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Santiago Carrillo
Mittendrin beim Übergang von Diktatur zu Demokratie

Zweite Republik, Bürgerkrieg, Exil und demokratischer Aufbruch nach dem Ende der Franco-Diktatur: Als Zeitzeuge und politischer Akteur erlebte Santiago Carrillo fast ein Jahrhundert bewegter spanischer Geschichte. Und machte dabei selbst einen tiefgreifenden Wandel durch. Am 18. Januar 1915, vor 100 Jahren, wurde er geboren.

Von Günter Herkel | 18.01.2015
    Der ehemalige spanische Politiker Santiago Carrillo (1915 - 2012) im Alter von 93 Jahren.
    Santiago Carrillo (1915 - 2012) im Alter von 93 Jahren. (AFP / Pierre-Philippe Marcou)
    "Als Franco starb, war mir sonnenklar, dass Spanien eine Entwicklung bevorstand, die auf einen demokratischen Systemwechsel hinauslaufen würde. Ich fand, dass dies der Zeitpunkt war, wo ich als Generalsekretär meiner Partei im Lande sein musste, um persönlich eingreifen und die Partei leiten zu können."
    Es war im Februar 1976, wenige Monate nach Francos Tod, als Santiago Carrillo aus dem französischen Exil nach Spanien zurückkehrte. Mit Perücke und äußerlich stark verändert, schließlich war die Kommunistische Partei nach wie vor illegal. Da war er schon 61 und hatte den größten Teil seines Lebens im Exil verbracht, zunächst in Moskau, später in Paris.
    "Als junger Mann von 20 Jahren dachte ich, die sozialistische Revolution und das Ende des Kapitalismus stünden unmittelbar bevor. Damals hatte ich viele Illusionen."
    Eine strategische Wende zur Massenpartei
    Geboren wurde Carrillo am 18. Januar 1915 im nordspanischen Gijón. Schon sein Vater war Sozialist. Auch der junge Santiago engagierte sich früh in der Sozialistischen Jugend. Später arbeitete er als Setzer und Journalist der Zeitung "El Socialista". Noch vor dem Putsch Francos und dem Beginn des Bürgerkrieges schloss er sich 1936 dem PCE an, der Kommunistischen Partei Spaniens. Nach der Niederlage der Republikaner ging er ins Exil. Unter seiner Führung - er folgte der legendären Dolores Ibárruri als Generalsekretär der Partei - leitete der PCE in den 60er-Jahren eine strategische Wende ein. Aus der jahrzehntelang stalinistisch orientierten Kaderpartei sollte nun eine Massenpartei werden.
    "In den Jahren vor dem Übergang Spaniens zur Demokratie war der PCE eine eurokommunistische Partei, wie das damals genannt wurde. Wir diskutierten mit den wichtigsten demokratischen Kräften Europas, setzten uns ein für den Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft und für die Etablierung einer Demokratie europäischen Typs in Spanien."
    Ende 1975 starb Franco. Nach der Legalisierung des PCE im Frühjahr 1977 avancierte Carrillo zu einem der wichtigsten Akteure in der Periode derso genannten Transición, des Übergangs von der Diktatur zu demokratischen Verhältnissen. Für Carrillo hieß die Streitfrage nicht "Monarchie oder Republik", sondern "Diktatur oder Demokratie".
    Bei den ersten demokratischen Wahlen 1977 erzielte die Kommunistische Partei zwar knapp zehn Prozent der Stimmen. Zur Enttäuschung Carrillos hatte sich der überwiegende Teil der Linken jedoch für die Sozialisten unter dem jungen Felipe González entschieden. Unter der Regierung des Zentrumpolitikers Adolfo Suárez erfolgten entscheidende Reformen: Die Ende 1978 verabschiedete Verfassung garantierte allen Bürgern demokratische Grundrechte. Zudem definierte sie Spanien als dezentralisierten Einheitsstaat, in dem den einzelnen Regionen Selbstverwaltung gewährt wurde.
    Standhaft beim Putschversuch
    Doch einige unbelehrbare Militärs und Angehörige der Guardia Civil versuchten, den schwierigen Demokratisierungsprozess gewaltsam zu stoppen. Als am 23. Februar 1981 zwei Hundertschaften der paramilitärischen Polizei das Parlamentsgebäude stürmten, klang das im spanischen Rundfunk so:
    "Auf den Boden! Auf den Boden! - wir können nicht weitersenden, sie zielen auf uns."
    Als einer von wenigen Abgeordneten ignorierte Carrillo den Befehl der Putschisten, sich auf den Boden zu werfen.
    "Ich hatte immer gedacht, dass die Gefahr eines Staatsstreichs in Spanien durchaus bestand. Daher hielt sich meine Überraschung in Grenzen. In diesem Moment empfand ich eher Ekel und Entrüstung, denn vor der Weltöffentlichkeit wirkten wir doch wie eine Bananenrepublik."
    Nach dem gescheiterten Putsch begann der Niedergang der spanischen Kommunisten. Carrillo gelang es nicht, die auseinanderstrebenden Fraktionen zu vereinen. Vielen erschien nun die Sozialistische Partei als die einzige politische Kraft, die in der Lage war, das demokratische System in Spanien zu retten. Bei den Wahlen 1982 schrumpfte die Zahl der PCE-Abgeordneten auf kümmerliche vier. Bald darauf trat Carrillo als Generalsekretär zurück. Später wurde er sogar im Streit mit Anhängern des prosowjetischen Flügels aus der Partei ausgeschlossen. Am 18. September 2012 starb Santiago Carrillo mit 97 Jahren friedlich - während der Siesta.