Archiv


Satt, aber unglücklich?

Wir werden immer älter. Doch steigende Lebenserwartung ist nicht gleichbedeutend mit Lebenszufriedenheit und Glücksempfinden. Wie kann den Bedürfnissen einer alternden Gesellschaft begegnet werden? Darüber diskutierten Wissenschaftler in Mainz - und blickten dazu auch auf ein Land, das Alte und das Altsein nicht herabwürdigt, sondern ausdrücklich respektiert.

Von Barbara Weber |
    "In der Altersforschung ist ja für uns das Lebensalter 60 oder 70 nicht bedeutsam, weil wir sagen, mit 60 oder 70 verfügen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland über sehr bemerkenswerte Kompetenzen."

    Sagt Prof. Andreas Kruse, Leiter des Instituts für Gerontologie an der Universität Heidelberg.

    "Für uns wird im Grunde genommen das Alter jenseits der 80 bzw. 85 bedeutsam. Da wird auch die Frage danach, wie wir eigentlich es hinbekommen, trotz großer Belastungen, Grenzsituationen noch so etwas zu empfinden wie Glück."

    Heute liegt der Anteil der über 80-Jährigen hierzulande bei 5,2 Prozent, im Jahr 2040 wird er ungefähr bei 13,5 Prozent sein.

    "Die höchste demografische Dynamik haben wir in den höchsten Altersgruppen. Das heißt, wenn wir über Alter nachdenken, denken wir auf der einen Seite natürlich über die Menschen zwischen 60, 70, 75 und 80 nach, beobachten hier eine vergleichsweise hohe Zufriedenheit.
    Dann ist die zweite Gruppe, die wir im Auge haben, die Gruppe der über 80-Jährigen, und hier sagen wir, sind die Anforderungen an den Organismus, die Anforderungen an die Persönlichkeit beträchtlich, und hier ist die Erhaltung von Zufriedenheit und Glück eine bemerkenswerte psychologische Leistung."

    Diese psychologische Leistung ist deshalb bemerkenswert, da der körperliche Verfall spätestens in diesem Alter schmerzhaft sichtbar wird. Auch über 80-Jährige wollen möglichst selbstständig in ihrer gewohnten Umgebung leben, können es aber häufig nicht mehr. Sie sind vermehrt auf Hilfe von außen angewiesen und müssen womöglich ihre vertraute Umgebung aufgeben und ins Heim wechseln.
    Gisela Trommsdorff, inzwischen emeritierte Professorin für "Entwicklungspsychologie und Kulturvergleich" an der Universität Konstanz:

    "Man redet immer davon, dass mit dem Alter Verluste verbunden sind: Verlust an körperlicher Aktivität und auch Ansehen und so weiter, aber andererseits weiß man inzwischen, und das ist in verschiedenen Studien nachgewiesen, dass es auch so was gibt wie eine zunehmende Sicherheit. Das Verständnis für Andere wächst und ist gewachsen, die Erfahrung mit Anderen, der eigenen Vergangenheit, der Gegenwart, der Zukunft, gibt ein etwas milderes Urteil insgesamt."

    Die in diesem Jahr veröffentlichte große Generali-Altersstudie zeigt, welche Faktoren für ein zufriedenes Leben im Alter wichtig sind: Dazu zählen die Familie, eigene Interessen und Hobbys.
    Karlheinz Ruckriegel, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Nürnberg, beschäftigt sich unter anderem mit psychologischer Ökonomie und Glücksforschung.
    Er ergänzt die Hitliste der Faktoren, die zur Zufriedenheit im Alter beitragen:

    "Das Wichtigste sind gelingende soziale Beziehungen, dann kommen natürlich Sachen wie psychische und physische Gesundheit, wie Engagement, und dass man etwas tut, etwas macht, was einen befriedigt, und dass man auch Zeit für Muße hat. Und letztlich kommt es auch darauf an, dass sie auch materiell abgesichert sind und vor allem, sie brauchen auch eine finanzielle Sicherheit."

