wir werden vor allem politisch die Auseinandersetzung mit den Inhalten der NPD suchen müssen und wir werden auch gemeinsam als gesamte Gesellschaft die Erfahrung machen, dass das passiert, was auch passiert ist, als Rechtsextremisten in anderen Landesparlamenten, auch in westlichen Bundesländern saßen. Die werden sich relativ schnell entzaubern.