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Santu Mofokeng: Wir wollten kochende Townships zeigen

Santu Mofokeng ist einer der wenigen schwarzen Fotografen Südafrikas, der den Kampf gegen die Apartheid in Johannesburg dokumentiert. Daneben hat er auch glückliche Momente festgehalten - alles in schwarz-weiß. In Bern findet eine begleitende Ausstellung zu seinem Buch "Chasing Shadows" statt.

Santu Mofokeng im Gespräch mit Kerstin Poppendieck |
    Kerstin Poppendieck: Santu Mofokeng, Sie wurden 1951 in Johannesburg geboren. Es war die Zeit der Rassentrennung. Eine sehr bewegende, gefährliche und dramatische Zeit für einen schwarzen Journalisten. Wie wichtig ist denn der Beruf eines Fotografen heutzutage?

    Mofokeng: Ich bin mir nicht sicher, ob es heutzutage noch Bedarf an professionellen Fotografen gibt. Mittlerweile kann doch jeder gute Fotos mit dem Handy machen, ohne ein Profi zu sein. Abu Graib im Irak ist so ein Beispiel. Die Bilder, die Lindie England dort gemacht hat, wurden weltberühmt. Es hat sich viel verändert in Sachen Fotografie. Da gibt es die journalistische Fotografie, die behauptet Wahrheit zu verbreiten. Um die Wahrheit zu verbreiten, muss man anwesend sein. Aber heute kann doch jeder überall sein. Wenn ich heute eine Stein in eine Menschenansammlung schmeiße, treffe ich sehr wahrscheinlich einen Fotografen.

    Poppendieck: Schon während der Apartheidzeit waren Sie einer der wichtigsten Fotografen Südafrikas. Was für Fotos haben Sie damals gemacht?

    Mofokeng: Damals haben wir versucht, das Leben während der Apartheidzeit zu dokumentieren. Es ging darum, die kochenden Townships zu zeigen. Für mich war das gut, denn ich hatte dadurch das Gefühl, dass ich eine wichtige Rolle in dem Kampf hatte. Ich hab damals Fotos kopiert, und ich hab Fotos gemacht, von denen ich geglaubt habe, dass sie veröffentlicht werden. Mit kopieren meine ich, ich hab mir angesehen, was in der Woche zuvor veröffentlicht wurde und hab versucht etwas Ähnliches oder Besseres zu machen. Ich hab damals gerne einen Witz gemacht: Wenn ich ein Foto von einem weißen Polizisten mache, dann ist es ein gutes Bild. Wenn zwei Polizisten drauf sind, ist es noch besser. Und wenn es drei Polizisten sind, ganz egal, was sie machen, dann bedeutet das, das Foto erscheint auf der ersten Seite der Zeitung. Das ist natürlich nur eine Metapher, das verstehen sie doch? Ich musste ganz einfach den Horror der Apartheid zeigen. Wer schwarz war, war gut. Wer weiß war, war ein Faschist oder Rassist.

    Poppendieck: Wie sind Sie eigentlich zur Fotografie gekommen? Niemand in ihrer Familie war oder ist Fotograf.

    Mofokeng: Ich habe als Straßenfotograf gearbeitet, aber mir war immer klar, dass das nicht meine Karriere sein würde. Denn als Fotograf wurde man einfach nicht ernst genommen. Man war nur gut für Hochzeiten und Geburtstagspartys. Wenn die Leute damals meinen Sohn gefragt haben, welchen Beruf sein Vater hat und er gesagt hat, dass ich Fotograf bin, dann war das für die Leute keine ordentliche Arbeit. Also haben sie noch mal nachgefragt, was macht Dein Vater wirklich? Da war mir klar, dass mein Beruf niemals als Karriere zählen würde. Deshalb wollte ich etwas Ordentliches machen, irgendwas Wissenschaftliches. Schon als Kind haben mich Philosophie und Poesie begeistert. Und das ist es, was ich heute in meine Arbeit als Fotograf einbringe. Denn heute bin ich selbstbewusst und stehe dazu.

    Poppendieck: Sie sind in Soweto aufgewachsen, die größte Township in Südafrika. Wie war Ihre Kindheit?

    Mofokeng: Es war wirklich eine schwere Zeit. Ich war das jüngste Kind. Mein Vater ist gestorben, als ich drei Jahre alt war. Meine Mutter war damals wieder schwanger und hatte schon acht Kinder. Sie können sich vorstellen, was das für ein Leben war.

    Poppendieck: Hat Sie das als Fotograf beeinflusst?

    Mofokeng: Nein, eher als Mensch. Meine Mutter hat mir zwei wichtige Dinge beigebracht. Zum einen hat sie mich religiös erzogen. Mein zweiter Vorname ist übrigens Israel. Und dann hat sie mich gelehrt, dass man bei allem was man tut immer nach Sinn und Bedeutung suchen sollte. Sinn und Bedeutung. Danach entscheide ich heute noch, wenn ich Projekte umsetze. Meine Projekte müssen mir etwas bedeuten. Es geht mir nicht darum, was gerade modern und angesagt ist. Ich gehe nicht los und sage, ich fotografiere Aidskranke oder arme Menschen. Das mache ich nicht. Ich höre auf mich selbst und nehme Projekte in Angriff, die mir etwas bedeuten.

