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Salzburger Festspiele 2018
"Wer die Ängste kontrolliert, kontrolliert auch die Menschen"

Angst ist das vorherrschende Gefühl unserer Zeit, weswegen viele Menschen nicht mehr mutig und freiheitlich denken können, glaubt der Historiker Philipp Blom und fordert in seiner Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele eine neue Aufklärung.

Von Philipp Blom | 29.07.2018
    Der Historiker Philipp Blom aufgenommen im Oktober 2016, auf der 68. Frankfurter Buchmesse, in Frankfurt/Main (Hessen).
    Der Historiker Philipp Blom (dpa / picture-alliance / Arno Burgi)
    Der Mut der aufklärerischen Denker wie Kant und Diderot hat den Historiker Philipp Blom schon als Jugendlicher fasziniert. Von ihnen erhoffte er sich eine Orientierung, eine Leitlinie für die Bewertung der Phänomene der ihn umgebenen Welt.
    "Aus der ersten intellektuellen Liebe ist eine lebenslange, nicht immer reibungslose Beziehung mit dem methodischen Denken geworden, eine seltsame Fernbeziehung mit den leuchtenden Ideen von Leuten, die längst nicht mehr am Leben sind. Diderot und die anderen Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts lebten zu einer Zeit, in der die hellsten Köpfe gerade begannen, die ersten Atemzüge der Moderne zu spüren. Bei ihnen lernte ich, dass weder die Aufklärung noch die Philosophie überhaupt aus einem Katalog von Lehrsätzen und dicken Büchern besteht, sondern aus einer Landschaft von Debatten, Provokationen, Entwürfen und Experimenten. Philosophie ist, wie die Schweizer Philosophin Barbara Bleisch es formuliert, 'riskantes' Denken."
    Doch das Prinzip Aufklärung, als der Versuch, das kritische Denken und den Respekt vor Fakten höher zu achten, als Meinungen, Vorurteile, Gefühle, Traditionen oder Dogmen, sei in der heutigen Zeit in die Defensive geraten, meint Blom.
    "In den Zeiten von Fake News, in denen Faktenwissen von Filterblasen abgewehrt wird, ein amerikanischer Präsident sich selbst als Lügner täglich überbietet und in dem auch hierzulande 'stichhaltige Gerüchte' bemüht werden, um die alte Mär von der jüdischen Weltverschwörung wieder wach zu kitzeln, muss man diesen Punkt nicht weiter ausführen."
    Angst durch fließende Destabilisierung

    Tatsächlich sei Angst das vorherrschende Gefühl in der westlichen Welt. Obwohl immer weniger Menschen hungern und gewaltsam sterben, und in den Ländern des Westens mehr Sicherheit herrsche, als je zuvor, fürchteten immer mehr Menschen den Verlust von Besitz und Status.
    "Das macht es so gefährlich, dass wir in ängstlichen Gesellschaften leben. Ängstliche Menschen denken anders, nehmen die Welt anders wahr als zuversichtliche. Jene, deren Beruf und Strategie es ist, Wählerinnen und Konsumenten zu manipulieren, wissen: Wer die Ängste kontrolliert, kontrolliert auch die Menschen. So verschiebt sich das Meinungsklima fast unversehens weg von Ideen wie Menschenrechten und Freiheit und hin zu Identität und Sicherheit in einer feindlichen Welt und damit von der Diskussion zur Konfrontation. Vor dieser Drohkulisse verblasst die rationalistische Aufklärung zum Scherenschnitt mit gepuderter Perücke."
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