Montag, 13. Mai 2024

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Sager fordert mehr Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bildungsbereich

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Krista Sager, hat die Einigung auf eine Föderalismusreform grundsätzlich begrüßt, Sie kritisierte aber die Ergebnisse im Bereich der Bildung. Der Bund dürfe hier nicht vollkommen ausgenommen werden. Schließlich seien dessen Investitionen nötig, um die Qualität der Schulen und Hochschulen zu steigern. Solche Fehlentscheidungen müssten im parlamentarischen Verfahren korrigiert werden, forderte Sager.

Moderation: Jochen Spengler | 17.02.2006
    Jochen Spengler: Am Telefon nun die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Krista Sager. Frau Sager, könnte man die Haltung der Grünen so zusammenfassen: Deutschland braucht eine Föderalismusreform, aber nicht so eine?

    Krista Sager: Das ist in etwa richtig, ja wir brauchen sicher eine Föderalismusreform, wir müssen raus aus der blockierten Republik. Wir haben ja erlebt, wie auch parteipolitisch motivierte Blockaden im Bundesrat die Gesetzgebung aufgehalten hat, wie teilweise auch die Finanzsituationen von Bund und Ländern darunter gelitten haben. Aber natürlich ist die Verfassung ein Rahmen, der dann uns auch vorbereiten muss, die Herausforderung der Zukunft meistern zu können, und es nicht der Ort, wo ein Geschacher stattfinden darf, wie in einer Tarifverhandlung oder gar auf einem traditionellen Pferdemarkt.

    Spengler: Aber das wichtigste Ziel einer Föderalismusreform ist auch nach Ansicht der Grünen das Ende einer Gesetzesblockaden des Bundes durch die Länder.

    Sager: Das war uns natürlich in der Tat sehr, sehr wichtig, dass wir die Anzahl der zustimmungspflichtigen Gesetze im Bundesrat reduzieren müssen. Das hat derart zugenommen in den vergangenen Jahrzehnten, dass das wirklich schädlich ist für die Handlungsfähigkeit aller politischen Ebenen.

    Spengler: Gestehen Sie denn zu, dass, wenn jetzt es wirklich so sein sollte, dass von 60 Prozent Gesetzen, die die Bundesländer blockieren, künftig nur noch ein Drittel blockiert werden kann, dass das ein erheblicher Fortschritt wäre?

    Sager: Wenn wir das tatsächlich erreichen würden, wäre das ein Fortschritt. Es gibt da allerdings auch Unsicherheiten, weil es sind auch wieder neue Zustimmungsgründe hineingekommen, auch Gründe, die nachvollziehbar sind, dass die Länder zum Beispiel sagen, sie wollen nicht mit Gesetzen überhäuft werden, aus denen ihnen dann Kosten entstehen, ohne dass sie da noch ein Wort mitreden können. Das finde ich auch legitim. Aber ob die Regelung, die dann getroffen worden ist, tatsächlich dazu führt, dass hintenrum nicht so viele Gesetze wieder zustimmungspflichtig werden, dass wir dann doch nicht 35 bis 40 Prozent erreichen, das ist auch nicht ganz abgesichert gewesen.

    Spengler: Wieso ist Ihnen der Preis für ein Ende der Gesetzesblockaden insgesamt zu hoch?

    Sager: Weil es einige Bereiche gibt, wo ich sage, da geht es um Schlüsselbereiche unserer gemeinsamen Zukunft und da können wir nicht einfach sagen, da zahlen wir dann den Preis und gehen dann sozusagen in ein Geschäft von Geben und Nehmen, sondern da muss die Verfassung einfach die richtige Weichenstellung vornehmen.

    Spengler: Welchen Bereich meinen Sie denn?

    Sager: Ich meine zum Beispiel auch ganz besonders den Bildungsbereich. Hier ist es ja nicht so, dass der Bund den Ländern Rechte wegnehmen wollte, im Gegenteil, die Länder erhalten hier jetzt auch die Rechte, die Gesetze für den Hochschulbereich zu machen, aber gleichzeitig wollen die Länder dafür den Bund vollkommen vor die Tür stellen, wenn es um Mitfinanzierungsmöglichkeiten geht und um Kooperationsmöglichkeiten im Schul- und Hochschulbereich.

    Spengler: Was wäre denn daran so schlimm?

    Sager: Wir brauchen in Wirklichkeit im Schulbereich und im Hochschulbereich in den nächsten Jahren mehr gemeinsame Anstrengungen von Bund und Ländern, weil es bestimmte Aufgaben gibt, die ganz, ganz vordringlich sind und die die Länder und die Bildungseinrichtungen alleine nicht werden stemmen können. Ich nenne zum Beispiel das Ganztagsschulprogramm. Wenn diese Verfassungsänderung in Kraft tritt, dann könnte der Bund so etwas wie das Ganztagsschulprogramm in Zukunft nie wieder machen.

