Freitag, 19. April 2024

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Saddam Hussein kommt vor ein irakisches Gericht

Dirk Müller: Kaum ist der Irak formell zumindest wieder souverän, steht er gleich vor politischen wie juristischen Herkulesaufgaben, die auch für einen stabileren Staat nur schwer zu stemmen sind. Die Interimsregierung ist mit einem ständigen, blutigen Aufstand konfrontiert und die Justiz hat seit gestern den früheren Präsidenten Saddam Hussein und elf seiner ranghöchsten Gefolgsleute in Gewahrsam. Sie bereitet nun als eine Art der ersten Amtshandlungen gleich eine Art Jahrhundertprozess vor, in dem 30 Tonnen Dokumente und andere Beweisdokumente aufzuarbeiten sind und in dem jeder Iraker in den Zeugenstand gerufen werden könnte. Heute will das Sondertribunal auch schon die Anklage bekannt geben. Am Telefon sind wir nun verbunden mit Doktor Claus Kreß, Völkerstrafrechtler an der Universität Köln. Guten Morgen.

Moderation: Dirk Müller | 01.07.2004
    Claus Kreß: Guten Morgen.

    Müller: Herr Kreß, wird das ein politischer Schauprozess erster Klasse?

    Kreß: Was die rechtlichen Rahmenbedingungen anbetrifft, sind alle Bemühungen darauf gerichtet, eben das zu vermeiden, sondern einen rechtsstaatlichen Prozess mit allen wesentlichen Garantien des Beschuldigten, der Beschuldigten, der Angeklagten vorzusehen. Also die Intention der Verantwortlichen ist sicher, einen politischen Schauprozess zu vermeiden.

    Müller: Wer trägt diese Bemühungen vor, beziehungsweise wer ist da involviert?

    Kreß: Nun, Sie wissen, dass die Bemühungen zur Einrichtung dieses Tribunals noch zurückgehen auf die amerikanische Besatzungszeit. Es ist sicherlich nicht falsch, auch einen sehr starken amerikanischen Einfluss insbesondere hinter der Entscheidung zu vermuten, diesen Prozess als einen nationalen und nicht einen internationalen Prozess durchzuführen. Sie haben ja in der jüngeren Vergangenheit eine ganze Reihe von Beispielen für internationale oder internationalisierte Prozesse, und die amerikanische Intention war es - und das stimmt mit ihrer gegenwärtigen Haltung gegenüber der internationalen Strafjustiz überein -, den Prozess in die irakischen Hände zu legen. Von daher ist zunächst einmal ein starker amerikanischer Einfluss gegeben, jetzt allerdings sind die Dinge jedenfalls formell in den Händen des Iraks, es ist auch dafür Vorsorge getroffen, dass das Personal ausschließlich irakisch rekrutiert wird und man wird dann genau zu verfolgen haben, wie stark mittelbar von amerikanischer Seite über die im Statut des Gerichtshofs vorgesehenen Berater Einfluss ausgeübt werden wird.

    Müller: Herr Kreß, was spricht dafür, dass es unabhängige irakische Richter gibt?

    Kreß: Man hat auch dort Vorsorge getroffen, etwa dass man den Kreis der irakischen Richter dadurch begrenzt, dass Angehörige des früheren Baathregimes kategorisch ausgeschlossen sind. Die formellen Voraussetzungen liegen auch hier vor, faktisch ist nun die ganz entscheidende Herausforderung die - und Sie hatten das eben bereits angesprochen -, nach dem großen Bruch, nach dem Übergang jetzt eine hinreichende Zahl nicht nur unabhängiger sondern eben auch qualifizierter Juristen zu finden. Man versucht es eben durch diese eigenartige Mischung, die aus meiner Sicht ohne Präzedenzfall ist, auf der einen Seite irakisches Personal auf allen Ebenen des Gerichts zu rekrutieren, ihnen dann aber auch auf allen Ebenen eine internationale Beraterschaft beizuordnen. Das ist ein Modell, dass von den anderen Gerichten, die wir aus der jungen Vergangenheit kennen, abweicht. Man wird sehen, ob das zum Erfolg führt.

    Müller: Wenn wir bei der rechtlichen Komponente bleiben, die vermeintlichen Verteidiger Husseins haben gesagt, es ist ein illegales Gericht, es sind illegale Richter. Haben die in gewisser Weise Recht?

    Kreß: Diesen Einwand halte ich für schwer zu begründen. Es ist dem Staat Irak zunächst einmal völkerrechtlich sicherlich nicht das Recht zu bestreiten, die eigene juristische Vergangenheit aufzubereiten. Insofern sieht sich dieses nationale Tribunal eigentlich weniger grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt, als sie in früheren Zeiten etwa gegen das Jugoslawientribunal vorgebracht worden sind. Die Straftatbestände, nach denen judiziert werden soll, sind im Kern anerkannte Straftatbestände des Völkerrechts, des Völkergewohnheitsrechts, nach denen etwa auch das Jugoslawientribunal und der ständige Internationale Strafgerichtshof richten wird. Hinzu kommen drei Straftatbestände, die dem alten, geltenden irakischen Recht entnommen worden sind. Von daher ist die Zuständigkeitsbasis für diesen Gerichtshof aus meiner Sicht bedenkensfrei.

    Müller: Sie haben also offenbar ein gewisses Vertrauen jedenfalls in die irakische Justiz. Inwieweit hat Sie das geschockt oder erschreckt, dass jetzt die Todesstrafe eingeführt worden ist oder eingeführt werden soll?

    Kreß: Das ist aus völkerrechtspolitischer Sicht ganz sicherlich nicht zu begrüßen, und es läuft auch gegen den Trend, den wir in der jüngeren Vergangenheit bei den internationalen Strafgerichtshöfen erreicht haben. Sie wissen, dass etwa bei den Verhandlungen zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshof nach durchaus hartem Kampf erreicht worden ist, die Todesstrafe als eine mögliche Strafart auszuschließen. Es wäre natürlich sehr zu wünschen gewesen, dass das sich im Fall Irak eben so verhält. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass die Todesstrafe eben als eine Sanktion weltweit noch nicht kategorisch abgeschafft ist. Es wird auch schwer sein zu argumentieren, dass es nach Völkergewohnheitsrecht ein hartes Verbot der Todesstrafe gibt. Es gibt einfach Nationalstaaten, die diese Sanktion bedauerlicherweise noch praktizieren. Offenbar nach dem alten Recht gehört der Irak zu diesen Staaten und sieht dann auch keine Notwendigkeit für den Fall dieses mit besonders schweren Vorwürfen konfrontierten Beschuldigten von dieser Praxis abzugehen.