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Samuel Schirmbeck
"Liberale Muslime weltweit sind von Linken in Europa enttäuscht"

Samuel Schirmbeck war ARD-Korrespondent in Algerien. Er ist bis heute mit vielen algerischen Linken befreundet. Sie fühlen sich allein gelassen von Linken in Europa. Schirmbecks neues Buch hat den Titel: „Gefährliche Toleranz. Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam“.

Von Marie Wildermann | 05.10.2018
    Sie seien mitverantwortlich für das Erstarken der Rechten in Europa, so lautet der Vorwurf des ehemaligen ARD-Korrespondenten Samuel Schirmbeck an die Linken
    Sie seien außerdem mitverantwortlich für das Erstarken der Rechten in Europa, so lautet ein Vorwurf des ehemaligen ARD-Korrespondenten Samuel Schirmbeck an die Linken (imago stock&people)
    Eine der größten Errungenschaften der Aufklärung ist die Religionskritik, schreibt Schirmbeck und erinnert daran, dass Linke – und mit Linke meint er nicht nur die Partei "Die Linke", sondern auch Grüne und SPD – vehement die christlichen Kirchen kritisierten, die in Deutschland noch bis vor ein paar Jahrzehnten diktierten, wie die Menschen zu leben hatten. Sie machten sich - besonders seit 1968 - religionskritische Merksätze zu Eigen. Etwa: "Religion ist Opium für das Volk". So wollten sie Kirche und Religion demontierten.
    "Die Kritik an Dogmen, das war doch mal, das gehörte sozusagen zum Eingemachten der Linken, überlegen Sie, Ströbele, als der Papst kam, ist er rausgegangen aus dem Bundestag, Christentumskritik gehörte immer bei den Linken und bei den Grünen dazu. Sobald das Wort 'Islam' fällt, hört das auf."
    Keine Kritik am reaktionären Islam
    Keine Kritik am Frauenbild im Islam, am Umgang mit Homosexualität, keine Auseinandersetzung mit muslimischen Parallelgesellschaften oder der Gewaltfrage. Im Gegenteil, die Linken hofieren konservative Islamvertreter, so Schirmbecks Vorwurf. Reaktionäre Islamströmungen könnten sich so in Deutschland immer weiter verfestigen und ausbreiten.
    "Insgesamt kann man sagen – und das erlebe ich nun seit meiner Rückkehr aus Nordafrika, nach diesen zehn Jahren, und ich reise ja auch immer wieder dorthin, gibt es überhaupt keine wirkliche Auseinandersetzung mit der Frage des Islam. Ich habe das erlebt seit 2001, seit 9/11, gibt es zwei Worte: Die Verbände sagen 'islamophob', wenn man kritische Fragen stellt, und die Grünen und Linken sagen 'Rassismus'. Damit ist die Diskussion gekillt."
    Kritische Muslime riskieren viel
    Kritische Muslime in Europa und in islamischen Ländern seien inhaltlich entschieden weiter als die Linken und riskierten - im Gegensatz zum Beispiel zu den 68ern – weit mehr für die Meinungsfreiheit. Schirmbeck erinnert an Seyran Ates, die seit der Gründung der liberalen Moschee unter Polizeischutz steht. Und auch Hamed Abdel-Samad, der aufgrund seiner islamkritischen Bücher Todesdrohungen erhielt, kann ohne Polizeischutz nicht mehr in der Öffentlichkeit.
    "Also ein Hamed Abdel-Samad, über den habe ich noch nie etwas Gutes gelesen in der taz oder in den linken Zeitungen von der Süddeutschen bis zur ZEIT. Die gesamte Islamkritik, und die besteht ja in Deutschland aus fünf, sechs Leuten, und vor allem die Islamkritik in der muslimischen Welt selbst, die längst alles widerlegt, was hier behauptet wird von der Linken über den Islam, die den Islam viel kritischer sieht, die wird hier nicht wahrgenommen."
    Von europäischen Linken im Stich gelassen
    Liberale Muslime sowohl in Europa als auch in den islamischen Ländern seien von den Linken in Europa enttäuscht, so Schirmbeck. Statt als natürliche Verbündete die Kämpferinnen und Kämpfer für Freiheit und Menschenrechte zu unterstützen, lasse die europäische Linke sie im Stich, zitiert Schirmbeck die marokkanische Bloggerin Myriam Ibn Arabi. Sie hat der europäischen Linken eine Rassismus-Obsession attestiert. Die unbewältigte Kolonialvergangenheit bzw. die Nazi-Vergangenheit in Deutschland, führe zu einem Schuld-Komplex, der zu falscher Toleranz verleite.
    Auch die Ägypterin Mona Eltahawy beklagt den fatalen Mangel an Solidarität der Linken mit Islamkritikern. Und als nach islamistischen Anschlägen in der Folge von 9/11 sogar muslimische Zeitungen in Algerien den Zusammenhang zwischen Islam und Islamismus diskutierten, beeilte sich die europäische Linke zu versichern, dass die Gewalt mit dem Islam nichts zu tun habe.
    "Also 15 Jahre hat es gedauert, bis Cem Özdemir, den ich übrigens auch sehr, sehr schätze, gesagt hat: Ich kann es nicht mehr hören, wenn man sagt, Islam und Islamismus haben nichts miteinander zu tun. Das hat er dann 2015 nach den furchtbaren Massakern in Paris hat er das gesagt. Aber da ist mir das zum ersten Mal aufgefallen: das sagt endlich mal einer. Aber so lange hat es gedauert. Und er ist eine absolute Ausnahme bei den Grünen, was diese Sachen angeht, und in der ganzen Linken."
    Schirmbeck zu pauschal?
    Kritiker Schirmbecks halten dagegen, es seien doch Konservative gewesen, die über Jahrzehnte hinweg Integration verhindert hätten. Schirmbecks Kritik am Islam sei zu pauschal, sei nahe dran an rechten Verschwörungstheorien.
    Ganz anders das Fazit von Samuel Schirmbeck: Linke in Deutschland - auch in Europa - hätten den notwendigen Diskurs über den Islam verweigert und seien daher mitverantwortlich für das Erstarken der Rechten. Eine provokante These und es scheint, dass ein Dialog darüber derzeit wohl nicht möglich ist. Zu festgefahren sind offenbar die Positionen in gegenseitigen Schuldzuweisungen.