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Salzburger Festspiele
Von Liebe, Wahn und Vernichtung

Hans Neuenfels hat in Salzburg Tschaikowskis "Pique Dame" inszeniert: stringent und mit melancholisch-schönen Bildern, meint unser Kritiker. Doch auch die Konzertreihen der diesjährigen Festspiele lassen aufhorchen - nicht nur wegen der atemberaubenden Liste internationaler Solisten.

Von Christoph Schmitz | 06.08.2018
    Eine Szene aus Hans Neuenfels Inszenierung von Tschaikowskis "Pique Dame" bei den Salzburger Festspielen 2018
    Skelett-Design in Neuenfels' "Pique Dame"-Inszenierung: Kultur des Todes, der Unterdrückung und Unfreiheit (© Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus)
    Die Liebe macht die Leute verrückt. Das haben auch die drei bisherigen Opernpremieren bei den Salzburger Festspielen gezeigt - die "Zauberflöte" von Mozart, die "Salome" von Strauss und die "Pique Dame" von Peter Tschaikowski. Wenn die Liebe zur Passion wird, dann lauern mitunter Wahn und Vernichtung. Dass "Werke der Passion, der Leidenschaft, der Ekstase" die diesjährigen Festspiele "prägen", so Intendant Markus Hinterhäuser vorab, zeigte sich tatsächlich fast überall.
    Wobei die Ursache für Vernichtung und Tod in Tschaikowskis "Pique Dame" vor allem von außen kommt, aus dem Zentrum der Macht. Das will jedenfalls Regisseur Hans Neuenfels mit einem eindeutigen Bild genau in der Mitte der Inszenierung zeigen, die Zeit: um 1900.
    Melancholisch-schöne Bilder
    Mit Begeisterung wird die Zarin im Palast des Fürsten Jelezki empfangen. Fürst Jelezki und Lisa haben sich gerade verlobt, obwohl Lisa die Liebe des grüblerischen Außenseiters und mittellosen Offiziers Hermann erwidert. Die Zarin tritt in prunkvollem Edelsteinornat auf – als riesiges Puppenskelett. Und die seltsame Kleidung der vor ihr niederknienden Untertanen mit schwarz-gestreiften Oberteilen und knochenfarbigen Badekappen entpuppt sich ebenfalls als Skelett-Design. Hier herrscht eine Kultur des Todes, der Unterdrückung, der Unfreiheit; Macht, Reichtum, sozialer Status werden angebetet.
    Auch zu Beginn der Inszenierung deuten die Zeichen in diese Richtung. Die singenden Kinder werden in Käfigen von züchtigenden Gouvernanten auf die Bühne getrieben und wie an Hundeleinen zum militärischen Spiel gedrillt. So macht Regisseur Neuenfels die Übersprunghandlung des bis über beide Ohren in Lisa verliebten Hermann plausibel: Nur als reicher Mann nämlich hat er eine Chance, an Lisa zu kommen.
    Reich versucht er im Glücksspiel zu werden und indem er meint, Lisas Großmutter gewaltsam ein vermeintliches Kartengeheimnis abpressen zu müssen. Aber da ist der arme Kerl schon dem Wahnsinn verfallen - ein Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse. Stringent und hier und da mit melancholisch-schönen Bildern erzählt.
    Ekstase beim Liebesbekenntnis
    Der amerikanische Tenor Brandon Jovanovich in roter Offiziersuniform macht aus seinem Hermann einen getriebenen und gepeinigten Wozzeck, treibt es stimmlich manchmal bis an die Grenzen. Die russische Sopranistin Evgenia Muraveva in weißem Kleid verleiht ihrer Lisa einen samtweichen Edelklang. Ekstase beim Liebesbekenntnis: "Lisa: Nein, du sollst leben! - Hermann: Schönheit! Götting! Engel! Dich liebe ich! - Lisa: Ich bin dein!"
    Aufhorchen ließen bei der Premiere vor allem einige Nebenrollen wie die weißrussische Mezzosopranistin Oksana Volkova als Polina und der russische Bariton Vladislav Sulimsky als Graf Tomski. Aber allen voran die 74-jährige große alte Dame im dunkelglühenden Mezzofach - Hanna Schwarz als Gräfin, Lisas Großmutter, die einst selbst Liebende und Spielsüchtige, die" Pique Dame" des Titels.
    Und das Erstaunlichste der Premiere: die traumhaft fließenden Melodien, die farbenreich blühenden Klänge der Wiener Philharmoniker unter der grandiosen Leitung von Mariss Jansons. Die Schönheiten und Härten der Partitur loteten sie zusammen aufs Beste aus.
    Evgeny Kissin: Fern von Wohlfühlklassik
    Aber nicht nur in der "Pique Dame" gehen den Protagonisten die Nerven durch, auch in den rund acht Konzertreihen sind die Nerven in den Werken mancher Komponisten zumindest auf höchste angespannt. Häufig um Tschaikowski, Rachmaninow, Brahms und Liszt, also ums lange aufgewühlte 19. Jahrhundert ging und geht es in der Reihe der Solistenkonzerte mit internationalen Größen wie Maurizio Pollini, Khatia Buniatishvili, Grigory Sokolov, Igor Levit und Evgeny Kissin - Salzburg lässt wie immer die Weltstars aufspielen, eine atemberaubende Namensliste.