    "Allerdings ist Gesundheit auch relativ."

    Schränkt Gisela Trommsdorff ein.

    "Man kann mit Krankheit auch kompetent umgehen in einer Weise, dass man also nicht wehleidig oder leidend oder anderen sein Leiden ständig demonstriert, sondern man kann damit auch so umgehen, dass man das akzeptiert, soweit das möglich ist und Maßnahmen ergreift, um Gesundheit wieder herzustellen oder im anderen Fall zu erhalten, im sportlichen Bereich, alle Aktivitäten, die auch geistiger Art sind, sind eng verknüpft auch mit gesundheitlichen Faktoren. Wir wissen heute, dass Aktivität ein ganz, ganz wichtiger Faktor ist für die Aufrechterhaltung von Gesundheit. Diese positive Sicht auf sich selbst ist ein ganz zentraler Faktor."

    Aber nicht nur die persönlichen Faktoren - darüber sind sich die beiden einig - beeinflussen die Zufriedenheit im Alter. Darüber hinaus bestimmen auch gesellschaftliche Aspekte das Glück in den höheren Lebensjahren.

    In einem japanischen Altenheim hilft ein Pfleger Senioren beim Essen.
    In einem japanischen Altenheim hilft ein Pfleger Senioren beim Essen. (dpa / picture alliance / Everett Kennedy Brown)
    "Ich bin zu was zu gebrauchen. Ich bin wichtig."
    So ist das Gefühl, noch gebraucht zu werden, in jeder Lebensphase wichtig. Gisela Trommsdorff, die als Präsidentin die deutsch-japanische Gesellschaft für Sozialwissenschaften leitet, beobachtet in Japan eine andere Umgangsweise mit dem Thema Altern: Die buddhistisch-konfuzianisch geprägte Kultur führe dazu, dass alte Menschen in der japanischen Gesellschaft hochgeschätzt würden. Das geschehe auch durch Aktivitäten, die sie als sinnstiftend erleben, die hierzulande aber als unwürdig empfunden würden:

    "Fahrkarten knipsen oder die Straße kehren oder Türen aufhalten, also simple Dienstleistungen, die auch minimal bezahlt werden, oder Fahrräder wegstellen, simple Dienstleistungen, die aber einen Beitrag für das Funktionieren in der Gesellschaft im weiteren Sinne bedeuten und die den Alten auch das Gefühl geben: Ich bin zu was zu gebrauchen. Ich bin wichtig."

    In den letzten Jahren hat sich auch hierzulande die Sicht auf das Alter geändert: Senioren gelten als potente und kauffreudige Zielgruppe und werden von der Konsumgüterindustrie hofiert. Arbeitgeber wissen ältere Mitarbeiter zu schätzen, auch weil der demografische Wandel zu einem Umdenken zwingt. Professor Karlheinz Ruckriegel:

    "Man kann insgesamt sagen, dass sich das Bild ändert, weg vom Jugendwahn hin zu einer ausgeglichenen Sichtweise der Vor- und Nachteile der einzelnen Alterskategorien, und dass das natürlich schon der Zufriedenheit, dem Glück im Alter entgegenkommt."

    Das Fazit der Wissenschaftler ist eindeutig: Äußere Faktoren spielen zwar eine große Rolle, aber zu ihrer Lebenszufriedenheit im Alter können Menschen eine Menge selbst beitragen:

    "Erstens soziale Teilhabe, das ist wohl das ganz Wichtige, und zum anderen eben Vermeidung von Vereinsamungstendenzen. Die beiden Aspekte. Und ich denke mal, wir sollten vielleicht früher anfangen, das heißt, man wird ja eine Persönlichkeit im Laufe des Lebens, und man muss das Alter von der Kindheit auf sehen."

    Das wiederum heißt, dass Bildung, eine befriedigende berufliche Tätigkeit und frühe soziale Kontakte, die bis ins hohe Alter gepflegt werden, eine große Rolle spielen, damit Menschen im Alter nicht nur satt, sondern auch glücklich sein können.