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Saison der Experimente in Athen

Die Finanzen sind der Dreh- und Angelpunkt aller Diskussionen in Griechenland. Auch in der Theaterwelt. Doch es gibt sie, die kleinen Orte, an denen die Kunst vom Geld entkoppelt ist. Die jungen Theatermacher der "Mavili-Bewegung" etwa haben ein leer stehendes Theater besetzt und damit ein Forum für Experimente geschaffen.

Von Alkyone Karamanolis | 05.01.2012
    Es heißt "Einfaches Theater", es ist ein kleines Theater, aber es ist seit gut 30 Jahren ein Referenzpunkt in der Athener Theaterlandschaft. Dennoch steht sein Betrieb auf dem Spiel. 2010 hat das griechische Kulturministerium erstmals keine Subventionen vergeben. Und was die Subventionen für 2011 angeht, herrscht lautes Schweigen, wie Theaterleiter Antonis Antypas bemerkt. 60.000 Euro hat er aus eigener Tasche vorgeschossen, um die Bühne heuer zu bespielen. Vielleicht sei dies seine letzte Theatersaison.

    "Ich stelle mir natürlich die Frage: Warum überhaupt noch Theater? Warum halte ich den Posten? Die finanzielle Unsicherheit ist sehr belastend. Sehr ermattend. Andererseits ist das auch eine Chance, dass wir in uns hineinhorchen und unsere Werte neu überdenken. Dass wir solidarischer werden, menschlicher. Dass wir den Wert der Worte Kultur, Liebe, Kunst neu definieren."

    Zunächst aber die Finanzen. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt aller Diskussionen in Griechenland. Es ist die Theatersaison der kleinen Produktionen. Manche davon sind ganz klein: Derzeit werden auf 27 Athener Bühnen Monologe aufgeführt. Und: Es ist die Saison der Experimente.

    Die "Mavili-Bewegung", ein Think Tank junger Theatermacher, hat vor einigen Wochen ein leer stehendes Theater besetzt und wieder zum Leben erweckt - und damit ein Forum für experimentelles Theater geschaffen. Das Kassenhäuschen ist unbesetzt, der Eintritt ist frei. Ein Ort, an dem die Kunst vom Geld entkoppelt ist. Es war der richtige Zeitpunkt für diese Aktion, sagt eine der Initiatorinnen, Gkigki Argyropoulou:

    "Es war auch der Versuch, diesem Gefühl des Verfalls und des Untergangs etwas entgegen zu setzen. Zu sagen: Doch, wir können etwas tun. Und in Athen fehlte so ein Ort. Wir haben viele Theater, aber wir haben keine Orte, wo ein Dialog, wo Experimente stattfinden können, frei vom finanziellen Aspekt."

    Die Krise, fährt die Theatermacherin fort, schaffe das Bedürfnis, sich zusammen zu schließen. Aus diesem Bedürfnis heraus ist vergangenes Jahr auch die "Mavili-Bewegung" selbst entstanden, die heute den künstlerischen Dialog in Athen kräftig mitprägt.

    "Gkigki im Namen aller", hatte die Theatermacherin ihre Antwortmail auf die Interviewanfrage unterschrieben. Ein eher seltener Ansatz in einer Gesellschaft, die vielfach von Profilierungssucht gekennzeichnet ist.

    "Es hat keinen Sinn, alleine zu kämpfen. Also suchen wir nach neuen Wegen, nach gemeinschaftlichen Ansätzen. Das ist sehr intensiv zur Zeit, und wir genießen das. Auch hier im Theater. Die Fragen, was werde ich tun, was wird mein nächster Schritt sein, was tut meiner Karriere gut, sind in den Hintergrund gerückt, und wir haben das Bedürfnis, den nächsten Schritt gemeinsam zu gehen."

    Die Filopappou-Gruppe, ein Künstlerkollektiv, das seit über zehn Jahren Projekte im öffentlichen Raum organisiert, folgt diesem Gedanken schon lange. Für sie als bildende Künstler waren die Arbeitsbedingungen schon vor der Krise schwierig, sagen sie. Finanziell sei es also nur ein gradueller Unterschied.

    Dennoch lässt die Krise auch sie nicht unbeeinflusst. Thodoris Zafeiropoulos beschäftigt derzeit der Gedanke der Wiederverwertbarkeit. Selbstverständlich aus finanziellen Gründen, aber nicht nur. Es gehe auch um eine Neubestimmung der Werte. Dass die Finanzkrise in Griechenland vor allem eine Krise der Werte offenbart hat, darüber sind sich nicht nur die Intellektuellen einig.

    Oder, wie es Harikleia Hari, ein weiteres Mitglied des Filopappou-Kollektivs ausdrückt: Die Krise sei für die griechische Gesellschaft ein langsames Erwachen.

    "Wir vermeiden es als Gesellschaft, Verantwortung zu übernehmen. Die griechische Gesellschaft ist eine sehr kindliche Gesellschaft, ist mein Eindruck. Manchmal ist das nett und leichtfüßig, aber es bringt auch viel Verwirrung hervor. Die Krise hat uns in die Wirklichkeit katapultiert. Lange Jahre haben wir in einer Welt des geborgten Reichtums gelebt. Eine Realität anzuerkennen ist aber immer hilfreicher als in einer Fantasiewelt zu leben."