    Poppendieck: An was für einem Projekt arbeiten Sie momentan?

    Mofokeng: Wie immer: Ich arbeite an Landschaftsbildern. Durch meine Landschaftsfotos versuche ich zu zeigen, dass es verschiedene Wirklichkeiten gibt. Da gibt es Umwelt, Sozialleben zum Beispiel. In Landschaften sind all diese Wirklichkeiten vereint. Oder ich versuche, sie zu vereinen. Man muss nicht immer alles abgrenzen.

    Poppendieck: Was macht denn für Sie ein gutes Foto aus?

    Mofokeng: Das ist eine leichte und gleichzeitig schwere Frage. Ich wetteifere nicht mit anderen um das beste Foto. Meine Bilder sind genauso gut wie Ihre, so gut wie die Bilder von jedem anderen. Manchmal hat man einfach nur Glück beim Fotografieren. Meine Kunst besteht darum, verschiedene Bilder zusammenzustellen, denn meiner Meinung nach, gibt ein einziges Bild nicht die Wahrheit wieder. Deshalb habe ich mich für die Essayform entschieden. Das gibt mir die Möglichkeit der Mehrdeutigkeit und Komplexität.

    Poppendieck: Warum haben Sie sich eigentlich entschieden, nur in schwarz-weiß zu fotografieren? Ist das symbolisch?

    Mofokeng: Es ist meine Entscheidung, nur schwarz-weiß Fotos zu zeigen. Aber das bedeutet nicht, dass ich nicht auch in Farbe fotografiere. Wenn Menschen Farbfotos sehen, glauben sie sofort, das Bild zu verstehen. Sie entscheiden innerhalb von Sekunden, ob sie das Bild mögen oder nicht. Meine persönliche Meinung ist, dass Menschen faul sind. Sie bemühen sich nicht darum, ein Bild zu entdecken. Und dann gibt es noch ein weiteres Problem mit Farbe. Wenn ich zum Beispiel bei einer Beerdigung in Soweto fotografiere, dann tragen die Menschen dort ihre beste Kleidung. Und wenn jemand die Farbe Rot mag und jemand auf dem Foto etwas Rotes trägt, dann wird der Betrachter das Bild mögen einfach aufgrund der Farbe. Farbe hat eine emotionale Dimension. Und das lenkt vom eigentlichen Bild ab. Ich nutze Farbe nur, wenn es wirklich notwendig ist. Wenn ich der Meinung bin, dass Farbe vom eigentlichen Inhalt des Fotos ablenken würde, verzichte ich darauf. Farbe ist für mich so etwas wie ein Helfer. Komm hilf mir!

    Poppendieck: Sie waren mit ihren Arbeiten in der ganzen Welt unterwegs. Aber wenn man mal die Zeit zusammenrechnet, die sie in Deutschland verbracht haben, dann ist das ja schon fast Ihre zweite Heimat. Wie ist diese besondere Beziehung zu Deutschland entstanden?

    Mofokeng: Ich habe dort eine Freundin. 1998 hatte ich ein Stipendium in Worpswede. Damals war ich ungefähr 16 Monate in Deutschland. Später habe ich noch ein Stipendium vom DAAD in Berlin bekommen. Außerdem hatte ich verschiedene Ausstellungen zum Beispiel im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Ich finde, Berlin ist eine menschliche Stadt. Vor allem Ostberlin. Prenzlauer Berg zum Beispiel. Man fühlt sich da einfach nicht so eingeengt wie zum Beispiel in New York oder Paris. London ist mir viel zu teuer. Und auch in Paris muss man ja schon fast fürs Atmen bezahlen. Wenn Sie mich fragen, ich finde Berlin wundervoll.

    Poppendieck: Vor einigen Wochen ist in Deutschland ihre Monografie "Chasing Shadows" erschienen. Darin ist ihre Arbeit der vergangenen Jahre zusammengefasst - ein Spiegel ihres Lebens als Fotograf. Wie ist es für Sie, das Buch anzusehen?

    Mofokeng: Diese Möglichkeit, meine Arbeit von 30 Jahren zusammenzubringen, hat mir gezeigt, worum es in meinem beruflichen Leben bisher ging. Ich meine nicht, dass in dem Buch klar werden soll, was mein Stil, mein Arbeitsmuster ist. Es zeigt vielmehr Zusammenhänge. Wenn ich ein Buch herausbringe, habe ich Zeit, alles sorgfältig zusammenzustellen, die einzelnen Punkte in meiner Arbeit zu verbinden und so zu zeigen, worum es in meiner Reise ging. Die Reaktionen auf das Buch waren sehr positiv. Worüber ich mich wirklich freue, ist, dass mein Publikum jetzt viel größer ist, als das, was ich hier in Südafrika habe.

    Poppendieck: Santu Mofokeng, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

    Mofokeng: Danke Ihnen.