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Salafisten-Hochburg
Kataloniens verlorene Söhne

Mit der Touristenhochburg Barcelona und dem Badeort Cambrils haben sich die islamistischen Terroristen symbolträchtige Ziele in Spanien ausgesucht. Dass die Region im Visier des IS liegt, ist kein Zufall. Katalonien gilt als Hochburg des Salafismus in Europa.

Von Hans-Günter Kellner | 21.08.2017
    Spanische Polizisten auf der Rambla in Barcelona.
    Spanische Polizisten auf der Rambla in Barcelona. (AFP/Javier Soriano)
    Angst ist die Währung, in der Terroristen ihren Erfolg messen. Das wissen die Spanier aus der jahrzehntelangen Erfahrung mit dem ETA-Terrorismus und dem islamistischen Anschlag in Madrid von 2004. Und darum gilt nach einem Anschlag vor allem die Devise: keine Angst zeigen. So war die Rambla von Barcelona nur zwei Tage nach den Attacken in Katalonien wieder gut besucht. Auch diese Frau ging ganz bewusst auf die Flaniermeile: "Wir müssen denen zeigen: Das Leben geht weiter. Wir gehen weiter auf die Straße: in die Cafés, zur Arbeit. Wir dürfen jetzt nicht vor Angst erstarren."
    Noch immer fragen sich die Spanier aber auch: Woher kommt dieser Hass, der die jungen Attentäter zu den Anschlägen getrieben hat? Antworten liefert zum Beispiel der Journalist Ignacio Cembrero. Seit 30 Jahren berichtet er aus arabischen Ländern, lange Zeit davon für die spanische Tageszeitung El País. Sein jüngstes Buch beschäftigt sich mit der arabischen Welt in Spanien. "Das Spanien Allahs" ist der Titel, und darin nimmt Katalonien breiten Raum ein.
    Versäumnisse in der Integration
    Ignacio Cembrero: "In Katalonien leben besonders viele radikalisierte Muslime, etwa ein Drittel aller Radikalen in Spanien. Es ist also nicht überraschend, dass Terroristen in Spanien Barcelona als Ziel wählen. Hier existiert inzwischen eine zweite Generation von Einwanderern - was in anderen spanischen Städten noch nicht der Fall ist. Diese Generation ist relativ empfindlich für die Radikalisierung. Und es gibt richtige Gettos, was besonders für die jungen Leute ein Problem ist."
    Doch das ist nicht die einzige Besonderheit Kataloniens. Mit Sorge beobachtet das spanische Innenministerium die Ausbreitung der Salafisten in der nordostspanischen Region. Von rund 100 salafistischen Moscheen in Spanien findet sich weit mehr als die Hälfte in Katalonien.
    "Europol geht davon aus, dass Belgien und Katalonien die westeuropäischen Regionen sind, in denen der Salafismus besonders weit verbreitet ist. Hier werden sehr viele salafistische Kongresse mit Teilnehmern aus ganz Europa veranstaltet. Die Golf-Monarchien finanzieren manche dieser Kongresse. Der Salafismus ist nicht Terrorismus, aber er verweigert sich der Integration. Er ist das Vorzimmer zum Dschihadismus. Das sieht man an den Biographien der Terroristen", meint Ignacio Cembrero.
    Forderung nach islamischem Religionsunterricht
    Bei manchen dieser salafistischen Kongresse nehmen mehr als 2.000 Gläubige teil, schreibt Cembrero unter Berufung auf das spanische Innenministerium in seinem Buch. Der Journalist betont: Die spanische Polizei ist auf den islamistischen Terrorismus gut vorbereitet und hat in der Vergangenheit mehrere Anschläge verhindert. Aber mit der Integration der jungen Muslime aus der zweiten Einwanderergeneration hat auch Spanien große Probleme. Diese jungen Leute hätten den Eindruck, weder in den Herkunftsländern ihrer Eltern noch in Westeuropa dazuzugehören und seien so für die radikalen Botschaften der Salafisten besonders empfänglich. Ignacio Cembrero:
    "Die große Mehrheit der muslimischen Schüler bekommt in den öffentlichen Schulen Spaniens keinen islamischen Religionsunterricht. In Katalonien leben mehr als 75.000 muslimische Kinder, die an der Schule nichts über ihre Religion erfahren. Das ist ein großes Problem. Die jungen Muslime haben Identitätskonflikte, interessieren sich darum besonders für ihre Religion. Ohne Religionsunterricht bleibt ihnen oft nur das Internet. Dort finden sie sehr attraktive Videos, im Hollywood-Stil gedreht. So kommt es zur Radikalisierung. Es wäre also gut, wenn wir an den Schulen geprüfte Islamlehrer hätten, die sie unterrichten. Aber davon sind wir weit entfernt. Leider."
    Es bleibt also viel zu tun in der spanischen Einwanderungspolitik. Auch die mutmaßlichen Attentäter von Barcelona und Cambrils waren teilweise noch Heranwachsende, drei davon Minderjährige, die meisten davon aus dem Pyrenäenstädtchen Ripoll. Sieben von ihnen sind tot, vier sind verhaftet. Der örtliche Imam soll die Gruppe radikalisiert haben. Ein 22-Jähriger ist flüchtig. Seine Mutter ruft ihn auf, sich den Behörden zu stellen. Sie demonstriert mit anderen Müttern in Ripoll mit einem Schild in der Hand gegen den Terror: "Nicht in meinem Namen", steht darauf. Der Schock sitzt auch bei den Eltern tief. Eine Frau fragt wütend: "Welche Religion soll das sein? Das sind weder Muslime noch Christen, das sind Mörder."