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Salzburger Festspiele
"Blut ist die beste Soße"

Bei den Salzburger Festspielen gibt es den Young Directors Club. Künstler, von denen man sich wegweisende Impulse erhofft, werden dort gezeigt. Jetzt feierte das Stück "Hinkemann" von Ernst Toller, inszeniert vom serbischen Regisseur Miloš Lolić, Premiere. Der Kriegsheimkehrer hat keine Kraft zum Kämpfen, Leben und Träumen mehr.

Von Karin Fischer | 01.08.2014
    Festspielhäuser an der Hofstallgasse in Salzburg
    Bei den Salzburger Festspielen gibt es den Young Directors Club. Das ist eine jüngere experimentelle Regiewerkstatt. (dpa / picture alliance / Elmar Hartmann)
    Es beginnt mit einem fast unmenschlichen Geheul, das die ganze existenzielle Not Hinkemanns ausdrückt. Ansonsten hat sich der Regisseur jede Art von larmoyanter Geste gespart. Kein Selbstmitleid, kein expressionistischer Furor, nirgends. Das tut dem Stück und der Inszenierung sehr gut. Wir sehen: Ein altes, wie zur Vogelscheuche erstarrtes, von Neonröhren und weißen Glühlampen schwach erleuchtetes Jahrmarkt-Karussell in der Mitte der kleinen Bühne des ehemaligen Kinos "republic".
    Hinkemann als Krüppel
    Grete und Hinkemann als sehr junge Menschen, die sehr heutig miteinander lachen, sich umeinander sorgen. Im Krieg wurde Hinkemann das Geschlecht weggeschossen. Grete schämt sich, als sie es dem gemeinsamen Freund Paul erzählt. Er sei kein Mann mehr, nur noch ein Krüppel. "Kommst du mal zu mir, Greteke?", fragt er. Das tut sie, und wird schwanger. Hinkemann möchte ihr ein gutes Leben bescheren und verdingt sich auf dem Rummel als "Homunkulus", der Ratten und Mäusen bei lebendigem Leib den Kopf abbeißt:
    "Das Volk ist keine Lämmerherde. Es will Blut sehen. Blut ist die beste Soße, trotz 2000 Jahren christlicher Moral. Mein Unternehmen trägt dem Rechnung, so harmoniert Volksinteresse mit privatem Interesse, verstanden?"
    ...sagt der Jahrmarkt-Unternehmer, und trifft damit den richtigen Ton für eine bis heute gültige Geschäftspolitik. Lolic macht aus Tollers Typensammlung wohltuend normale Leute, die politischen Diskussionen mit dem Anarchisten und dem Sozialisten werden en passant geführt, der Vertreter des bigotten Christentums versprüht sogar selbstironisch Bühnennebel.
    Das Volk will Blut sehen
    Es geht hier nicht um Ideologien oder um ein Schaulaufen der Depravierten. Klar wird, Hinkemann ist anders als die anderen Armen. Sein neues Stigma heißt "Fremdheit", seine Angst besteht darin, verlacht zu werden, seine Finsternis ist die Aussicht auf ein Leben "ohne Liebe". Jonas Anders hält diesen "Hinkemann" wunderbar leicht in der Schwebe zwischen Verzweiflung, Irresein und viel Realitätssinn und gesundem Menschenverstand. Wenn er mit seinem nicht vorhandenen Geschlecht spricht, scheint er sogar den ganzen modernen Hype um den Sex vorweg zu nehmen:
    "Es ist kein Gott außer dir! Wie sie sich belügen und betrügen und sich weis machen, sie beten den Gekreuzigten an. Zu dir beten sie. Jedes Ave ist dir geweiht, jedes Vaterunser ein Rosenkranz um deine - Nacktheit."
    Nichts ist künstlich oder bedeutungsschwanger
    Andere Szenen wie die mit der Mutter werden locker am Bühnenrand hin getupft. Nichts ist künstlich bedeutungsschwanger oder überladen mit Schicksalhaftigkeit. Kein Gedanke an die "Fieberträume eines Höllenbreughel oder Hieronymus Bosch", an die sich Carl von Ossietzky nach der von völkischen Krakeelern skandalisierten Uraufführung in Dresden 1924 erinnert fühlte.
    Auch Katharina Schmidt als Grete sorgt dafür, dass hier ein neuer Toller-Ton herrscht. Ihr Ort ist das Karussell, an dem sie neu fliegen lernt, dessen Geländer ihr als Halt oder Beschränkung dient. Am Ende sterben beide. Grete stürzt sich aus dem Fenster, Hinkemann hängt sich auf. Den guten Schluss aber bildet eine wirklich charmante Geste des Regisseurs: Hinkemanns Mutter spannt sich vor das Karussell wie Mutter Courage vor ihren Marketender-Karren. Da ist sie dann doch noch, die Verneigung vor Bertolt Brecht und dem eigenen Lehrer.