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Sanfte Massenkontrolle mit Dancebeats

Der junge israelische Choreograf Hofesh Shechter ist mit seiner eigenen Compagnie zum Star der britischen Tanzszene aufgestiegen. Jetzt gastiert er mit der Neuaufnahme seines Erfolgsstücks "political mother" im Haus der Berliner Festspiele.

Von Gerd Brendel | 27.01.2012
    16 Männer und Frauen stehen auf der Bühne unter gleißendem Licht. Trommelschläge kommen aus dem Dunkeln und die Tänzer werfen die Arme von sich und laufen im Kreis immer, immer schneller.

    So als ob sich die Tänzer von einem Show-Spektakel wie "Riverdance" in einen Horror-Film verlaufen haben. Aus akrobatischem Handgemenge werden intime pas de deuxs und beklemmende Massenszenen werden zu Pop-Ringelreihen.

    "Political mother" lautet der merkwürdige Titel der Choreografie von Hofesh Schechter. Der junge Israeli mit deutschem Pass und Wohnsitz in London ist der neue Shooting Star der britischen Tanzszene. Jetzt gastiert er zum ersten Mal mit der Wiederaufnahme seines bekanntesten Stücks "political mother" in Berlin. In dem Stück, halb Tanzperformance, halb Rockkonzert, verarbeitet er seine eigene musikalische Biografie, denn Shechter hat auch den Soundtrack zur Choreografie komponiert, eine hypnotische Mischung aus elektronischen Dancebeats, Marschmusik und Volkstanzmusik; Musik, zu der in Israel jedes Schulkind tanzen lernt:

    "Es ist eine Art von sehr sanfter Massenkontrolle. Etwas was die Menschen zusammenbringt und nationalistische Gefühle auslöst, ob man will oder nicht. "

    Und Hofesh machte das Tanzen Spaß.

    "Ich war schüchtern und fühlte mich in meinem Körper unwohl, aber meine Lehrerin meinte, dass ich mit elf oder zwölf unbedingt beim nationalen Jugend-Folklore-Ensemble vortanzen müsste und ich wurde aufgenommen."

    Der schüchterne Teenager Hofesh wurde ein begeisterter Tänzer und studierte nach der Schule an der Tanz- und Musikakademie seiner Heimatstadt Jerusalem. Sein zweites Engagement bekam er beim besten Tanzensemble des Landes, der Batsheva Dance Company, zeitgleich mit seiner Einberufung.

    "Ich konnte weitertanzen und musste bei der Armee nur Verwaltungsarbeit machen. Aber nach meiner Entlassung drohte mir ein Offizier an, dafür zu sorgen, dass ich als Reservist nach Gaza eingezogen würde, um meinem Vaterland richtig zu dienen. Darauf hatte ich keine Lust und wurde sogar einmal verurteilt, weil ich an einer Reservistenübung nicht teilnahm."

    Hofesh siedelte nach Großbritannien über. Fragt man den Künstler nach seiner Meinung zum Nahostkonflikt, antwortet er mit einem Bild:

    "Wenn zwei Gruppen um die Wette brüllen, bringt man sie nicht dazu aufzuhören, indem man auch mitbrüllt, sondern nur, wenn man sie dazu bringt, den Mund zu halten."

    Statt zum Mitbrüllen hat sich Hofesh Shechter zum Tanzen entschlossen. Und auch wenn er es leid ist, immer wieder nach dem Konflikt zwischen jüdischen Israelis und Palästinensern gefragt zu werden, seine letzte Arbeit "political mother" kann man auch als politischen Kommentar verstehen:

    "Es fängt an mit Zorn, mit dem Gefühl von Hilflosigkeit angesichts der großen Welt, in der man sowieso nichts ändern kann."

    "Political mother" zeigt, wie idyllischer Volkstanz zum Drill mutiert, der keinen Widerspruch duldet. In einer Szene werden Abweichler mit der Pistole bedroht. Aber am Ende siegt bei Shechter das Individuum und nicht die Gruppe, die am lautesten brüllt.

    "Das letzte Bild ist ein Bild der Hoffnung."

    Wie das Bild aussieht, verrät der Choreograf nicht. Es wird eines sein, in dem die E-Gitarren und die Trommeln schweigen.