    Evgeny Kissin aber, der einstige Wunderknabe aus Moskau, wollte in seinem Konzert von allem emotionalen Überschwang, romantischer Seligkeit oder gar Wohlfühlklassik nichts wissen. Die Melodielinien in einigen "Nocturne" von Chopin hämmert er förmlich in die Tasten, nimmt der Poesie alle Weichheit und ersetzt Sehnsucht durch Trauer. Was Kissin zeigen will, ist die Modernität der Partitur.
    So auch bei Schumanns dritter Klaviersonate. Es ist, als durchleuchte der Pianist den mal leise schnurrenden, mal rumorenden, mal aufschreienden Maschinenraum der Komposition. Kissin zeigt ein blitzblank poliertes Messingwerk. Alles Persönliche scheint zugunsten des Überpersönlichen herausgefiltert zu sein. Das ist verstörend und erhellend zugleich. Wobei solch kalkulierte Nüchternheit zu den Prélude von Debussy besser passt. Kissins kühler Glockenklang und das Lichtfunkeln eines Debussy entsprechen einander.
    Igor Levit erkundet Stille fast bis zum Verstummen
    Auch Kissins russischer Landsmann Igor Levit hatte etwas Besonders zu bieten. Zum einen ebenfalls ein in sich schlüssiges Programm: Zuerst Richard Wagners "Feierlicher Marsch zum heiligen Gral" aus dem "Parsifal", bearbeitet von Wagners Schwiegervater Franz Liszt für Klavier. Dann von Franz Liszt eine Orgel-"Fantasie und Fuge" über einen Choral aus einer Oper von Wagners Todfeind Giaccomo Meyerbeer, bearbeitet von Ferruccio Busoni. Und am Schluss die einst als unspielbar geltende Hammerklavier-Sonate von Beethoven, die Franz Liszt 1836 aufführte.
    Ein ästhetisch und gedanklich dicht gewobenes Konzertprogramm. Ein Beispiel für zahlreiche gelungene Zusammenstellungen bei den Salzburger Festspielen. Plastisch, mitunter theatralisch arbeitet Igor Levit die Werke aus. Er erkundet Langsamkeit und Stille fast bis zu Verstummen und Stillstand. Zeigt aber auch wie man mit nur zehn Fingern Liszts hochkomplexe Orgelpartitur ebenbürtig auf den Flügel übertragen und die transzendentalen technischen Schwierigkeiten meistern kann. Levit lässt dabei nicht nur ein weites Farbspektrum aufscheinen, sondern auch die seelischen Tiefen eines Jahrhunderts, das nach Rettung und Heil geradezu lechzte.
    Peinliche Bühnenshow mit Diana Damrau und Jonas Kaufmann
    Wer weder musikalisch noch gedanklich an die Großinterpretationen Igor Levits und Evgeny Kissins heranreichten, waren in der Konzertreihe mit den Liederabenden die Sopranistin Diana Damrau und der Tenor Jonas Kaufmann. Der Pianist und Liedbegleiter Helmut Deutsch hatte für Damrau und Kaufmann eine Vielzahl von Liedern aus dem "Italienischen Liederbuch" von Hugo Wolf neu zusammengestellt und neu geordnet, dramaturgisch ideenreich und ausgewogen. Aber die beiden Solisten machten aus den Liebes- und Liebesstreit-Liedern eine peinliche, augenklimperte, schmachtblickende Bühnenshow, die an deutschen Kinokitsch der Fünfzigerjahre erinnerte. Salzburg kann auch mal patzen.
    Mitten hinein in die Gegenwart dagegen führte eine faszinierende Konzertreihe, die sich an drei Abenden ganz und gar dem österreichischen Komponisten Beat Furrer widmete. Eine mitunter atmende, organisch wuchernde, rhythmisch pulsierende Klangwelt der Stille hat der gebürtige Schweizer Beat Furrer, Jahrgang 1954, geschaffen. Lauter kann es auch mal werden: "…cold and calm and moving" für Flöte, Harfe, Violine, Viola und Violoncello von Beat Furrer.
    Prägende Komponistenpersönlichkeiten der Gegenwart
    Ätherische Lichtspiele, Glissandi-Flirren und Tremolo-Raunen der Streicher erklingen in Furrers Stück "intorno al bianco" ("Rund ums Weiß") für Klarinette und Streichquartett. Wobei die Klarinette anfangs lange gar nicht als Instrument, sondern nur als Klangfarbe zu hören ist. Eine Musik, die immer wieder wirkt, als sei sie aus Naturgeräuschen und –klängen entstanden. Sie atmet und lebt, wie auch in Furrers Musiktheater "Begehren" - eine ebenso leise wie bewegende Orpheus- und Eurydike-Geschichte. Dirigiert vom Komponisten selbst, gesungen von Cantando Admont, gespielt vom Klangforum Wien, das Beat Furrer vor über 20 Jahren mitbegründet hat.
    So rücken die Salzburger Festspiele Jahr für Jahr prägende Komponistenpersönlichkeiten der Gegenwart ins Scheinwerferlicht samt den Musikern, die sie interpretieren. Klug, anspielungsreich, seriös und fantasievoll kuratiert von Intendant Markus Hinterhäuser und seinem Konzertchef Florian Wiegand.