    Spengler: Aber man hat doch gesehen, dass dieses Ganztagsschulprogramm von den einzelnen Ländern gar nicht richtig angenommen wird.

    Sager: Das ist von den meisten Ländern angenommen worden. Es war aber sogar so, dass viele Landespolitiker sich darüber beschwert haben, dass der Bund nur in der Lage war, ihnen Investitionsmittel zu geben, also Mittel für Baumaßnahmen, und dass der Bund nicht in der Lage war, ihnen auch Personalmittel zu geben. Jetzt will man dem Bund sogar noch verbieten, Investitionsmittel zu geben. In anderen föderativen Systemen, selbst so in einem großen, großen föderativen System wie den USA, ist es nicht so, dass die Bundesebene für Bildung und Hochschule nichts machen darf, sondern da ist es so, dass die Bildungseinrichtungen, die Hochschulen und die Schulen, sich um Bundesprogramme in Wettbewerbsverfahren, in Anreizprogrammen direkt bewerben dürfen. Das wäre auch ein Beitrag dafür, die Bildungseinrichtungen selber zu stärker und sie auch autonomer zu machen.

    Spengler: Es heißt von den Kritiker immer, dazu zähle ich Sie jetzt auch, dass sich die Eltern in der Schulpolitik mehr Einheitlichkeit wünschen, also dass, wenn sie zum Beispiel mal von einem Bundeslandesland ins andere ziehen, dass das nicht so schwierig ist, was die unterschiedlichen Schulsysteme angeht. Stimmt das wirklich, dass sich die Eltern das wünschen, weil meisten ziehen ja gar nicht um? Wünschen sich die Eltern nicht viel mehr bessere Schulen als wir sie heute haben?

    Sager: Die Eltern wünschen sich beides. Viele Eltern beschweren sich ja über die Mobilitätshindernisse und sie wünschen sich bessere Schulen. Ich sage aber auch ganz ehrlich, die Mobilitätshindernisse zu beseitigen, das ist in der Tat aus meiner Sicht die Aufgabe der Länder und die Aufgabe der Kultusminister und da müssen die ihre Hausaufgaben machen. Die Vorstellung, dass der Bund den Ländern die Gesetzgebung über die Schulen wegnimmt, das ist angesichts der Entwicklung unseres föderalen Systems nicht realistisch. Das ist auch nicht gewollt gewesen, weil da haben wir eine eigene Tradition, eine eigene Geschichte, über die man sich einfach hinwegsetzen kann. Aber dass der Bund zum Beispiel auch einen Beitrag dazu leisten kann, Programme mitzugestalten, wo wir mehr Qualität rein bekommen in Schulen und Hochschulen - das gibt es in anderen föderalen Systemen. Warum soll das in Deutschland verboten sein? Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen, dass wir auch zum Beispiel mehr Studienplätze anbieten müssen für wachsende Studienbewerberzahlen. Dieser Aufgabe wird das nicht gerecht.

    Spengler: Sie wollen schon, dass der Bund noch einfach weiter mitfinanziert, dass er weiter Anregung geben kann. Sie haben aber nichts gegen die Konkurrenz im Schulbereich und bei den Hochschulen, auch die Länderkonkurrenz, die durch diese Föderalismusreform gestärkt wird?

    Sager: Es gibt bestimmte Traditionen des föderalen Systems in Deutschland, die kann man nicht einfach beseitigen. Davon bin ich überzeugt, ob die sich immer bewähren, da sind die Länder auch gefragt, die Menschen davon zu überzeugen, dass es bei ihnen schon in den richtigen Händen ist. Wenn man sich die Pisa-Vergleiche anguckt, das ist den Ländern in den letzten Jahren nicht so richtig gelungen.

    Spengler: Frau Sager, , wir müssen jetzt zum Schluss kommen, ich wollte Sie ganz kurz fragen: Alles in allem lieber keine Föderalismusreform als eine solche?

    Sager: Ich bin fest davon überzeugt, dass es richtig ist, dass in einem parlamentarisch-demokratischen System es auch möglich sein muss, erkennbare falsche Weichenstellungen und falsche Entscheidungen in einem parlamentarischen Verfahren unter Einbeziehung von Sachverständigen, von Bildungs- und Wissenschaftsorganisationen auch noch mal grade zu bügeln und dann zu einer vernünftigen Reform zu kommen.